Illustration: Lisa Zeißler

„Und plötzlich ging alles ganz schnell.“ Dieser Satz mag für Pandemien und Naturkatastrophen gelten, für Revolutionen und die Liebe. Für (das digitale) Darmstadt galt er bislang nicht. Viel zu bräsig war man in der ehemaligen Beamten- und heutigen Wissenschaftsstadt mit all‘ den Möglichkeiten umgegangen, die sich durch die Digitalisierung geboten haben. Mal fehlte das Geld, mal fehlte die Infrastruktur, mal fehlten die Fachkräfte. Irgendwas war immer.

Doch dann kam der Juni 2017. Und Darmstadt gewann den Wettbewerb „Digitale Stadt“ des IT-Branchenverbandes Bitkom. Die Stadtväter (und -mütter) begannen, davon zu träumen, wie es wohl wäre, eine digitale Modellstadt mit internationalem Leuchtturmcharakter zu werden. Neue Technologien sollten den Alltag der Menschen erleichtern. Und die Digitalstadt Darmstadt GmbH sollte über allem wachen. „Geht doch!“, dachte manche/r im Stillen.

Aber … zu früh gefreut! Denn schon Ende 2019 kam die Ernüchterung: Nach zweieinhalb Jahren Förderung waren nur sechs Projekte realisiert worden, einige weitere sind „in Umsetzung“. Die Umsetzung zieht sich wie Kaugummi, der Alltag der Bürger indes läuft weitgehend analog weiter. Kulturwandel durch Digitalisierung? Von wegen.

Im März 2020 geschieht dann das Unerwartete: Ein fieser kleiner Virus macht sich breit und löst eine Pandemie aus. Nichts geht mehr. Und alle müssen umdisponieren und sich irgendwie arrangieren.

Wir haben uns gefragt: Was hat das mit der Digitalstadt gemacht? Hat jetzt etwa Corona geschafft, was bislang keiner geschafft hat?

Wir haben uns umgehört und festgestellt, dass:

1. … vormals wenig internetaffine Geschäftsleute inzwischen entdeckt haben, dass man Kunden auch per Telefon und Mail beraten kann. Und dass es so etwas wie Liefer- und Abholservice, „Digitale Schaufenster“, Websites und Social Media gibt. Sachen gibt’s.

2. … Arbeitgeber gemerkt haben, dass ihre Mitarbeiter auch mal unbeaufsichtigt (!) von zu Hause aus arbeiten können. Wer hätte das gedacht?!

3. … Ärzte nichts mehr gegen Videosprechstunden einzuwenden haben, denn: manchmal will/muss man ja vielleicht auch nicht immer so nah ran. Oder?!

4. … Lehrer inzwischen gern mit „Kollege Computer“ zusammenarbeiten! Auf einmal stehen schon am Montagmorgen alle Schulaufgaben pünktlich im Mail-Postfach oder auf der Lernplattform zum Bearbeiten bereit. Keiner ist krank. Nichts fällt aus. Keine Ausreden mehr. Läuft!

5. … Musikunterricht, zum Beispiel die geliebte Gitarrenstunde, aber auch Therapiestunden beim Psychologen dank Skype weiterhin stattfinden. Nun allerdings aus dem Homeoffice … Australien und Alaska lassen grüßen!

6. … die hessischen Hochschulen digital durchstarten. Sowohl die TU Darmstadt als auch die Hochschule Darmstadt wollen das Sommersemester 2020 möglichst präsenzfrei gestalten. Vorerst wird es nur Online-Vorlesungen, Webinare, virtuelle Lernräume, Sprechstunden und Prüfungen per Videokonferenz geben. Erst im Juni sollen dann, wenn möglich, wieder Präsenz-Lehrveranstaltungen, Laborpraktika und Exkursionen stattfinden. Lehrende der Hochschule Darmstadt werden zudem mit einem Moodle-Kurs bei der „Lehre in Zeiten von Corona“ unterstützt.

7. … das Echo-E-Paper, die digitale Ausgabe des Darmstädter Echos, seine Leser nun schon um 20.30 Uhr (statt bisher 22 Uhr) am Vorabend erreicht. Sportereignisse und Nachrichten, die danach eintrudeln, werden in einem „Nachtlauf“ aktualisiert. Aktueller geht’s nicht! Und auch Euer Lieblingsstadtkulturmagazin – dieses P – ist nicht mehr nur als schnödes PDF online zu lesen, sondern erscheint als schickes E-Paper auf dem Fullscreen, zum Blättern und mit komfortablen Tools. Na endlich!

8. … sämtliche Künstler und Kulturorte online gegangen sind. „Darmstadts schnuggeligstes Showgirl“ Aurora DeMehl, das Staatstheater Darmstadt, die Schriftstellerin Antje Herden, Showmaster Florian Harz, Hörspielautor Ivan Leon Menger, das Kunstforum der TU Darmstadt, das Landesmuseum, Karsten Gollnow, der neue Kulturpfarrer der Stadtkirche, der Uppercut Club, Darmstädter DJs und Bands – sie alle streamen live oder präsentieren sich kreativ und frisch in knackigen Online-Formaten. Nice!

Mag sein, dass wir weitere lobenswerte Beispiele vergessen (oder noch nicht mitgeschnitten) haben. Und dass dies alles nur winzige Schritte auf dem Weg zur Digitalisierung sind. Aber eines ist nach mehr als einem Monat Corona-Lockdown einfach Fakt: So steil wie jetzt ging die kollektive digitale Lernkurve noch nie nach oben! Hoffen wir, dass die Macher der Digitalstadt Darmstadt die Gunst der Stunde nutzen. Nie mehr lesen möchten wir in Zukunft unter städtischen Stellenausschreibungen Sätze wie diese hier: „Haben wir Ihr Interesse geweckt? Dann freuen wir uns auf Ihre schriftlichen Bewerbungsunterlagen. E-Mail-Bewerbungen können nur zur Fristenwahrung dienen.“