Foto: Jan Ehlers
Foto: Jan Ehlers

Diesen Monat schauen wir mal über die Grenzen der Stadt am Darmbach, nämlich in den von Darmstädtern gefürchteten Odenwald.

Antonia K. aus M. möchte wissen: „Liebe Vicky, warum höre ich in Darmstadt nur Schlechtes über den Odenwald und dessen Einwohner?“

Genau diese Frage habe ich mir auch schon des Öfteren gestellt, und auch auf die Gefahr hin, dass ich das Klingelschild an meinem Haus nun endgültig abmontieren sollte, werde ich Dir diese Frage beantworten. Nach drei Jahren intensivstem Kontakt mit den Ureinwohnern Darmstadts und auch denen des Odenwalds weiß ich nun genaustens Bescheid. Denke ich zumindest. Um ehrlich zu sein, wusste ich vor meiner Übersiedlung nach Darmstadt weder von der Existenz des Odenwalds noch von dessen Bewohnern. Das ist jetzt vielleicht etwas überspitzt, aber wieso sollte man sich damit befassen, wenn man selbst die wunderschöne Wetterau vor der Haustür hat.

Ich musste ziemlich schnell feststellen, dass der Odenwald eine große Rolle in meiner neuen Heimatstadt spielt. Ich war mir allerdings nicht darüber im Klaren, dass Darmstadt direkt am Odenwald liegt, sogar „das Tor zum Odenwald“ genannt wird. Diese direkte Verbindung wurde mir erst richtig bewusst, als ich das erste Mal einen Fuß über die Stadtgrenzen gen Süden setzte. Ich war schockiert. Mal ganz abgesehen davon, dass man die Käffer (man kann hier durchaus per se von Kaff sprechen) binnen zwei Minuten zu Fuß besichtigen kann, scheint es, als wäre für den Odenwald die Stadt Darmstadt das Tor zur Welt. Und das ist wirklich gruselig.

Man dürfte doch wohl meinen, dass ein unberührtes Fleckchen Erde, wie es der Odenwald ist, als Naherholungsgebiet für die benachbarten „Großstädter“ dient. Doch in diesem Teil der Welt spielt sich ein seltenes Schauspiel ab: Der Odenwald wird eher gemieden, da man die Einwohner desselbigen mindestens zwei Tage der Woche (am Wochenende) in der eigenen Stadt ertragen muss.

Allwöchentlich pilgern tausende „Ourrewäller“ in die Metropole am Darmbach, um die neuesten Fashiontrends zu erkunden und diese anschließend ins Outback zu exportieren. Der Import in den Odenwald scheint durch harte Grenzkontrollen massiv erschwert zu werden, anders lässt sich das Hinterherhängen der Odenwälder bezüglich aktueller Modetrends nicht erklären. Auch andere Neuerungen kommen im Hessisch-Outback meist etwas zeitverzögert an.

Am schlimmsten ist wohl die Tatsache, dass die Bewohner des Odenwalds alles für ihr Eigen ausgeben wollen, unfassbarerweise sogar für den Handkäs. Das einzig typisch „Ourewällerische“ ist wohl der eigenwillige, aus mehreren Mundarten zusammen gewürfelte Dialekt, den niemand auch nur annähernd verstehen kann und der zudem noch gewöhnungsbedürftig klingt – schlimmer als schwäbisch und sächsisch zusammen!

Aber um noch einmal auf Antonias Eingangsfrage zurückzukommen: Ich persönlich habe natürlich (!) nichts gegen den Odenwald. Bis nach Frankfurt schaffen es dessen Bewohner meist gar nicht – also blieb ich die meiste Zeit meines Leben von ihnen verschont. Die bildungsverwöhnten Großstädter der Stadt Darmstadt stören sich wohl an dem etwas unangebrachten Verhalten der meisten Odenwälder „Klouwe“ (das ist Odenwälderisch für „raue Typen ohne Feingefühl“) – vor allem an Festivitäten wie dem Heiner- oder Schlossgrabenfest, sowieso an den Wochenenden in Darmstadts Mainstream-Locations. Kurzum – einen konkreten Grund für die Odenwald-Abneigung gibt es nicht, jedoch scheinen die Darmstädter alles, was an ihre Stadtmauern grenzt, zu verachten. Und so muss auch aus geografischen Gründen resümiert werden: Zu den feindlichen Gebieten gehört – neben Offenbach, Frankfurt, Mainz, Wiesbaden, Aschaffenburg, Heidelberg, Mannheim, … – auch der Odenwald.

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