Foto: Jan Ehlers

„Denn immer, immer wieder geht die Sonne auf.“ Udo Jürgens

Darmstadt steht still. Das Stadtkulturleben ist zum Erliegen gekommen. Mit den Anordnungen der Bundes-, Landes- und Stadtregierung wurden alle kulturellen Veranstaltungen gestoppt. In Darmstadt vorerst bis zum 31. Mai 2020. Was bedeutet das für die Menschen, die direkt davon betroffen sind? Zuvorderst die Künstler*innen, die nicht mehr auf der Bühne stehen. Die Zuschauer*innen, die nicht mehr gemeinsam Tanz, Gesang oder Theater erleben können. Die Veranstalter*innen und Betreiber*innen von Kulturstätten, deren Häuser verschlossen sind. Die Bühnenarbeiter*innen, Veranstaltungstechniker*innen, Konferenztechniker*innen, Technikverleihfirmen, die vom einen auf den anderen Tag ohne jegliches Einkommen sind. Um diejenigen soll es gehen: Die im Hintergrund wirken. Die andere gut klingen oder hell erstrahlen lassen. Die einen guten Job gemacht haben, wenn alle begeistert nach Hause gehen.

Let there be sound, there was sound

Let there be light, there was light


Let there be drums, there was drums
‘

Let there be guitar, there was guitar


Let there be rock.

AC/DC

 

„Mir geht es gut, mein Sohn hält mich auf Trab“, erzählt Mark Rückert, 51 Jahre. Kräftiges Kindergeschrei aus dem Hintergrund bestätigt prompt die Aussage. Mark ist ein seit Jahrzehnten bekannter Tontechniker und Musiker in Darmstadt. In seinem Studio haben etliche Bands der Umgebung bereits aufgenommen. All das ruht gerade. „Ich habe die Corona-Soforthilfen des Landes beantragt und bereits Geld erhalten. Das reicht für die ersten Monate. Dann wird es wohl ans Gesparte gehen.“ Die Soforthilfen in Hessen können seit dem 30. März online beantragt werden. Es sind keine Kredite, sondern Einmalzahlungen, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Allerdings gibt es eine Einschränkung: Die Gelder zielen nur auf laufende Betriebskosten. Für die Lebenshaltungskosten müsste man Grundsicherung beantragen. Genau diese Einschränkung macht es vielen Soloselbstständigen aus dem Bereich Kultur schwer. Die wenigsten haben typische Betriebskosten wie Miete, Materialkosten, Firmenwagen. Aber die Einnahmen sind auch für sie von einem auf den anderen Tag zu 100 Prozent weggefallen.

 

„Music was my first love – and it will be my last.“ John Miles

 

Seit 1990 gibt es Daxl Veranstaltungstechnik in Darmstadt. „Im Jubiläumsjahr gibt es genügend Zeit zum Feiern“, sagt schwarz-humorig Achim Lowitsch, 51 Jahre, Firmengründer. „In den letzten Jahren hat sich unser Aufgabenfeld mehr in Richtung Messen und Konferenzen gewandelt. Da sind die Aufträge bei null. Niemand bucht etwas, alles abgesagt“, erklärt er am Telefon. „Ab 01. April sind wir alle in Kurzarbeit, bis auf eine Kollegin, die kommt noch einen Tag in der Woche. Und der Azubi. Bei ihm gibt es keine Kurzarbeit. Bestimmte Wartungen müssen weitergemacht werden. Aber wie es weitergeht? Ich sehe keine internationalen Messen oder Konferenzen mehr in diesem Jahr.“ Die Ungewissheit bestimmt das Leben aller. Wer ist noch übrig, wenn alles wieder seinen normalen Gang geht? Die städtischen oder staatlichen Institutionen werden überleben – wie Bürgerhäuser, Stadthallen, Darmstadtium oder Centralstation. Aber was ist mit den inhabergeführten Clubs, Konzertorten, Theatern? Den Firmen für Licht und Tontechnik? Wie auch Künstler*innen leben viele der freien Mitarbeiter*innen im Kulturbetrieb als Soloselbstständige. Es reicht meist gerade so zum Leben. Die vielen verschiedenen Einnahmequellen sind seit mindestens sechs Wochen vollkommen weggefallen.

 

„There’s no business like show business.“ Frank Sinatra

 

So auch bei Patrick Zehner, 32 Jahre, Schlagzeuger, Stagehand und einer der Betreiber von „Tag und Nacht – Tonstudio, Musikproduktion, Proberäume“ in der Mornewegstraße. „Ich wollte im April etwas kürzertreten, um mein Studium der Chemie fortzuführen. Aber das ich so kurz trete … Mein Praktikum ist abgesagt, die Labore der Uni sind zu, bis zum 01. Juni. Mit Arbeiten auf diversen regionalen Festivals wollte ich etwas ansparen, um dann im Herbst meinen Master zu machen. Alles hinfällig. Die meisten sind abgesagt oder verschoben“, sagt er. „Genauso wie die Auftritte unserer Cover-Band bei Stadtfesten oder Hochzeiten. Bis in den Juli alles abgesagt. Keiner weiß, wie das weitergeht.“ Auch er hat Soforthilfe beantragt und bewilligt bekommen. Nachdenklich weist er auf die fehlenden Perspektiven hin. Niemand kann abschätzen, wann es wieder Kulturveranstaltungen mit Publikum geben wird. „Ein paar Monate halte ich schon durch, aber …“ – es wird still in der Leitung: „Mal sehen, wie das wird. Vielleicht gibt es ja Geisterkonzerte in der Centralstation, als Livestream für die Leute zu Hause.“

Ein zweifelhafter Konzertgenuss, sollte es so weit kommen. Nur werden die Menschen für so eine sterile Kultur Geld zahlen? Egal, wie man das Blatt wendet oder dreht: Kulturveranstaltungen mit Besucher*innen wird es in den nächsten Monaten nicht geben. Allein die Abstandsgebote und Hygieneauflagen sind nicht umsetzbar bei Konzerten oder Clubabenden. Das gilt genauso für die ganzen Open-Air-Festivals, Stadtfeste oder Sportveranstaltungen unter freiem Himmel oder in Hallen.

 

„Theater, Theater, der Vorhang geht auf …“ Katja Ebstein

 

Das kann die Menschen verzweifeln lassen. „Ich bin grundsätzlich positiv eingestellt, es gibt immer Chancen“, meint Jens Rotzsche, 54 Jahre, freier Mitarbeiter des Staatstheaters. Er ist dort Beleuchter und Requisiteur und manchmal Statist bei Aufführungen. Ein weiteres Standbein sind seine Illustrationen. Er ist im Vorstand der Darmstädter Illustratoren. Alles kreative Arbeitsfelder, die direkt von der Krise betroffen sind. „Meine Aufträge sind so gut wie auf null gesunken. Ich brauche nicht viel zum Leben, aber ein Großteil meiner kleinen Ersparnisse sind für die monatlichen Fixkosten bereits aufgebraucht.“ Die Hände einfach in den Schoß legen, ist seine Sache nicht. Statt direkt staatliche Hilfen zu beantragen, war er vor zwei Wochen in Eschollbrücken bei einem Spargelbauer zum Probearbeiten. „Das ist gut gelaufen. Die meinten, die können mich gebrauchen. Leider habe ich seitdem nichts mehr von ihnen gehört. Ich brauche das Geld. Nun muss ich sehen, wie es weitergeht.“

 

„The show must go on …“ Queen

 

Überall heißt es: Die Welt wird nach Corona eine andere sein. Inwieweit das zutrifft, bleibt abzuwarten. Wenn etwas fehlt, merken Menschen erst, wie selbstverständlich Dinge sind. So ist es mit der Kultur. Noch erfreuen sich eine Menge Leute an den kreativen Ideen im Netz. Zumindest die, die über einen Zugang verfügen. Aber das unmittelbare Erlebnis eines Theaterabends oder das Hochkochen der Emotionen bei einem packenden Konzert können durch keinen Stream oder Handyvideo aus dem Wohnzimmer ersetzt werden.

Wie sehen die Lösungen aus? Für die agierenden Künstler*innen auf der Bühne und die vielen unsichtbaren Arbeiter*innen im Dunkel am Rand derselbigen? Wie diese Krise überstehen? Müssen Staat, Bundesländer, Kommunen und Städte neben der Wirtschaft nicht auch im Bereich Kultur längerfristig mit finanziellem Engagement helfen? Wahrscheinlich deutlich länger als drei Monate. Mit mehr als Hilfen zu Betriebskosten? Die nächsten Monate sollten von allen Beteiligten genutzt werden, zu überlegen, ob nicht die Kommerzialisierung, teilweise bis in die Nische hinein, verändert werden muss. Ein Besinnen, worauf es bei Kultur ankommt. Ein Weniger könnte so viel Mehr bedeuten. Dazu abschließend inspirierende Worte vom Mastermind der Talking Heads:

„Auf unseren vorherigen Touren hatten wir uns, was die Beleuchtung angeht, immer an unser Dogma aus dem CBGB [legendärer Live-Club in New York] gehalten: weißes Licht, das am Anfang angeht und am Ende der Show gelöscht wird.“

David Byrne aus „Wie Musik wirkt“

 

Spendenkampagne der Goldenen Krone auf „GoFundMe“

Die Initiatoren der Spendenkampagne „Helft dem Krönchen durch ne harte Zeit!“ schicken vorneweg: „Das Krönchen steht da wie ein Fels in der Brandung, die spanische Grippe, zwei Weltkriege – nichts konnte es ins Wanken bringen.“ Doch dann kam dieses Virus, das auch noch den Namen einer wässrigen mexikanischen Biersorte trägt …

Um die laufenden Kosten zu decken, wird auf der Fundraising-Plattform „GoFundMe“ seit Mitte April dazu aufgerufen, Darmstadts ältester Kultur-Kneipe-Disco-Konzert-Location finanziell unter die Arme zu greifen. Wer das Krönchen supporten möchte, der gehe auf: gofundme.com/f/kronchen-durch-ne-harte-zeit