Döll rechnet ab – mit sich selbst. Spielsucht, Depressionen, Existenzängste. Auf seinem Debütalbum konfrontiert der aus Eppertshausen stammende Rapper sich und seine Hörer mit brutaler Ehrlichkeit. „Nie Oder Jetzt.“ erscheint acht Jahre nach Dölls erster Veröffentlichung – und fünf Jahre, nachdem er 2014 bereits mit „Weit Entfernt“ eine erfolgreiche EP lieferte, die als Klassiker der Szene gilt und ihm damals eigentlich Tür und Tor für eine steile Karriere öffnete. Doch stattdessen: Funkstille. Überwältigt und überfordert von der Resonanz stürzt Döll in eine mentale Krise – und kämpft sich zurück. 2017 erscheint im Schulterschluss mit seinem Bruder Mädness das Erfolgsalbum „Ich Und Mein Bruder“. Jetzt legt der „Junge aus ner Arbeiterfamilie, der nur Rap kann“ nach: „Nie Oder Jetzt.“ ist ein emotionales und schonungslos persönliches Album geworden. Es ist das Psychogram eines genialen Geschichtenerzählers, der mit ergreifender Dichtkunst jetzt schon, zu Beginn des Jahres, die vielleicht beste deutsche Rap-Platte 2019 rausgehauen hat.
Vor wenigen Wochen ist Dein Debütalbum „Nie Oder Jetzt.“ erschienen – acht Jahre nach Deinem ersten Release. Wieso hat die Platte so lange auf sich warten lassen?
Döll: Das hat mehrere Gründe. Als 2011 die Platte mit Nomis erschien, lebte ich bereits in Spanien. Ich war drei Jahre in Madrid. Bei meiner Rückkehr habe ich direkt die EP „Weit Entfernt“ rausgebracht, fing dann aber auch zeitgleich an, ganz normal zu arbeiten … dann kam die Platte mit Marco [Marco Döll alias Mädness]. Nach Veröffentlichung der EP 2014 hatte ich eigentlich mit den Arbeiten für das jetzt erschienene Album begonnen. Verzögert wurde das Ganze zum einen durch das „Ich Und Mein Bruder“-Album, zum anderen stand ich mir selbst sehr lange im Weg. Ich war psychisch über ’nen längeren Zeitraum nicht sonderlich fit. Da gab’s immer wieder uncoole Phasen. Die habe ich jetzt im Griff. Leider Gottes ist deswegen erst jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem ich bereit war, das Album zu veröffentlichen.
Daher auch der Titel „Nie Oder Jetzt.“?
Genau. Also der Titeltrack der Platte heißt auch so, darin geht’s um en bissie was anderes, aber die Aussage „Nie Oder Jetzt.“ umreißt einen der Gedanken hinter dem Album. Entweder bringe ich das Teil jetzt raus oder mache das nie mehr, ich mach nie mehr ein Solo-Album. Auch soundtechnisch gibt’s einiges zu hören, das ich genau jetzt oder eben nie mehr bringen wollte. Die ersten Songs der Platte habe ich nämlich tatsächlich auch schon vor drei, vier Jahren geschrieben.
Hattest Du damals nach der EP und bis zur Veröffentlichung einfach eine Phase, in der Du die Musik aus den Augen verloren hattest?
Gar nicht, zu gar keinem Moment. Es wäre genug Material vorhanden gewesen, um 2015 direkt nachzulegen. Das ist jetzt jammern auf ultra-krassem Niveau, aber dadurch, dass die „Weit Entfernt“-EP damals so gut ankam, war ich in der Situation, Anrufe, E-Mails, Angebote zu bekommen, die ziemlich krass waren. Irgendwie wollte ich dann auf keinen Fall einen Fehler machen. Alles penibel richtig machen. Daran bin ich etwas zerbrochen. Das hat mich überfordert. Ich stand mir selbst im Weg. Zeitgleich war ich psychisch nicht so wirklich auf dem Level. Dann kam 2017 die Platte mit Marco …
… „Ich Und Mein Bruder“, die Platte mit Mädness, die ziemlich eingeschlagen ist. Ihr seid beide nach längerer Funkstille richtig durchgestartet.
Das hat vieles auf ein anderes Level gebracht. Wir haben mit der Veröffentlichung unglaublich viel gelernt. Auch was das Live-Ding angeht. Die Touren, die Festivals … ich kann mich noch erinnern, als ich in der Krone die Release-Party zur EP gespielt habe. Da war einfach nur der Gedanke: Okay, krass, wir können eine Release-Party machen? Irgendwie habe ich ein Set von 30, 45 Minuten zusammengestellt und zittrig auf der Bühne gestanden. Mittlerweile ist das anders. Marco und ich, wir spielen beide super gerne live und überlegen, wie wir mit unseren Konzerten über klassische Rap-Shows hinausgehen können. Wir haben einen Sänger und DJ dabei und im Set immer Kleinigkeiten, um den Leuten mehr zu bieten, als nur die reine Performance-Ebene.
Mädness und Du, zusammen habt Ihr zuletzt auch echt krasse Konzerte gespielt. Von der Krone aus ging es für Dich an der Seite Deines Bruders ins Vorprogramm von K.I.Z. in die größten Hallen der Republik.
K.I.Z. … ich weiß nicht, ob Du die schon mal gesehen hast … die haben zum Beispiel einen Panzer auf der Bühne, der nach vorne rollt und es fliegen Geldscheine bedruckt mit dem Gesicht einer der Band-Mitglieder. Das mitzuerleben, das professionelle Umfeld – auch wie die mit Menschen vor, neben und auf der Bühne umgehen – davon konnten wir viel lernen.
Wie fühlt sich’s jetzt an, nach einer solch langen Zeit das Soloalbum endlich in den Händen zu halten?
Aktuell super. Ich habe tatsächlich wenig Zeit über alles nachzudenken. Das Album veröffentliche ich nämlich selbst, ohne Label im Rücken. Ich habe alles selbst in die Hand genommen. Ich habe nicht mal eine Promo-Agentur. Das ist keine Beschwerde: „Oh, des is sooo viel Abbeid …“ Ich mach’s gerne, ist aber auch überwältigend. Keine Wochenenden, keine Feiertage – gut, die hast du als Selbstständiger, als Musiker sowieso nicht. Mir ist klar, dass ich nicht die Musik mache, mit der ich übermorgen den neuen Spotify-Weltrekord aufstelle. Aber das, was zurückkommt, freut mich extrem. Als vor ein paar Wochen die Info kam, dass die Juice [bundesweit relevantes HipHop-Magazin und Sprachrohr der Szene] „Nie Oder Jetzt.“ zum Album der Ausgabe kürt – das war echt geil. Fühlt sich super an!
Die Entscheidung, das Album komplett in Eigenregie, ohne Label, zu veröffentlichen ist sicherlich ein mutiger Schritt gewesen.
Ohne mir selbst auf die Schulter klopfen zu wollen, aber wenn ich nach der Solo-EP 2014 schneller nachgelegt hätte, wäre ich, glaube ich, heute als Künstler ziemlich sicher an einem anderen Punkt. In diesem Moment ist „Nie Oder Jetzt.“ auch der Versuch, mich dahin zurückzukämpfen, wo ich mich eigentlich sehe, wo ich denke, dass ich eigentlich hingehöre. Damals habe ich das nicht geschafft. Deswegen will ich es diesmal aus eigener Kraft stemmen. Mir fällt es mitunter auch generell schwer, Sachen aus der Hand zu geben …
Also auch der Gedanke der Wiedergutmachung?
Das ist total das Ding. Ich hätte auch die Möglichkeit gehabt, das Album über verschiedene Labels laufen zu lassen. Für mich stand jedoch schon zu Beginn der Produktion fest, mit welchen Leuten ich für die Platte zusammenarbeiten will. Egal ob Beats, Mix, Mastering, Videos, Fotos et cetera. So stand die Frage im Raum: Wieso soll das überhaupt ein Label machen? Jedenfalls kann ich Dir mittlerweile ganze Wikipedia-Artikel über die Herstellung von Vinyl schreiben. Das ist echt ’ne scheiß Wissenschaft! [lacht]
Vom Artwork bis zu den Beats: Entstanden ist Dein Album in Zusammenarbeit mit Leuten, die Dich als Musiker bereits seit vielen Jahren begleiten: Yassin, Torky, Gibmafuffi …
Stolz ist ein schwieriges Wort. Aber wenn ich an die EPs zurückdenke – sowohl die von Mädness [„Maggo“, 2014] als auch meine – … dass das alles so einen Anklang in der Szene gefunden hat, macht mich schon stolz. Denn alles, was wir damals gemacht haben, ist im Freundeskreis entstanden. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert, außer dass Leute hinzugekommen sind. Auf freundschaftlicher als auch musikalischer Ebene. Durch den Umzug nach Berlin ist zum Beispiel das Verhältnis mit Yassin noch viel enger geworden – wir arbeiten auch mehr zusammen. Ich kenne jeden Beat-Produzenten der Platte persönlich. Mit den Leuten, mit denen ich im Studio bin, hänge ich danach auch privat ab. Wobei das manchmal auch zu viel wird. [lacht]
War der Umzug nach Berlin ein Katalysator für Deine Musik?
Das klassische Ding ist ja irgendwie: Du kommst aus – keine Ahnung – Süd-Sindelfingen und ziehst nach Berlin, um „Megastar“ zu werden. War bei mir halt überhaupt nicht so. Wir wollten die „Ich Und Mein Bruder“-Platte mit Yassin und Torky machen, das war klar. Und die beiden wohnen eben dort. Dann war die Frage einfach: Fahren wir dreimal die Woche von Darmstadt nach Berlin und sind die ganze Zeit im Zug oder ziehen wir einfach da hin? Also sind wir nach Berlin gezogen. Abgesehen davon hat keinen von uns zu dem Zeitpunkt sonderlich viel in Darmstadt gehalten …
Das Album ist sehr persönlich geworden. Schonungslos ehrlich und sprachlich sehr direkt. Du gibst viel von Dir preis. War es ein Wagnis, sich mit solchen Texten in die Öffentlichkeit zu stellen?
Ja, total. Bei vielem, das ich mache, frage ich mich selbst wirklich: Kannst Du das bringen? Willst Du das in der Öffentlichkeit sagen? Weniger weil es mir um mich geht, sondern gerade weil es nicht nur mich betrifft. Meine Familie, Freunde, mein Umfeld. Ich will ja nicht, dass meine Mutter beim Rewe an der Kasse gefragt wird: „Hier, Ihr Bub, isch hab‘ da was bei dem eine Lied gehört … stimmt des?“ Die Frage stellte ich mir oft. Grundsätzlich waren Rap und Musik immer extrem wichtig für mich, weil ich mich in vielen Songs wiederfinden konnte. Und so pathetisch das auch klingt: Es hat mir immer Kraft gegeben, einen Halt. Das ist auch meine Motivation. Ich will das, was die Musik anderer mir gegeben hat, auch anderen geben. Mir schreiben Leute oft, dass sie sich mit meinen Texten identifizieren können, ähnliche Dinge erlebt haben oder dass die Musik ihnen Kraft gibt.
Hat das Musikmachen für Dich einen therapeutischen Effekt?
Wenn du auf ein Blatt Papier schreibst, was dich gerade stört, was für dich problematisch ist, dann verschwindet das nicht aus deinem Leben. Aber klar: Es gibt viele Songs auf der Platte, bei denen ich schlucken musste … bei denen ich echt geweint habe. Deswegen: Eine Form von Therapie ist das auf jeden Fall, aber auch keine finale Lösung. Wenn ich auf Tour bin, acht Konzerte gespielt habe, setzt schon auch der Gedanke ein: So, jetzt spiele ich noch mal das Programm von gestern Abend … aber trotzdem erinnere ich mich an den jeweiligen Moment, in dem ich den Song geschrieben habe. Das versetzt mich – zumindest teilweise – in die Emotion, in der ich war. Auch das empfinde ich wie Therapie. En bissie. Es ist eine Form von Verarbeitung. Auf jeden Fall.
Auf der Platte findet sich auch das Stück „64“. Eine Hommage an Südhessen, die Region zu der Du immer ein ambivalentes Verhältnis hattest. Hat Dich das Heimweh gepackt?
Ich kann mich noch gut daran erinnern: Tesk – mit dem habe ich damals angefangen Mukke zu machen – kommt auch wie ich aus Eppertshausen. Nach Abitur und Zivildienst, bevor ich nach Spanien gegangen bin und er ebenfalls ins Ausland, saßen wir bei ihm im Keller und haben Pläne geschmiedet: „Jo, ich gehe nach Madrid!“ Tesks Vater, mittlerweile leider verstorben, meinte: „Jungs, voll cool, dass Ihr Euch Gedanken macht. Macht das, fahrt überall hin. Aber früher oder später werdet Ihr auch wieder hierher zurückkommen.“ Klar, Berlin ist super, aber der größte Teil meines sozialen Umfelds ist weiterhin hier in der Ecke verortet. Entweder in Darmstadt oder in Offenbach. Das ist jetzt theatralisches Gebabbel, aber man wird nie so sehr auf einem Nenner sein wie mit Leuten, die man seit der Jugend kennt, mit denen man 15 Jahre durch die Scheiße gegangen ist. Das sind bei mir nicht mehr so viele. Aber die, die das noch sind, sind alle hier. Deswegen fühle ich mich der Region weiterhin extrem verbunden. Das ist eine Form von Hassliebe. Ich wäre nicht weggezogen, wenn ich es hier so traumhaft finden würde, weißte. Dennoch: Ich pendle seit sieben, acht Jahren entweder von Madrid, Stuttgart oder jetzt Berlin hierher. Am Ende des Tages ist Berlin auch nur eine riesige Blase, gerade die Musikindustrie: Küsschen links, Küsschen rechts und immer schön „Netzwerk erweitern“. Das ist nichts für mich.
„Nie Oder Jetzt.“ fürs Plattenregal
Dölls Solodebüt ist am 11. Januar 2019 als Vinyl, CD und digital erschienen, auf Platz 15 der Album-Charts gelandet und überall erhältlich.
www.instagram.com/doelloffiziell
„Nie Oder Jetzt.“ live
Die Release-Tour zum Album führt Döll natürlich auch in die Region!
Zoom, Frankfurt | Sa, 09.03. | 20 Uhr | 20 €
Win! Win! Das P verlost 2 x 2 Tickets für das Konzert.