Foto: Jan Ehlers

Nach fünf Jahren Bauzeit werden ab 10. November endlich die gesamten 806qm in der Alexanderstraße begeh- und bespielbar sein. Zwei große Eröffnungspartys werden den Beginn einläuten.

Bereits im Mai letzten Jahres wurde das von der TU Darmstadt gebaute fünfstöckige Karl-Plagge-Haus durch Oberbürgermeister Jochen Partsch eingeweiht. Sofort einziehen konnten aber nur die Büros und Lernzentren in den oberen Geschossen – und der Gastronomiebetrieb auf 221qm mit Café, Bar und Kleinkultur im Erdgeschoss. Manche verglichen die Dauer der untergeschossigen Baustelle für Klub und Konzertraum schon mit dem Berliner Flughafen, andere mit der Elbphilharmonie. Wie Letztere in Hamburg nach Jahren dann endlich fertig wurde und Strahlkraft über die Stadt an der Elbe hinaus hat, könnte die Eröffnung der gesamten 806qm einen Quantensprung für das Kultur- und Nachtleben in Darmstadt bedeuten. Aber es ist alles längst nicht mehr so einfach wie zu 603qm-Zeiten, dem legendären Vorgänger von 806qm. Wir geben eine Übersicht über Gründe der Verzögerungen, die inhaltliche Ausrichtung des studentischen Projekts und die Planungen für die kommenden Wochen und Monate.

Rückblick 603qm

Im Jahr 2003 eröffnete der großteils studentisch geführte Veranstaltungsort 603qm (in der vormals zum Fachbereich Maschinenbau gehörigen Stoeferle-Halle) an der Alexanderstraße. Innerhalb kurzer Zeit mauserte er sich zu einem stadtweit und später sogar überregional, teils bundesweit bekannten Klub für (hauptsächlich) Subkultur aller Art. Auf 603qm spielten nationale und internationale Künstler aus diversen Genres – meist kurz vor dem Durchbruch oder bereits auf dem Zenit. Nach der anfänglich euphorischen Erfolgsphase ergaben sich aber mit der Zeit fast unvermeidlich auch Probleme behördlicher, finanzieller, personeller und inhaltlicher Art. Das ultimative Ende (2011) setzte aber erst der Abriss des alten Gebäudes (2013) und der geplante Neubau des Verwaltungsgebäudes inklusive Café und Klub an selber Stelle.

Der damals wie heute geschäftsführende AStA hatte nach der Schließung des 603qm mit dem Schlosskeller (seit 1966!) zwar weiterhin einen zweiten veritablen und sympathischen Kulturort zu bieten, bemühte sich aber trotzdem um ein Nachfolgeprojekt für das 603qm und stieß bei der Leitung der TU auf offene Ohren. Dort wusste man mittlerweile (das war nicht immer so) um die Popularität des 603qm und um sein Potenzial, das studentische Leben in Darmstadt zu bereichern – ein kulturelles Pfund auch in Relation zu anderen Universitätsstädten. Markus Hoffmann als Technik- und Jan Prieß als Bereichsleiter Gastronomie und Personal haben seit der 603qm-Schließung zusammen mit einem kleinen Gremium von AStA-Mitarbeitern und ehemaligen „603ern“ die Planung und den Übergang federführend gestaltet.

Wieder-/Neu-Eröffnung eigentlich schon 2017

Nach fünf Jahren Bauzeit startet das Programm ab 10. November auf den gesamten 806qm – eineinhalb Jahre, nachdem mit dem Betrieb auf 221qm mit Café, Bar und Kleinkultur im Erdgeschoss begonnen wurde. Über die Gründe der Verzögerungen wollen sich die beiden Bereichsleiter nur bedingt auslassen [kein Geheimnis ist, dass es neben baulichen Problemen (Estrich nicht korrekt verlegt) einen aufwändigen Technik-Einbau, organisatorische Hürden und Genehmigungs-Hickhack zu überwinden gab; Anm. d. Red.]. „Das Zurückblicken macht jetzt im Detail keinen Sinn mehr. Der Stressfaktor war schon enorm hoch, auch der Druck von außen, wann es denn nun endlich los ginge“, sagt Hoffmann mit einem Seufzer, „wir schauen jetzt nach vorne.“ Und Prieß ergänzt: „So ein Neubau ist wirklich eine knackige Kiste. Alle Anforderungen und Bedürfnisse angemessen zu erfüllen, braucht seine Zeit. Wir dachten anfangs auch, dass es schneller geht, aber irgendwann kommt die Erkenntnis, das mit Geduld anzugehen. Sonst wird man verrückt.“

Die namensgebenden 806 Quadratmeter, verteilt auf zwei Etagen (oben: 221qm + unten: 585qm), ergeben nun in Gänze eine mögliche Kapazität von um die 1.100 Besucher – was deutlich über der damaligen 603qm-Kapazität von knapp 800 Besuchern liegt. Das räumliche Konzept ermöglicht wie damals auch die variable Einzelnutzung des großen Raums (257qm) oder des kleinen Raums (128qm) im Untergeschoss – beide jeweils bestückt mit einem Vier-Punkt-Boxensystem, das für eine fulminante Akustik sorgen dürfte. Schallschutz war eine der wichtigsten Vorgaben aus der Erfahrung mit der dünnwandigen, teils gläsernen Stoeferle-Halle, bei der Lautstärkeprobleme de facto unvermeidbar waren. Die dicken Betonwände des Neubaus dürften da aber keine Sorgen mehr aufkommen lassen.

Einzig atmosphärisch wird es beim teils Betongrau sicher etwas brauchen, bis sich wieder eine gemütliche Patina kalibriert. Farblich sind ansonsten nach dem konzeptuellen Gelb zu 603qm-Zeiten jetzt Schwarz/Weiß als Kontrastfarben angesagt – auch gestalterisch im Grafikbereich, um wieder ein bestimmtes wiedererkennbares „Branding“-Muster zu erzielen. Für diesen Bereich zeichnet wie damals die Grafikagentur Kraenk Visuell verantwortlich. In wie weit es von deren Seite auch wieder unique gestaltete Druckprogramme, Flyer und Plakate (damals mehrfach prämiert) geben wird, ist noch offen. „Wir beschränken uns erst mal auf die Online-Präsenz. Alles weitere ist eine Kostenfrage und wird sich ergeben“, erklärt Jan Prieß.

Es geht los!

Ab November gibt es im 806qm einen Finanz-Bereichsleiter, ab Dezember wird es einen Booking-Bereichsleiter sowie später noch einen Assistenten geben. Programmatisch will man so vielschichtig ausgerichtet bleiben wie damals – vor allem musikalisch, aber auch literarisch, theatralisch oder was auch immer sich kulturell ergebe. Es soll daher wieder ehrenamtlich arbeitende Basis-Gruppen geben, die sich inhaltlich wie gestalterisch an der Ausrichtung des Kulturprogramms beteiligen – zum Beispiel in Gruppen für Theater, Lesungen oder unterschiedliche Musik-Genres. „Es gibt intern jetzt schon vorab-planend kleine Orga-Gruppen, aber allein unser Personal wird sich in den nächsten Wochen ja verdreifachen, sobald es richtig losgeht. Da stellen sich solche Gruppen ganz neu auf und das tragen wir dann zur offenen Teilnahme auch nach außen“, erzählt Hoffmann.

Bei den internen Strukturen und Entscheidungsebenen will man sich „runderneuert“ am meist basisdemokratischen, nur wenig gegliederten Aufbau zu 603qm-Zeiten orientieren – angepasst an Vorgaben und damalige Erfahrungen. Das klingt sympathisch, birgt aber auch Schwachstellen wie tagelange Debatten und mangelnde Entscheidungskraft. „Es hängt natürlich wie damals von den Leuten ab, was sie – also genauer: wir – daraus machen“, erklärt Hoffmann. Erst einmal sei jede und jeder willkommen, beim „kreativen Projekt“ mitzuwirken, ohne große Vorgaben und Filter, ergänzt Prieß. Ein Interesse an Kultur und speziell Subkultur sowie Gemeinschaftssinn könne aber sicher nicht schaden.

Programmatisch zeigt sich gleich der erste Monat vielschichtig: Die Eröffnungsparty mit mehr als einem Dutzend DJs erstreckt sich über zwei Samstage und wird stilistisch aufgeteilt: „Am 10. November wird es hauptsächlich Indie-Rock, Funk und dergleichen geben, am Samstag drauf, 17. November, dann großteils House, Techno und Artverwandtes“, sagt Markus Hoffmann. Außerdem stehen bereits zwei Konzert-Termine fest: Facs (USA) am Freitag, 16. November, und – in Kooperation mit der Reihe „laut und leise“ aus dem Schlosskeller – Martin Kohlstedt am Sonntag, 25. November. Weitere Events wie auch das Comeback des legendären Kneipenabends immer dienstags sind in Planung. Eine große Silvesterparty ist auch vorgesehen.

„Ein Miteinander, kein Gegeneinander“

Abschließend will Jan Prieß noch Dank sagen: „Wir müssen uns ganz ausgiebig bei der Stadt, also den Behörden, der Studierendenschaft und der gesamten TU-Leitung bedanken. Uns wurden nie Steine in den Weg gelegt, wir fanden immer Gehör – das ist nicht selbstverständlich.“ Markus Hoffmann ergänzt: „Vor allem auch bei den Architekten [Lengfeld & Wilisch], die uns immer eingebunden haben in ihre Planungen.“ Das 806qm wird sicher eine kulturelle Bereicherung für Darmstadt darstellen, womöglich auch einen Quantensprung. Man wolle aber keine anderen vorhandenen Kulturstätten verdrängen, erklären beide unisono: „Wir wollen ein Miteinander in dieser Stadt, kein Gegeneinander.“

 

Eröffnungspartys an zwei Samstagen

806qm Diskothek mit sechs Indie-DJ-Teams:

Sa, 10.11. | 22 Uhr | 12 €

806qm Klub mit Techno, House und mehr von sieben DJs:

Sa, 17.11. | 22 Uhr | 12 €

Infos zum Vorverkauf auf www.806qm.de