keithspalding
Foto: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt

Stolpersteine, Gedenktafeln und Mahnmale erinnern auch in Darmstadt an die Opfer der Nazi-Herrschaft. Doch diese Form der Erinnerung ist irgendwie abstrakt. Wer waren die Menschen, die in unserer Stadt verfolgt oder gar ermordet wurden? Welche Schicksale stecken hinter Namen und Daten? 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erzählt das P die Geschichten einiger dieser Darmstädter.

Karl Heinz Spalt, geboren am 15. Mai 1913 in Darmstadt, wuchs in der früheren Steinstraße [heute: Wilhelm-Glässing-Straße; Anm. d. Red.] in der Darmstädter Innenstadt auf. Schon als Schüler war er aktives Mitglied im Bund religiöser Sozialisten und der Deutschen Friedensgesellschaft. Ende 1932 erschien sein Buch „Kultur oder Vernichtung“, eine dokumentarische Geschichte des Pazifismus, das von den Nazis kurz nach deren Machtübernahme verboten und im Mai 1933 auch der Bücherverbrennung zum Opfer fiel. Der Verhaftung durch die Darmstädter Gestapo entging Spalt im März 1933 mit knapper Not und konnte sich nach Wien retten. Sein weiterer abenteuerlicher Fluchtweg, den er zu großen Teilen zu Fuß zurücklegte, führte ihn 1934 über Polen und Paris nach England, wo er als Pazifist insbesondere bei Gleichgesinnten in Reihen der Quäker Unterstützung fand. Vortragshonorare und Stipendien ermöglichten ihm dort ein Studium bis zur Promotion.

Karl Heinz Spalt wurde bei Kriegsbeginn 1939 – wie zahllose andere deutsche Flüchtlinge – interniert, kam jedoch als anerkannter Gegner Nazi-Deutschlands bald wieder frei. Die deutschen Bombenangriffe auf englische Städte und die militärischen Erfolge der Nationalsozialisten ließen Spalts pazifistische Überzeugung zerbrechen. Er trat in die britische Armee ein und arbeitete während des Zweiten Weltkriegs unter anderem an deutschsprachiger Propaganda mit, die als Flugblätter hinter der deutschen Front abgeworfen wurde. 1945 marschierte er mit britischen Truppen von Belgien aus in Aachen ein, wo er den Aufbau demokratischer Pressearbeit unterstützte.

„33 – alles umsteigen“

Im Sommer 1945 besuchte Karl Heinz Spalt seine Eltern in Darmstadt, die den dortigen Bombenangriff vom September 1944 überlebt hatten. Deutschland und Darmstadt waren ihm jedoch fremd geworden, weshalb er sich nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst für ein Leben in Großbritannien entschied. Er nahm den englischen Namen Keith Spalding an und begann eine erfolgreiche Universitäts-Karriere. Als Sprachwissenschaftler wurde er auch in Deutschland hoch geschätzt, weshalb ihm die Universität Tübingen 1972 die Ehrendoktorwürde verlieh. 1975 ehrte ihn der Bundespräsident für seine Verdienste um die englisch-deutsche Verständigung mit dem Großen Verdienstkreuz.

Seine autobiografischen Erinnerungen – ihr bezeichnender Titel: „33 – alles umsteigen“ – schildern detailreich seine Jugend- und Schulzeit sowie die kulturelle und politische Atmosphäre in Darmstadt vor 1933. Aber auch auf seine Flucht durch Europa, den mutigen Aufbau einer Existenz in der Emigration und seine Mitwirkung an der Befreiung Nazi-Deutschlands im Dienst der britischen Armee blickt Spalding zurück. Das Buch endet mit der endgültigen Entscheidung im Jahr 1946 für ein Leben in England, wo er heiratete und sein persönliches wie berufliches Zuhause fand.

Im Vorwort zu Spaldings Autobiografie schrieb Herbert Heckmann, damaliger Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der Autor habe mit seinen Aufzeichnungen nicht allein den Darmstädtern ein großes Geschenk gemacht, „aus dem wir viel lernen können: Zivilcourage, politischen Scharfblick und die Lebenslinien einer Stadt in schwerer Zeit.“

Karl Heinz Spalt alias Keith Spalding ist am 21. September 1997 in Wales gestorben.

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