Grafik: Rocky Beach Studio
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Wenn der Anlass nicht so unerfreulich wäre, dann müsste man dem Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) dankbar sein. Denn es hat für einen doch recht langen Moment dafür gesorgt, dass unter den Fans des SV Darmstadt 98 etwas entstanden ist, das man am Böllenfalltor so oft nicht registrieren kann: Einigkeit. Aber dass es dafür erst ein törichtes Urteil gegen Innenverteidiger Benjamin Gorka braucht, bereitet nun auch keine Freude. Drei Spiele Sperre, weil der Schiedsrichter von Gorka mit „Hurensohn“ beschimpft worden sein will, was im ganzen Heidenheimer Stadion niemand gehört hat und selbst den DFB-Richter arg zweifeln ließ.

Nun ja, aber der Verband schützt halt seine Pfeifen (-männer) – so, wie der Staat gelegentlich seine Polizisten schützt, die etwas eifrig ihre Pfefferspraydüsen direkt in die Gesichter von fußballverrückten Teenagern halten.

Und so waren beim Heimspiel gegen Halle alle Gorka. Plötzlich regierte bei A- und F-Block sowie den Senioren auf der Gegentribüne seltene Solidarität – ja, ja, so ein gemeinsamer Feind schweißt halt zusammen. Da wünscht man sich doch, der DFB würde jede Woche so einen Käse verzapfen, damit sich auf den Rängen des Böllenfalltorstadions alle unterhaken und für „die Sache SV Darmstadt 98“ streiten.

Denn wer will denn ernsthaft behaupten, dass etwa diese für Nichtmundartler schwer nachvollziehbare „Druff-Kappell“-Aktion wirklich etwas gerissen hat (außer der wirklich lobenswerten Schnee-Schipp-Aktion vor dem Heimspiel gegen Osnabrück)? Was soll diese krude Bewegung überhaupt, wenn nach 15 Spielminuten doch wieder das Team ausgepfiffen wird, ohne zu berücksichtigen, dass auf dem zerfurchten Rasen gerade einmal der Tabellenvorletzte um den Drittligaverbleib ackert? Wer feinen Vertikaldoppelpassundübersteigerfußball sehen will, soll sich ein Sky-Abo kaufen – am Böllenfalltor wird geboten, was gerade noch möglich ist: Maloche.

Darmstädter Spieler klagen stets, dass es zwischen Mannschaft und Fans keine Einheit gibt – außer bei Auswärtsspielen. Daheim gibt’s dagegen einen Anspruch an einen Fußball, der nur von Menschen mit einer bedenklichen Persönlichkeitsstruktur formuliert werden kann. Motto: „Wenn ich schon einen beschissenen Alltag habe, dann soll mir wenigstens die Mannschaft neunzig Minuten Glücksgefühle bescheren. Wenn auch nur jeden zweiten Samstag. ICH bemühe mich eigens ins Stadion, um EUCH beim Spielen zuzusehen. ICH war schließlich schon hier, als die „Lilien“ noch erstklassig waren. Und nur durch einen Irrtum der Geschichte müssen WIR jetzt Mannschaften aus Babelsberg oder von Stuttgart II ertragen.“

Es ist dann auch egal, in welchem Block man steht oder sitzt – es grölt mehr oder weniger ähnlich von allen Seiten. Da reihen sich auch die Besserzahler im C- oder gar S-Block gerne mit ein. Doch vielleicht will der Darmstädter das ja auch, dieses Leiden, dieses angeekelte Sich-Echauffieren über einen Mangel, dieses ostentative Beleidigtsein über einen sich nicht erfüllenden Anspruch. Vielleicht will er mal so richtig alles rauskotzen, was ihm seine Alte daheim nicht gestattet. Oder der Chef. Vielleicht kompensiert er damit sein ereignisloses Mittelmaßleben, so wie er sich immer seine schlechten Verhältnisse gerne schön redet: „Seht her, es gibt welche, die noch schlechter dran sind als ich.“

Wie töricht.