Foto: Maximilian Meinel, www.photography-mm.de

Die fließenden Bewegungen des Kathak-Tanzes erlernen, mit der Ayurveda-Kochkunst Geist und Körper fit halten, Hindi-Kurse besuchen, indische Filme auf der großen Leinwand sehen oder mit Bildvorträgen in die Welt tibetischer Klöster eintauchen. Das ist nur ein kurzer Auszug aus dem Programm der Deutsch-Indischen Gesellschaft. Der Verein holt mit seinen Aktivitäten ein Stück vom mehrere Tausend Kilometer entfernten Indien und dessen Kultur nach Darmstadt. Und ist damit nicht allein.

Zeitsprung. Sowohl für Deutschland als auch für Indien waren die 1950er-Jahre eine Zeit des Umbruchs. Die neu geschaffene deutsche Bundesrepublik suchte – nach dem Nazi-Regime und dem Zweiten Weltkrieg – genau wie Indien – nach über 200 Jahren britischer Herrschaft – einen Platz auf der weltpolitischen Bühne. Während die Deutschen ein Wirtschaftswunder erlebten, war Indien erst auf dem Weg, eine Industrie aufzubauen. Auch mit deutscher Hilfe. So konnten hier ansässige Firmen einen neuen Markt erschließen und umgekehrt konnten Inder sich in Deutschland aus- und fortbilden. So kamen Ende der 50er- und Anfang der 60er-Jahre einige Tausend Inder als Praktikanten und Studenten hierher, vor allem Naturwissenschaftler, Techniker und Ingenieure.

Um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten zu pflegen und den Deutschen die indische Kultur und Lebensart näherzubringen, gründeten sich in den 50er-Jahren in vielen Städten Deutsch-Indische Gesellschaften. 1959 auch in Darmstadt. Heute hat der Verein 130 Mitglieder.

Einer von ihnen ist Ramu Bharpalania. Er zog 1962, auf Wunsch seiner Eltern, von einer Kleinstadt nahe Kalkutta nach Gießen, um Physik zu studieren. Anfangs war es schwierig für ihn, sich zurechtzufinden. Vor allem wegen der Sprache. „In den 60ern wurde kaum Englisch gesprochen“, erinnert er sich. Auch hatte er zuvor weder Fleisch gegessen noch Alkohol getrunken. Beides fand er anfangs eklig. In Indien leben, heute wie damals, sehr viele Menschen vegetarisch. Und auch Alkohol spielt nicht so eine große Rolle wie hierzulande. Bis heute isst Ramu nur gelegentlich Fleisch, wohingegen er Bier inzwischen gerne trinkt.

Er pflegte von Gießen aus weiterhin den Kontakt mit der Heimat. Aber Telefonate waren teuer, sodass er nur einmal in der Woche telefonierte. Und bis zur Antwort auf einen Brief wartete er zwei Wochen. Heimweh und der Wunsch, andere Inder zu treffen, führten ihn zur Deutsch-Indischen Gesellschaft (DIG) in Gießen.

Wie wichtig die Arbeit der DIG für die Verständigung zwischen der deutschen Mehrheitsgesellschaft und den hier lebenden Indern ist, spürte Ramu 1979. Er trat einen Job als Softwareberater in Wiesbaden an, konnte dort jedoch keine Wohnung finden. Die Wohnungssuche gestaltete sich damals schwierig, mit ausländischem Namen und Akzent. Oft hieß es, die Wohnung sei schon vergeben: „Einmal bat ich meinen Chef darum, beim selben Vermieter anzurufen – und da war die Wohnung plötzlich frei.“

Diskriminiert fühlt der 76-Jährige sich ansonsten nur selten: „Größtenteils ist alles okay“, fasst er zusammen. Ihn ärgern aber die Fragen, ob er Deutsch spreche oder wann er wieder zurückginge. Wenn jemand fragt, wie lange er schon in Deutschland lebt – inzwischen 57 Jahre – antwortet er oft: „Länger als Sie.“ Meist aber reagieren die Leute mit Interesse. Schon in der Studienzeit fragten ihn Lehrer, ob er für Schüler Vorträge über sein Land halten kann. Das große Interesse der Deutschen am fernen und oft verklärt oder verzerrt betrachteten Subkontinent spiegelt sich in den Gesellschaften wider: In Darmstadt sind zwei Drittel der Mitglieder Deutsche.

Und es waren auch Deutsche, die den Verein hier ins Leben gerufen haben: Zu den Gründern zählten Karl Merck, Vorstandsvorsitzender des gleichnamigen Konzerns, Gerhard Pohl, Aufsichtsratsvorsitzender von Wella, und der damalige Oberbürgermeister Ludwig Engel. Es liegt die Vermutung nahe, dass bei der Gründung nicht nur die Faszination für die exotische Kultur eine Rolle spielte, sondern auch die Hoffnung, sich einen wirtschaftlichen und politischen Zugang zu Indien zu sichern und weitere Fachkräfte aus dem Land anzuziehen.

Seit 2002 ist Ramu Mitglied in Darmstadt und heute Kassenwart. Ging der Rentner in Gießen noch zum Verein, weil er Heimweh hatte und Gleichgesinnte treffen wollte, so ist er heute in der Gesellschaft, weil er spannend findet, was er noch über Indien lernen kann – dieses in Fläche und Einwohnerzahl riesige und in Kultur und Lebensart unglaublich vielfältige Land.

Mit Stolz erzählt er, wie sich das Angebot die letzten Jahre vergrößert hat. Es kamen Hindi-Kurse und die monatlichen Mittwochstreffen hinzu, die mit einem Vortrag beginnen und mit einer Diskussion enden, zum Beispiel über die Stadt Varanasi, das spirituelles Zentrum der Hindu. Auch das Diwali-Fest wird gefeiert (Ende Oktober, mehr dazu in der Infobox). Dieses hinduistische Lichterfest ist laut Ramu „wie Weihnachten und Silvester auf einmal“.

Doch nicht alles ist rosig. So ist die Mitgliederzahl stark zurückgegangen: „2003 hatten wir 300 Mitglieder, heute noch 130“, sagt Ramu. Und die Mitglieder werden nicht nur immer weniger, sie sind im Schnitt auch immer älter. Ein Trend, den viele Vereine gerade durchmachen.

Dabei kommen immer mehr Inder zum Studium nach Deutschland. Laut dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) ist ihre Zahl an hiesigen Hochschulen von knapp 4.000 (2008) auf 16.000 (2017) gewachsen. Sie studieren hier vor allem Ingenieurwesen und Naturwissenschaften. Der Zuzug hat auch damit zu tun, dass mehr Studiengänge – vor allem im Master – auf Englisch sind: die meist gesprochene Sprache in der ehemaligen britischen Kolonie. So werden in der Facebook-Gruppe „Indians in Darmstadt“, die über 3.000 Mitglieder hat, ausschließlich Posts auf Englisch verfasst.

Doch offenbar spricht die DIG die indischen Studenten nicht an. Sie gründeten 2012 ihren eigenen Verein, die Darmstadt Indian Association (DIA). Die Studenten organisieren Kulturevents wie Abende über den bengalischen Dichter und Musiker Tagore und Konzerte mit indischer Klassik. Auch Meditationskurse oder Städte-Exkursionen sind im Programm, das dem der DIG ähnelt. Allerdings gibt es auch Veranstaltungen, die vorwiegend Studenten ansprechen: zum Beispiel Bewerbungstrainings oder Bollywood-Partys.

Der 25-jährige Saurabh ist Schriftführer bei der DIA. Er kam im September 2016 aus Nagpur – einer Großstadt in Zentralindien – nach Darmstadt, um hier seinen Master in Chemie zu absolvieren. Er erhielt ein Stipendium vom DAAD, das jährlich an 100 Inder vergeben wird. Dank des DAAD und der TU hatte er einen guten Start in Deutschland. „Die größte Hürde für indische Studenten ist die Wohnungssuche“, sagt er. Nicht für ihn, da ihm die TU dank seines Stipendiums einen Platz im Studentenwohnheim zuwies. Nach einer Einführung für ausländische Studenten wusste Saurabh, wie er ein Bankkonto eröffnet, welcher Handytarif passt und er bekam eine Stadtführung. Sein Deutsch reicht inzwischen für den Alltag, aber noch nicht für tiefer gehende Gespräche. Und für sein Studium ist sein Englisch gut genug.

Saurabh findet es super, den Indern zu helfen, die gerade angekommen sind. Neben relativ banalen Hilfestellungen – wie: Wo kann man sonntags einkaufen? – werden die Neuen auch in Notfällen unterstützt. Wenn es zu Problemen mit der geplanten Wohnung kommt, wird eine Unterkunft angeboten. Am meisten gefällt ihm, dass er durch die DIA mit vielen Indern und anderen ausländischen Studenten zu tun hat. „Die internationalen Hochschulgruppen arbeiten eng zusammen.“ Die DIA habe ihm persönlich viel gegeben. „Vorher hatte ich hier kaum Freunde“, sagt er. Durch die Association hat er Anschluss gefunden.

Genauso wie Ramu Anfang der 1960er Anschluss bei der DIG in Gießen fand. Die beiden Vereine haben viel gemeinsam und doch agieren sie nebeneinander, nicht miteinander. Sie wissen nicht mal viel voneinander. Ramu meint, dass die Mitglieder der DIA „nur unter sich bleiben wollen“. Und Saurabh sagt über die DIG, dass er „von denen schon mal gehört“ hat, aber glaubt, „dass nur Familien dahin gehen“. Die Generationen scheinen zu weit voneinander entfernt, um miteinander ins Gespräch zu kommen.

Auch die griechischen Vereine, von denen es sechs in Darmstadt gibt, hatten lange ihr jeweils eigenes Programm durchgezogen, ohne sich gegenseitig einzubeziehen. Seit wenigen Jahren arbeiten sie verstärkt miteinander, organisieren gemeinsame Feste und helfen sich gegenseitig. Eine Reaktion auf die sinkenden Mitgliederzahlen. Und da sowohl die Deutsch-Indische Gesellschaft als auch die Association immer weniger aktive Mitglieder haben, werden sie vielleicht schon bald aufeinander zugehen. Damit sie auch in Zukunft ein Stück von Indien nach Darmstadt bringen können.

www.dig-darmstadt.de

www.dia-darmstadt.de

 

Diwali, das indische Lichterfest

Wenn Weihnachten und Silvester sich in Indien umarmen, dann ist Diwali. Lichterketten, Öllampen und Feuerwerke erhellen ganz Indien und man beschenkt sich mit Kleidung und Schmuck. Die Deutsch-Indische Gesellschaft importiert das Fest, bei dem die Hindus den Sieg des Lichts über die Dunkelheit feiern, seit über zehn Jahren nach Darmstadt. Neben dem traditionellen Verehrungsritual für die Glücksgöttin wird hier vor allem die indische Kultur gezeigt – mit Tänzen der Tanzgruppe Layam aus Frankfurt, einem Konzert und reichlicher Kulinarik: Hähnchen-Curry, das Linsengericht Dal oder die Süßigkeit Rasgulla. Und, weil es zu Diwali dazugehört, gibt’s am Ende eine Kleinigkeit für jeden Besucher. (fg)

Bessunger Knabenschule | So, 27.10. | 19 Uhr | 12 €

 

150 Jahre Mahatma Gandhi

Vom 02.10. bis 06.11. läuft eine Veranstaltungsreihe der Evangelischen Erwachsenenbildung und der Deutsch-Indischen Gesellschaft.

Am Mittwoch, 02. Oktober, am 150. Geburtstag Gandhis, geht es bei einer Veranstaltung mit Claus Stark von der Deutsch-Indischen Gesellschaft ab 19 Uhr im Offenen Haus, Rheinstraße 31, um Bhajans, spirituelle Lieder, die Gandhi hörte. Der Eintritt ist frei.

Die „AlleWeltKino“-Filmreihe „Gandhi und Indien“ beginnt am Montag, 14. Oktober, um 19.30 Uhr. Bis 04. November werden drei weitere Filme jeweils montags, 20.15 Uhr, im Programmkino Rex gezeigt. Der Eintritt beträgt 6,50 Euro.

Die Fotoausstellung „My Life is a Message. Das Leben und das Werk Mahatma Gandhis“ ist vom 17. 10. bis 12.11. im Offenen Haus zu sehen. Öffnungszeiten sind Montag bis Donnerstag 10 bis 17 Uhr und Freitag 10 bis 13 Uhr. Die Eröffnung ist am Donnerstag, 17. Oktober, 19 Uhr im Offenen Haus mit einer indischen Tanzperformance.

„Wahrheit, Widerstand und selbstloses Handeln. Mahatma Gandhis Ethik der Gewaltfreiheit“ heißt ein Vortrag von Clemens Jürgenmeyer, Politikwissenschaftler und Indologe, am Donnerstag, 24. Oktober, 19 Uhr, im Offenen Haus.

Am Samstag, 02. November, von 10 bis 11.30 Uhr, spricht der Friedensforscher Martin Arnold über „700 Jahre gewaltfrei-gütekräftige Handlungskonzepte“. Nach dem Vortrag mit Gespräch im Literaturhaus gibt der Referent dort einen Workshop zum Thema „Ghandis Streitkunst und praktische Einführung in gewaltfrei-gütekräftige Bearbeitung von Konflikten – privat bis politisch“. Die Teilnahme kostet 15 Euro, Anmeldung wird erbeten bis 25. Oktober unter eeb@evangelisches-darmstadt.de oder unter (06151) 1362441.

Den Abschluss der Reihe bildet der Vortrag „Gandhis Swadeshi-Bewegung und seine heutige Bedeutung“ von Jona Aravind Dohrmann vom Verein Deutsch-Indische Zusammenarbeit in Frankfurt und Kirsten Sames von der Karl-Kübel-Stiftung in Bensheim am Mittwoch, 06. November, um 19 Uhr im Offenen Haus. Der Eintritt ist frei.

www.evangelisches-darmstadt.de