Foto: Nouki Ehlers, nouki.co

Ausgerechnet als Lilian Teymouri die Premiere der neuen Boombox feiern möchte, will das Darmstädter Ordnungsamt die Genehmigung sehen. Dabei demonstrieren die hauptsächlich iranischstämmigen Menschen schon seit Oktober jeden Mittwoch in der Innenstadt – selbstverständlich ordentlich angemeldet und in Begleitung der Polizei. Vielleicht ist es wirklich die beeindruckende Lautstärke des reisekoffergroßen Lautsprechers, die das Ordnungsamt heute zum ersten Mal auf den Plan gerufen hat. Nach nicht mal drei Minuten sind die Beamten zufriedengestellt. „Die Polizisten haben uns gesagt, dass sie es gut finden, was wir machen“, sagt Teymouri. Dann steigt sie wieder auf das Podest, unter das Dach des Pavillons, um freudig den von Spenden finanzierten Verstärker einzuweihen.

Angesichts des Terrors, den die Sittenpolizei im mehr als 4.000 Kilometer entfernten Iran gegen junge Frauen, Männer und deren Familien ausübt, scheint auch diese völlig harmlose Szene auf dem Darmstädter Luisenplatz beklemmend. In den seit Oktober 2022 anhaltenden Protesten hat das Ajatollah-Regime nach UN-Angaben mindestens 527 Demonstrant:innen erschießen oder zu Tode prügeln lassen. Mehr als 15.000 Menschen wurden festgenommen. Vor allem Frauen, Jugendliche und Kinder sind in den Gefängnissen systematischer Folter und Vergewaltigungen ausgesetzt. Um den Widerstand der Bevölkerung zu brechen, verüben mutmaßlich Regimeanhänger mittlerweile sogar Giftgasanschläge gegen Schulmädchen in ihren Klassenzimmern.

„Jeder Iraner, der sich in der Öffentlichkeit zeigt und das Regime kritisiert, setzt sich einer Gefahr aus“, sagt Teymouri. Das gelte auch für das Ausland. „Exiliraner leben grundsätzlich nicht in Sicherheit.“ Den Iran zu bereisen und die Verwandtschaft zu besuchen, komme für die 27-Jährige schon seit einigen Jahren nicht mehr infrage, seit sie für das Rote Kreuz mit politisch Geflüchteten gearbeitet habe.

Doch was können die Demonstrant:innen schon von Darmstadt aus bewirken? „Die Revolution findet auch online statt“, sagt Teymouri. „Das ist sehr wichtig, denn das kommt auch im Iran an.“ Vor allem über Instagram sind die Aktivist:innen weltweit vernetzt. „Uns schreiben Angehörige von vom Regime Ermordeten, dass sie unseren Protest wahrnehmen und er ihnen Kraft gibt.“ Auch deshalb „motivieren wir uns jeden Mittwoch aufs Neue und werden weitermachen, bis die Revolution erfolgreich ist.“ Waren es anfangs noch weit über hundert Menschen, kommen auch nach einem halben Jahr noch rund 80 Aktive regelmäßig zu der Demonstration – auch bei Regen. Zwei junge Männer verteilen dann warmen Tee und Schokotoffees.

Foto: Nouki Ehlers, nouki.co
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Einigkeit im Protest für Menschenrechte

Auch der Landtagsabgeordnete Bijan Kaffenberger (SPD) und die Bürgermeisterin Barbara Akdeniz (Grüne) unterstützen den Protest regelmäßig. An einem der ersten schönen Frühlingstage überbringt Bijan Kaffenberger, der anders als sein Vorname vermuten lässt, keine persischen, aber neben seinen deutschen auch marokkanische Wurzeln hat, eine verstörende Nachricht: Die Aktivistin Sepideh Qolian, für die Kaffenberger eine politische Patenschaft übernommen hat, ist nach vier Jahren in Haft freigekommen, nur um von den Religionsgarden nach wenigen Stunden vor den Augen ihrer Familie erneut verschleppt zu werden. „Seitdem ist sie nicht mehr aufzufinden“, sagt Kaffenberger, der nun das Schlimmste befürchtet. Auch Akdeniz, die fast jeden Mittwoch kommt, um den Demonstrant:innen Mut zuzusprechen, hat eine Patenschaft übernommen. Die Aufgabe als Patin sei vor allem, regelmäßig den Botschafter anzuschreiben. „Ich habe keine Antwort bekommen“, sagt Akdeniz. Aber „das nervt die“, ergänzt Kaffenberger.

Foto: Sebastian Weissgerber
Foto: Sebastian Weissgerber
Foto: Sebastian Weissgerber
Foto: Sebastian Weissgerber

Zu den Redner:innen gehören auch Rainer Braun von Amnesty International Darmstadt sowie der aktuelle Stipendiat für verfolgte Schriftsteller und Journalisten des PEN-Zentrums und der Stadt Darmstadt, Pezhman Golchin, der eines seiner persischen Gedichte vorträgt. Gegen Ende bildet die Gruppe stets als festes Ritual einen großen Kreis, in dem sich alle an den Händen fassen. Dazu spielen sie das Lied „Dasteto Bede Man“ – auf Deutsch: „Reiche mir die Hand“.

Jeden zweiten Mittwoch geht es danach noch in den Schlosskeller. Dort spielt dann die aus dem Jemen geflüchtete Mariam Al-Absi auf der orientalischen Kurzhalslaute Oud. Es gibt kurze Filme zu sehen – und für diesen einen Abend Mitte April hat sich Elahe Fallahi ein „Spiel“ ausgedacht: In Kleingruppen sollen die Gäste die ihnen bekannten Menschenrechtsverletzungen im Iran aufzählen, einen Organisationsplan für eine Kundgebung erarbeiten, eine Social-Media-Kampagne konzipieren und Briefe an Poltiker:innen entwerfen. „Dass wir uns wiederfinden, dass wir wieder zueinander gefunden haben, dass wir einander wieder Nähe schenken … das ist – egal, wie die Revolution ausgeht – schon ein Sieg“, sagt Yassna Arshadi. Ihr Optimismus ist spürbar.

 

„Jin. Jiyan. Azadî.“

Demonstration jeden Mittwoch ab 17 Uhr auf dem Luisenplatz.

Manchmal daran anschließend Lesungen, Diskussion und Performances im Schlosskeller, genaue Termine kurzfristig unter:

instagram.com/fraulebenfreiheit.darmstadt