In der Kinderstadt ist der Name Programm: Beim Darmstädter Ferienspielangebot, bei dem kreative Ideen in die Tat umgesetzt und jede Menge gebaut werden, müssen Eltern draußen bleiben. | Foto: Spielmobil Darmstadt e. V. / Lars Thomas

Eine Frisbee fliegt unter der Nachmittagssonne hindurch, bevor sie ein junger Mann aus der Luft pflückt. Gebannt verfolgt ein Pärchen das Spiel in der Rudolf-Müller-Anlage. Diese Ruhe gehört in den ersten drei Sommerferienwochen – von Montag, 24. Juli, bis Freitag, 11. August – der Vergangenheit an. Zurecht. Denn dann haben Kinder hier das Sagen. Das Gelände zwischen Großem Woog im Osten und Mercksplatz sowie Jugendstilbad im Westen verwandelt sich wieder in ein Spiel- und Bauparadies für Kinder zwischen sechs und 14 Jahren, zur Kinderstadt. Von Montag bis Freitag wird gehämmert, gesägt und gemalt. Und das ohne jeglichen Einfluss durch Erwachsene. 2023 geht das kostenfreie Sommerferienspielangebot des „Rotzfrechen Spielmobils Darmstadt“ bereits in die 19. Runde.

Schon von Weitem sticht mir der rote Anhänger des Spielmobils auf der westlichen Seite des Darmbachs ins Auge. Drumherum buntes Treiben, durchmischt von einem Gewirr vieler Kinderstimmen. Es wird gewerkelt, gebaut und gestaltet. Erste Bauwerke sprießen aus dem Boden. „Das ist ein Kiosk“, erklärt mir Mia und klopft konzentriert einen Nagel in ein schmales Holzbrett. Nebenan entstehen eine Bühne, ein Kino und ein Turm.

Werkzeugkoffer schnappen – und los geht’s!

Der rote Anhänger, die „Bauzentrale“, bildet die Anlaufstelle auf der temporären Riesenbaustelle. Hier werde ich – sowie die 80 bis 100 erwarteten Kinder pro Tag – bei ihrer Ankunft von Mitarbeiter:innen des „Rotzfrechen Spielmobils“ in Empfang genommen. Zunächst erfolgt eine Material- und Werkzeugeinweisung. Mit Blick auf das Werkzeug erübrigt sich die Frage, warum ein Mindestalter von sechs Jahren Voraussetzung ist. An der Werkzeugausgabe werden Sägen, Hämmer, Zangen und Nägel an die Kinder verteilt. Dann geht es, bepackt mit einem Werkzeugkoffer, schon los.

Foto: Spielmobil Darmstadt e. V. / Lars Thomas

An den vielen kleinen Baustellen vorbeischlendernd fällt mir vor allem die große Menge Holz auf. Balken, Bretter und Paletten werden auf den markierten Bauflächen zu Bauwerken verarbeitet. Im Materiallager stoße ich zusätzlich auf diverse Alltagsgegenstände wie Seile, Stühle und ein Sofa. Sie warten nur darauf, verbaut zu werden. Ich entdecke, wie zwei Kinder einen geblümten Sessel – zwecks Einrichtung – in den Kiosk schieben. Nicht zuletzt kann dem Ganzen mit Farbe und Pinsel noch der gewünschte Anstrich verliehen werden. Trotz der abschließenden Bauabnahme durch die Spielmobil-Mitarbeiter:innen können die Werke danach umgebaut, abgerissen und neu gebaut werden. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Die vielfältigen Gestaltungs- und Baumöglichkeiten regen auch mich zum Ausprobieren an.

Elternfreie Zone: Hier haben Kinder das Sagen

Mich juckt es in den Fingern. Am liebsten würde ich direkt mit anpacken. So wie mir geht es vermutlich den meisten Erwachsenen. „Nicht umsonst ist die Kinderstadt eine elternfreie Zone“, erklärt Anna Fischer. Die studierte Soziologin prägt als Geschäftsführerin seit 2020 das „Rotzfreche Spielmobil“. „Wir stellen den Kindern einen freien Raum zur Verfügung, in den nicht regulierend eingegriffen wird.“ Dahinter verbirgt sich die Intention, steuerndes Eingreifen der Eltern zu vermeiden. Den Kindern wird die Möglichkeit eröffnet, ganz frei und ohne jegliche Vorgaben zu gestalten. Es sind ausschließlich die kreativen Ideen der Kinder, die realisiert werden.

Ganz in diesem Sinne erhält ein Junge von einer Betreuerin auf seine Frage, was er denn nur bauen solle, keinen konkreten Vorschlag. Vielmehr verstehen sich die sieben auf dem Gelände verteilten Betreuer:innen als Mitspielende auf Augenhöhe. Nur wenn es bei der Umsetzung gänzlich hakt, helfen sie, minimieren Gefahren oder schlichten Streitigkeiten. Extra-Angebote wie Großgruppenspiele, Schminknachmittage oder eine kühlende Wasserschlacht gehen ebenfalls auf Impulse der Kinder zurück.

Foto: Spielmobil Darmstadt e. V. / Lars Thomas
Foto: Spielmobil Darmstadt e. V. / Lars Thomas

Ausprobieren, entdecken und erfahren

Deutlich wird: Der Abenteuerspielpatz liegt in der Hand der Kinder. Darüber erleben sie Partizipation. Im selbstbestimmten Tun können persönliche Ressourcen entfaltet und Individualität ausgelebt werden. Ausprobieren, entdecken und erfahren stehen im Fokus. „Es existiert kein vordefiniertes Ziel. Das Spielen steht im Mittelpunkt“, erklärt Anna Fischer. „Uns ist Lebendigkeit sehr wichtig, gerade im Kontrast zum durchstrukturierten Schultag.“

Genau dieser Kerngedanke bildete das Motiv zur Gründung der ersten Kinderstadt im Jahr 2005. Angelegt als informelles Lernangebot wurde sie bewusst als direkter Gegenpol zu formellen, zielgerichteten Lernangeboten ins Leben gerufen. Bis heute ist man diesem Grundsatz treu geblieben.

Und das Konzept hat sich bewährt: Die Kinderstadt wird seit 19 Jahren jeden Sommer erneut mit Begeisterung angenommen. Mittlerweile gehören bereits einstige Teilnehmer:innen zum Team der Betreuer:innen. So ist auch im nächsten Jahr wieder mit dem Ferienangebot zu rechnen. Das gelingt zum einen dank der Grundfinanzierung durch die Wissenschaftsstadt Darmstadt, zum anderen aufgrund der erfolgreichen logistischen Planung: Von der Materialbeschaffung bis hin zum Abtransport der abzureißenden Hütten am Ende muss alles gut organisiert sein.

Foto: Spielmobil Darmstadt e. V. / Lars Thomas
Foto: Spielmobil Darmstadt e. V. / Lars Thomas
Foto: Spielmobil Darmstadt e. V. / Lars Thomas

Informationen am Rande, aber wichtig zu wissen

Nach dem Rundgang über den sonnigen Platz bin ich froh über ein Glas kühles Wasser von der Bauzentrale. Zwar werden hier Getränke bereitgestellt, trotzdem ist es zu empfehlen, für die Kids neben genügend zu trinken auch Proviant zur Stärkung einzupacken. Denn der Hunger kommt garantiert. Sonnencreme, eine Kappe, feste Schuhe und Klamotten, die dreckig werden können, gehören außerdem zur Grundausstattung.

Mein Blick fällt auf die angrenzende Wiese. Einige Eltern sitzen gemütlich im Schatten. Da die Betreuer:innen bei diesem offenen Angebot keine Aufsichtspflicht übernehmen, ist es nachvollziehbar, dass einige Eltern ihre Kleinen im Auge behalten. Denn ohne Anmeldung können die Kinder im Zeitraum von 12 bis 18 Uhr kommen und gehen, wie es ihnen beliebt.

Und was ist mit den Kleinsten, die noch zu jung für die Kinderbaustelle sind? Auch sie kommen auf ihre Kosten. In einem extra ausgezeichneten Eltern-Kind-Areal können sich die unter Sechsjährigen gemeinsam mit ihren Eltern an das Bauen herantasten und Kinderstadtluft schnuppern.

„So, jetzt kannst Du etwas bestellen“, reißt mich Mia aus meiner Beobachtung und zieht mich begeistert zum fertigen Kiosk. Das farbenfrohe Bauwerk ist zum Leben erweckt. Leuchtende Kinderaugen strahlen mich von der anderen Seite der Theke an – wenn das mal nicht Grund genug ist, an der Kinderstadt teilzunehmen. Ob aus Darmstadt oder Umgebung, punktuell an einzelnen Tagen oder gar die gesamten drei Wochen: Kinder, die es begeistert, gemeinsam in der Natur mit den eigenen Händen Kreatives zu schaffen, sind hier genau richtig.

Die Kinderstadt: das Wichtigste in Kürze

Zielgruppe: Kinder zwischen 6 und 14 Jahren

Wo: In der Rudolf-Müller-Anlage am Woog

Wann: Vom 24. Juli bis 11. August, Mo bis Fr von 12 bis 18 Uhr, kostenfrei + ohne Anmeldung, Einstieg jederzeit möglich

Weitere Infos: spielmobil-darmstadt.de

Kinderstadt 2010 from Daniel Fischer on Vimeo.