_MG_6154
Foto: Jan Ehlers

Es gibt diese Alpträume, die jeder kennt, von typischen menschlichen Ängsten genährt: Monsterverfolgung, Zombies, Sterben und Verlust von geliebten Menschen und Tieren.

Besonders quälen mich Träume, in denen gar nichts mehr funktioniert. Man muss sich gegen einen Peiniger wehren, doch die Arme sind wie gelähmt, man will einfach nur schnell weglaufen oder jemanden verfolgen, doch die Beine lassen sich kaum von der Stelle bewegen. Man ist absolut handlungsunfähig und kann an seiner eigenen Misere nichts verbessern. Im Gegenteil: Durch das Nichtstun und Nicht-vom Fleck-Kommen verschlimmert sich der Alptraum auf ein größtmögliches Maß.

In meinem Fall träume ich die berufstypische Ausprägung dieses Schlaferlebnisses in Verknüpfung mit der Auflegerei. Ich habe schon oft geträumt, dass ich am DJ-Pult stehe und einfach kein Folgelied finden kann. Im Pioneer-Display sehe ich die Sekunden verrinnen, ich gerate immer mehr unter Zeitdruck und werde trotzdem immer langsamer, Beine und Arme lassen sich nicht mehr willkürlich kontrollieren (ähnlich wie beim Off-Beat-Tänzer). CDs lösen sich in meinen Händen in Staub auf, sind einfach weg, fallen runter etc. Noch bemerkt die tanzende Menge von all dem nichts, ich schaue wieder auf die ablaufende Zeit, es bleiben nur noch wenige Sekunden, doch es ist mir noch immer nicht möglich, einen Tonträger zu erhaschen.   Heilloses Durcheinander im Kopf, Panik und Angstschweiß und plötzlich: Stille. Was dann passiert, weiß ich nicht genau, jedenfalls werde ich nicht geteert und gefedert, weder ausgebuht noch ausgelacht. Einfach Stille und ich wache gestresst und am Rande eines Nervenzusammenbruchs auf.

Träumen Köche auch, sie hätten plötzlich keine Messer, Töpfe und Pfannen mehr? Träumen sie, dass sie nicht mehr in der Lage sind, ein gewöhnliches Spiegelei zu braten, während ein Bon nach dem anderen in die Küche flattert und eine hungrige Meute im Gastraum die Messer wetzt? Ich assoziiere einen Fünf-Sterne-Gourmet-Koch, der schreiend und schweißgebadet neben seiner hübschen Frau aufwacht: „Schatz, was ist passiert? Wieder die Zwiebel, die sich nicht würfeln lässt?“.

Im Gegensatz zum menschlichen Versagen gibt es noch die Auflege-Alpträume, die von technischen Problemen handeln. Dabei verschwinden teilweise ganze Gerätschaften oder CD-Player und Plattenspieler lassen sich von einem auf den anderen Moment nicht mehr bedienen. Diese Alpträume haben allerdings ihre angsteinflößende Wirkung auf mich verloren, nachdem ich bereits zwei Mal realen technischen Totalausfällen zum Opfer fiel. Zwei faktisch wahr gewordene DJ-Alpträume (mal abgesehen von den frechen Teeniegören und anderen wichtigen Stammgästen, bei denen ich ebenfalls regelmäßig Gefahr laufe, mir eine posttraumatische Störung einzuhandeln), beide durch Alkoholika Alkoholika verursacht.

Alkohol, häufig des DJs guter Freund und doch zugleich größter Feind, besonders bei ungezügeltem Eigengenuss – doch vor allem bei Verabreichung an „Außenstehende“: Damit meine ich alles, was sich außenstehend in DJ-Nähe befindet, und in diesem speziellen Falle das Mischpult. Es war nicht mehr zu retten, und die ganze Veranstaltung war um halb drei komplett beendet. Jeder kann sich denken, dass die Ausgeprägtheit des Eigenkonsums des DJs meist stark mit der Bewässerung der unmittelbaren Pultumgebung korreliert. „Früh Feierabend heute“, habe ich damals gedacht; und seitdem ich weiß, dass man überraschenderweise überlebt, wenn das Soundsystem ausfällt und man sogar noch erhobenen Hauptes auf einen Scheidebecher ins Herkules gehen kann, habe ich den technisch induzierten Auflege-Alptraum nie mehr geträumt. Muss ich auch nicht, denn ich werde nun in regelmäßigen Abständen im besagten Club von einer großen Warntafel an die damalige Szenerie erinnert. In großen Lettern werden alle DJs freundlichst darauf hingewiesen, dass wer da oben „Blumen gießt“ oder nicht aufpasst, dass es andere (meist Teeniegören und Stammgäste in Pultnähe) nicht tun, einen Kredit und Zweitjob aufnehmen muss, um den entstehenden Schaden zu begleichen.

Meine Empfehlung an alle DJ-Kollegen lautet seither: If you can’t find your headphone plug / You’d better be careful with your beer mug / And if you can’t handle your beer / Keep your hands of the gear.

Schöne Träume.

Ihr lest Montagsgedanken – Tagebuch eines DJs. Mein Name ist Doris Vöglin.

 

Wer ist eigentlich Doris?

Doris Vöglin ist die eine Hälfte des DJ-Duos „DontCanDJ“ – bekannt aus Schlosskeller („Elektroschule“), 603qm und Centralstation. Seit einiger Zeit schreibt sie ihre „Montagsgedanken“ für den Blog www.bedroomdisco.de. Seit November 2012 erscheint ihre Kolumne auch im P.

www.facebook.com/DontCanDJ