Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Bis vor einem Jahr war der Spitzname „Zimbo“ im Lilien-Universum für Jan Zimmermann reserviert. Der Keeper war bei den Aufstiegen in die 3. Liga und in die 2. Bundesliga der Rückhalt seines Teams. Der jüngste Aufstieg in die 1. Bundesliga wird auch wieder mit einem „Zimbo“ verbunden sein, allerdings mit Abwehrrecke Christoph Zimmermann. Der gebürtige Rheinländer kam vor der Saison von Norwich City zum SVD und entpuppte sich als Königstransfer.

Als die 98er nach dem Saisonstart Christoph Zimmermann ablösefrei verpflichteten, war längst nicht ausgemacht, dass der inzwischen 30-Jährige eine Säule im Spiel des SVD werden würde. Denn obwohl er Norwich nach fünf Jahren als Klublegende verlassen hatte, war er in Deutschland doch ein ziemlich unbeschriebenes Blatt. Nach England hatte ihn Daniel Farke gelotst. Er hatte Zimmermann bei der Zweiten von Borussia Dortmund trainiert und wollte in Englands 2. Liga nicht auf die Dienste des Abwehrspezialisten verzichten. Nach einer starken Premierensaison machte Farke Zimmermann zum Kapitän und als solcher führte er sein Team in die Premier League. Leider häuften sich dort nach einem üblen Foul des heutigen Dortmunders Sebastien Haller die Verletzungen bei Zimmermann. In den folgenden zweieinhalb Jahren war er immer wieder zum Zusehen gezwungen. Dennoch war er Teil des Teams, das nach einem zwischenzeitlichen Abstieg erneut in die Premier League einzog und sich dort wieder mit Liverpool, Man City und Co. messen durfte.

Im Sommer 2022 waren dann die Tage von Zimbo in Norwich gezählt. Durch eine Systemumstellung von Dreier- auf Viererkette benötigte der Klub einen Innenverteidiger weniger in der Startelf. Die Verletzungsanfälligkeit tat ihr Übriges. Nach 139 Partien verließ Zimmermann Norwich schweren Herzens. Der Fan-Liebling, der sich im Namen seines Klubs sozial engagierte und sogar an der Universität eine Vorlesung hielt, fand in den Lilien einen neuen Klub. Schon beim ersten Kontakt mit Torsten Lieberknecht hinterließ er mächtig Eindruck. Der Trainer der 98er bezeichnete das Treffen als eines der besten Erstgespräche, die er je mit einem Spieler geführt habe. Vermutlich, weil Zimbo nicht nur die charismatische Führungspersönlichkeit ist, die er in Norwich war, sondern weil der Verteidiger einfach ein sehr reflektierter und über den Fußballplatz hinaus interessierter Zeitgenosse ist. So hatte er ein Lehramtsstudium begonnen, ehe der Wechsel nach England folgte. Und dort zeigte er sich sehr aufgeschlossen und interessiert an Land und Leuten.

Vom Überraschungstransfer …

Dennoch war zunächst nicht klar, wie Zimmermann in Darmstadt einschlagen würde. Aufgrund seines Alters, seiner Rückkehr aus dem Ausland und seiner Verletzungshistorie lag der Vergleich zu Lasse Sobiech nahe. Der Routinier kam vorletztes Jahr aus Zürich zu den Lilien, spielte solide, fehlte aber häufig angeschlagen, sodass sich im Sommer 2022 die Wege wieder trennten. Sollte es mit Zimmermann ähnlich laufen? Mitnichten! Schon die Vertragslaufzeit über drei Jahre war ein Indiz, dass der SVD ihm einiges zutraute. Dass die Lilien mit ihm in der Verteidigung nachlegten, erschloss sich nicht jedem. Schließlich hatten die 98er den umworbenen Patric Pfeiffer gehalten und mit Thomas Isherwood, Clemens Riedel, Jannik Müller sowie Klaus Gjasula weitere Innenverteidiger-Anwärter. Der Schuh drückte nach den Abgängen von Luca Pfeiffer und Tim Skarke eher in der Offensive.

Doch Lieberknecht und sein Co-Trainer Ovid Hajou hatten andere Pläne. In der Verteidigung setzten sie auf eine Dreierkette mit drei nominellen Innenverteidigern. Ein System, das Zimbo in Norwich gespielt hatte. Vorne wurde eine offensive Planstelle eingespart, bis auch in der Rückrunde mit dem endlich genesenen Mathias Honsak und dem nachverpflichteten Filip Stojilkovic mehr Optionen da waren. War das Spiel der 98er in der Vorsaison noch wuchtig und offensiv ausgerichtet, aber auch defensiv anfällig, so spielten sie in dieser Spielzeit sehr viel kontrollierter und reifer. Zwar ging dies auf Kosten erzielter Tore, führte aber auch zu deutlich weniger Gegentoren. Und das trotz der zahlreichen Verletzten im Saisonverlauf. Eine Konstante blieb hingegen Zimmermann. Der als so verletzungsanfällig geltende Verteidiger avancierte vom Fleck weg zum Leistungsträger.

… zum Dauerbrenner

Nach Keeper Marcel Schuhen sowie Phillip Tietz und Marvin Mehlem kommt niemand auf mehr Einsatzzeiten als Zimbo. Er verpasste lediglich eine Zweitligapartie: den Auswärtssieg beim HSV, da er zum zweiten Mal Vater wurde. Und so schwang sich die neue Nummer 4 zur festen Größe im Defensivverbund auf. Der „kicker“ sieht ihn in den Top Ten der notenbesten Abwehrspieler der 2. Liga. Schon in der Winterpause verortete ihn das Fußballmagazin in der Kategorie „herausragend“. Sein Stellungs- und Kopfballspiel ist überragend. Seine Passquote liegt bei starken 85 Prozent. Hinzu kommt: Seine zahlreichen Zweikämpfe führt er bemerkenswert fair. Bis zum 33. Spieltag hatte er laut „kicker“ 68 Prozent aller Zweikämpfe und Kopfballduelle gewonnen. Im Kampf um den Ball verzeichnete das Onlineportal Bundesliga.com für Zimmermann im Saisonverlauf gerade einmal zwölf (!) mickrige Fouls. Einzig seine Torgefahr nach Standards ist bei seiner Kopfballstärke ausbaufähig. Bislang kommt er auf keine Torbeteiligung.

Alles in allem haben die 98er mit Zimbo einen herausragenden Spieler und eine große Persönlichkeit gewonnen. Auch ohne Kapitänsbinde (wie noch in Norwich) übernahm er sofort Verantwortung und auch das Kommando. Bereits bei seinem ersten Einsatz gegen Sandhausen kommunizierte er auffallend viel mit seinen Teamkameraden, die er erst ein paar Tage kannte. Durch seine beiden Aufstiege mit Norwich in die Premier League wusste er zudem bereits im Winter in meinem Kickschuh-Blog zu berichten, auf was es im Aufstiegskampf ankomme: „Qualität und Teamgeist. Man spürt relativ schnell, ob man ein eingeschworener Haufen ist und sich etwas Besonderes entwickelt. Das ist nicht leicht zu kreieren, dazu braucht es schlichtweg die richtigen Charaktere, die sich füreinander aufopfern und ihre Rolle zu jeder Zeit professionell annehmen.“ Und das haben die Lilien, denn sie sind nun tatsächlich wieder erstklassig. Nicht zuletzt dank Zimmermann. Fehlt nur noch, dass ihm die Fans des SVD einen Song widmen, wie es in Norwich der Fall war. Wer den Chant hören will, der muss nur „Christoph Zimmermann – Song – Norwich City“ bei Youtube eingeben. Schon landet er in einer Aufnahme, in der im März der größte Fan-Podcast von Norwich City Zimbo zu Gast hatte. Schon nach wenigen Sekunden stimmt der Norwich-Fan den Chant an: „Dö-dö, dö-dö-döö-dö … Chris-toph Si-mmer-män!“

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias „Matze“ Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

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