Illustration: Martina Hillemann
Illustration: Martina Hillemann

Erhobene Zeigefinger sind unentspannt und spießig. Leute, die anderen erklären, was sie wie zu tun und zu lassen haben, gibt’s schon genug. Was aber tut der Motzki, der nicht anders kann? Er eskaliert. Wohlan, hier kommt der ERHOBENE MITTELFINGER!

Eins vorweg: Ich fahre gerne schnell. Wenn ich (selten genug) von Rad, ÖPNV und Kleinwagen auf mein Motorrad umsteige, gebe ich auch mal Gummi. Koste das Gefühl der Beschleunigung aus, habe Spaß an schnellen Kurvenfolgen und gönne mir ab und an den Autobahnritt jenseits der 200. Deshalb gehöre ich noch nicht zu den Dränglern und Nötigern, starte keine hirnrissigen Überholmanöver auf gewundenen Landstraßen und fahre nicht auf dem Hinterrad durch 30er-Zonen. Am Ende der altersmäßigen 30er-Zone ist man hinreichend mit Vernunft gesegnet und hängt an seinem Leben. Wie die allermeisten Motorradfahrer tauge ich nicht zum Rowdy.

Zum Rumpelstilzchen reicht’s aber: Wenn Blinkmuffel meinen Weg kreuzen. Das Nichtblinken ist hierzulande zum Regelfall geworden. Die Gründe liegen auf oder besser: in der Hand. Wer beim Fahren telefonieren und Mails checken, den XXL-Trinkbecher vom Mäckes halten oder sich die Eier kraulen muss, hat keine Ressourcen frei für solchen Firlefanz. Kommunizieren beim Fahren? Auf jeden, auf allen Kanälen! Aber doch nicht mit anderen Verkehrsteilnehmern. Was gehen die mich an?

Soziologen und Verkehrspsychologen theoretisieren in Studien zur Verkehrsmoral über Gedankenlosigkeit, Ignoranz und Egoismus in der mobilen Gesellschaft. Ich sage: Es braucht keinen akademischen Hintergrund, um einen Blinkhebel zu bedienen. Als Autofahrer tut es der linke Mittelfinger, waagerecht. Und doch vergeht kein Tag, an dem man nicht überrascht wird. Von Vordermännern und -frauen, die plötzlich ohne erkennbaren Grund bremsen und anhalten. Aah, er möchte abbiegen … erkennen wir dann. Oder: Ooh, sie möchte einparken. „Blinken hilft!“, rufe ich ihnen durch die doppelte Wärmeschutzverglasung zu. Sinnlos.

Was innerorts meistens nur ärgerlich ist, wird auf der Autobahn richtig adrenalinisch. Da wechseln Vehikel aller Klassen lustig die Spuren, ohne das anzuzeigen. Wer auf der linken Spur einige hundert Meter freie Strecke vor sich sieht, sollte Gasfuß oder Gashand dennoch zügeln. Und zum Bremsen bereit sein. Denn, nur weil auf dem rechten Streifen keiner blinkt, heißt das längst nicht mehr, dass er – oder sie – nicht doch so frei ist, ganz spontan links rauszuziehen.

Für jene, die auf vier Rädern unterwegs sind, ist die grassierende Trägheit des linken Mittelfingers beschissen genug. Für Zweiradfahrer ist sie im Zweifelsfall tödlich. Der Autofahrer hat ABS, zwei bis zehn Airbags und eine ingenieurstechnisch optimierte stählerne Knautschzone an Bord. Verhält er sich dämlich und tranfunzelig genug, verhindert die Technik Schlimmeres. Gilt leider nicht für den Biker, der über die Klinge springt. Ihm bringen im Worst Case alle Vorsicht, Aufmerksamkeit, Antizipation, Reflexe und Akrobatik nix. Gleich nach Helm und Protektoren knacken die Knochen. Dann wird’s unappetitlich.

Ob inner- oder außerorts: (Links-)Abbiegen ohne zu blinken ist ein Attentat. Woher soll der Biker wissen, wieso der Vordermann plötzlich langsamer wird? Und wie sonst wird er reagieren, als mit einem kurzen Gasstoß, der ein Überholmanöver einleitet? Der flüssige Fahrstil ist im Sinne Aller – solange auch Alle nach denselben Grundregeln fahren. Blinkmuffel finden Regeln scheiße. Keine Zeit für so’n Quatsch. Texten, Quizduell und Cola – yo, da kann an Kotflügel oder Heck schon mal ein Biker einschlagen.

Wer schon mal einen Zweiradfahrer im Straßengraben verrecken gesehen hat, ist fortan vom Sinn des Blinkens überzeugt. Wenn er sich denn danach noch mal in ein Auto setzt. Schade, ihr Schwachköppe, dass es Saison für Saison erst so weit kommen muss. Im Kampf für die gute Sache, weise ich ab sofort jene, die ihre Blinker nicht benutzen, freundlich auf ihr Versäumnis hin. Mit dem ausgestreckten linken Mittelfinger, vertikal.