31. Oktober 2007, Chicago.
An diesem Tag erfüllte sich der Darmstädter Jack Culcay-Keth seinen größten Traum. Als der 22-Jährige bei der Amateur-Box-WM in den USA den Serben Zoran Mitrovic nach vier Runden niedergekämpft hatte, war dies mehr als der Einzug ins Viertelfinale. Es bedeutete gleichzeitig Jacks Qualifikation für die Olympischen Spiele in Peking. Die folgende Niederlage gegen den späteren Weltmeister war zu verschmerzen. Jack hatte sein großes Ziel längst erreicht. Das konnte ihm niemand mehr nehmen. Dachte er.
März 2008, Lhasa, Tibet.
Ein lange schwelender Konflikt entflammt lichterloh. Tibetanische Bewohner -und Mönche demonstrieren vehement gegen die Besatzung Chinas und das erzwungene Exil ihres geistigen Oberhauptes, des Dalai Lama. Chinesische Einsatzkräfte reagieren darauf teils mit Waffengewalt. Dies kostet vermutlich hunderte Menschenleben. Die Konfliktparteien beschuldigen sich gegenseitig dieser Eskalation. International regen sich fortan vermehrt Forderungen nach einem Boykott der Olympischen Spiele. Bereits der Fackellauf entwickelt sich zu einer einzigen Farce.
Anfang April 2008, Darmstadt.
Jack Culcay-Keth spricht offenherzig über seine bisherige Karriere und die Vorbereitung auf Peking. Er lebt seit 1991 in Darmstadt, geboren wurde er 1985 in Ecuador. Mit dem Boxsport begann der „Rocky“-Fan bei der TG 75 Darmstadt. Mittlerweile hat er sich als Sportsoldat bei der Bundeswehr verpflichtet, um bessere Trainingsbedingungen im Olympia-Stützpunkt Heidelberg zu erhalten. Dort trainiert er fünfmal die Woche, zweimal am Tag, jeweils mindestens drei Stunden. Parallel boxt Jack in der Bundesliga für Hertha BSC Berlin, obwohl er weiterhin in Darmstadt wohnt. Die lange Anfahrt zu Wettkämpfen nimmt er in Kauf. Jack gilt als hervorragender Techniker und ist sehr beweglich. Dies führte ihn nicht nur bis Olympia, es brachte ihm inzwischen auch die deutsche Meisterschaft im Weltergewicht (bis 69 kg) ein.
Mitte April 2008, Peking.
Die politische Großwetterlage verheißt Tiefdruck. Die Volksrepublik China hat Sorge, dass Nachgiebigkeit in einem Konflikt andere bestärken und dies langfristig zu einer Zersplitterung des Landes führen könnte. Gerade erst schwingt China sich als Roter -Riese zu einem nachhaltigen Machtfaktor in der Welt auf. Diese Entwicklung sieht die Regierung gefährdet und nimmt daher gravierende Menschenrechtsverletzungen in Kauf. Der Dalai Lama ruft zu Gewaltverzicht auf, kann aber von seinem Exil in Indien aus wenig Einfluss nehmen. Die USA fordern mehr Diplomatie, haben aber auf diesem Gebiet längst an Glaubwürdigkeit verloren. Die EU zeigt sich uneins. Boykott als sportpolitisches Mittel ist nach Moskau 1980 und Los Angeles 1984 umstritten. Die politische Lage scheint derzeit mehr als konfus. Wen müsste man sonst noch boykottieren? Gleich auch die Winter-Olympiade 2010 in Sotschi (Russland)?
Mitte April 2008, Darmstadt.
Jack Culcay-Keth verfolgt die Diskussion mit großer Sorge, denn sein sportlicher Traum droht zu platzen. Jack beschäftigen die Schicksale der betroffenen Menschen, aber er hat Zweifel, ob ein Boykott daran etwas ändern könnte. Diese Spiele sind seine einzige Chance auf Olympia, da er bald ins Profilager wechseln will. Und der Darmstädter hat so viel Zeit und Kraft investiert, dass er selbstbewusst davon spricht, um Gold für Deutschland kämpfen zu können. Ende Juni soll es ins Trainingslager nach Thailand gehen. Zwei Wochen später dann die Reise nach Peking, wo Jack am 4. August seinen ersten Wettkampf hat. Hofft er.