Foto: Jan Ehlers
Foto: Jan Ehlers

Wir waren gerade im Club „Halle 02“ (Heidelberg) angekommen, tranken gemütlich unseren ersten Radler und sollten gegen eins, halb zwei mit dem Auflegen anfangen, als ich auf einen Off-Beat-Tänzer deluxe aufmerksam wurde [siehe Montagsgedanken P-Ausgabe Juni 2013]. Nerdig mit schwarzem Knopfhemd und braver Stoffhose stakste er unbeholfen zum Beat umher. Plötzlich löste sich der Tänzer aus seiner Gruppe und lief auf unsere Sitzecke zu. Zielstrebig steuerte er ausgerechnet mich an.

„Entschuldigung“, begann er. Ich beugte mich zu ihm, um ihn bei der lauten Musik (die Bässe dröhnten und die Musik hatte an Progressivität zugelegt) besser verstehen zu können, und erwartete eine der obligatorischen Fragen wie: „Seid Ihr heute Abend die DJs?“ oder „Wann legt Ihr denn auf?“. Doch ich sollte eines Besseren belehrt werden, denn er sagte: „Entschuldigung. Hast Du Lust, einen Discofox mit mir zu tanzen?“ Ich hatte genau verstanden und fragte trotzdem noch einmal nach, um Missverständnissen vorzubeugen und seine Mimik abzuchecken: „Äh, was?“ Er wiederholte mit ruhiger und selbstbewusster Stimme: „Möchtest Du einen Discofox mit mir tanzen?“

Liebe P-Leser, ich sag‘ Euch, so was denkt man sich nicht aus – solch eine blühende Phantasie habe ich nicht. Der Bursche fragte tatsächlich auf eine so charmante und naive Weise, dass ich mir sofort darüber bewusst war: Der meint das todernst. Keine Verarsche, kein dummer Anmachspruch oder peinlicher Versuch eines lustigen Gesprächseinstiegs. Und er löste mit Sicherheit auch keine verlorene Wette ein. Nein, dieser Mann wollte ungelogen einen Discofox avec moi aufs Tanzparkett legen.

Ich antwortete ruhiger, als ich es mir jemals zugetraut hätte, mit „Nein“ und erklärte, dass ich keinen Discofox tanzen könne, da ich niemals einen Tanzkurs besucht hätte. Er nahm meine Absage sichtlich enttäuscht, doch ebenso verständnisvoll entgegen und verabschiedete sich höflich. Natürlich blickte ich ihm skeptisch nach, aber keiner seiner Freunde nickte ihm fragend zu, niemand grinste. Es dauerte einige Sekunden, bis ich die ganze Situation verdaut hatte. Ringsherum befragten mich alle ganz neugierig, was dieser Mann richtig gemacht hatte, um mich derart zu beeindrucken, bis schließlich ein ungläubiges Gelächter aus mir herausplatzte. Ungläubig, nicht spöttisch!

Doch wieso eigentlich nicht spöttisch? Eigentlich war die Frage doch mehr als peinlich gewesen? Das Lachen blieb mir im Halse stecken: Und wieso hatte er gerade mich gefragt?! Ich beobachtete ihn und musste nach einer Weile mit Schrecken feststellen, dass er nach mir keine der anderen Frauen zum Discotanz bat. Er musste also mich ausgewählt haben, da ich wohl am ehesten so aussah, als hätte er bei mir die größte Erfolgschance. Scheiße! Bin ich etwa schon wieder die Älteste hier im Laden? Nein. Kann man mir meine heimliche Sehnsucht nach Standardtänzen etwa schon ansehen? Oder ist der Typ einfach nur verrückt?

Trotz allem fühlte ich mich ein wenig geschmeichelt und bedauere im Nachhinein, dass ich mich nicht einfach mal darauf einließ. Heute male ich mir sogar aus, was wohl passiert wäre, wenn ich dieses unmoralische Angebot angenommen hätte. Ich hätte der Star des Abends sein können und vor allem hätte es an dieser Stelle weitere Details zu berichten gegeben. Manche warten ihr Leben lang auf den oder die Richtige, auf die große Liebe, den einzigen richtigen Moment. Ich aber habe die Chance auf den einen, richtigen Tanz kläglich vertan.

Eine Woche später hatte ich eine ähnliche Begegnung in einem Darmstädter Club, als ein unbekannter Gast hinters DJ-Pult trat und sich gemütlich dort niederließ, als säße er immer direkt auf Augenhöhe mit meinem Hinterteil. Als er meine Aufmerksamkeit erhaschte, fragte er mich, ob ich schon immer so „auditiv“ veranlagt sei? Zwar keine ganz alltägliche Frage, doch im Vergleich zur Tanzeinladung eher eine klare Enttäuschung. Der Gast – kein Sheldon Cooper, trotzdem Physiker, wie sich später herausstellte – erklärte mir anschließend während des laufenden Discobetriebs, englische Wissenschaftler hätten erforscht, dass der Intelligenzquotient bei einem Strandurlaub messbar abnehme und bei einem Wanderurlaub steige. Okay!? Mich haut so bald nichts mehr vom Hocker – und gleich morgen, nachdem ich im Odenwald wandern war, melde ich mich in der nächsten Tanzschule zum Grundkurs an.

Ihr lest Montagsgedanken. Tagebuch eines DJs. Mein Name ist Doris Vöglin.

 

Wer ist eigentlich Doris?

Doris Vöglin ist die eine Hälfte des DJ-Duos „DontCanDJ“ – bekannt aus Schlosskeller („Elektroschule“), 603qm und Centralstation. Seit einiger Zeit schreibt sie ihre „Montagsgedanken“ für den Blog www.bedroomdisco.de nieder. Seit November 2012 erscheint ihre Kolumne auch im P.

www.facebook.com/DontCanDJ