Foto: Nouki

In der Werkstatt von Leon Runde duftet es nach Orangenöl, mit dem er gerade das Griffbrett einer neuen Gitarre eingerieben hat. Und nach Kaffee, der auf einer kleinen elektrischen Herdplatte vor sich hin köchelt. Der Raum an der Heidelberger Straße ist hell, durch die vielen Fenster fällt jede Menge Vormittagssonne herein. Daran, dass sich hier einmal das Labor einer Apotheke befunden hat, erinnern nur noch ein paar dunkelrot gekachelte Arbeitsflächen. Einige Hobelspäne liegen herum – und machen das Werkstatt-Ambiente perfekt.

Gitarrenbauer wollte der heute 33-Jährige eigentlich schon mit 18 werden. Doch nach einer anstrengenden und wenig motivierenden Schulzeit fehlte Leon die Motivation, direkt eine Ausbildung zu absolvieren. „Ich hatte den starken Drang, erst mal selber Musik zu machen“, erinnert er sich. Und das gelang ihm auch, während er sich mit verschiedenen Jobs über Wasser hielt. Es folgte eine fünfjährige Freiberuflichkeit, in der Leon Künstler wie Michael Patrick Kelly oder Bands wie die Donots und die Broilers auf Tour begleitete. Als Backliner bereitete er das Equipment vor und reparierte Instrumente – meist unter hohem Zeitdruck. „Diese schwarz angezogene Person, die mitten im Konzert auf die Bühne rennt und eine Gitarre tauscht, die war ich.“ Doch nach einiger Zeit tauchte der Wunsch, Gitarrenbauer zu werden, wieder auf. „Da hatte ich dann das Gefühl, dass ich die nötige Ruhe habe, um mich jetzt festzulegen.“

In Meister Quenzels Werkstatt

Die Berufsfachausbildung zum „Zupfinstrumentenmacher, Fachrichtung Gitarrenbau“, wie sie ganz offiziell heißt, absolviert Leon dual. Dazu gehören sowohl der Besuch der Staatlichen Berufsschule für Musikinstrumentenbau in Mittenwald – einer von nur zweien, die die Ausbildung deutschlandweit anbieten – als auch das praktische Lernen in einem Betrieb. Jemanden zu finden, der ausbildet, ist allerdings eine Herausforderung, denn für kleine Betriebe ist es oft schwierig, eine Ausbildungsstelle zu stemmen. Leon ruft so ungefähr alle Gitarrenbauer:innen in Deutschland an. Überall: Fehlanzeige. Doch schließlich hat er Glück: Gitarrenbauer Markus Quenzel, der in Biebergemünd im Spessart einen Ein-Mann-Betrieb führt, nimmt ihn als Lehrling auf. An seine Ausbildungszeit erinnert sich Leon gerne zurück. Eines der ersten Dinge, die er bei Quenzel lernt, ist das Werkzeugschärfen. Klingt banal, ist es aber nicht, denn „mit einem stumpfen Werkzeug kann man einfach nicht arbeiten.“ Im Sommer 2022 besteht Leon seine Gesellenprüfung und ist damit eine von nur rund zehn Personen, die die Ausbildung in Deutschland jährlich abschließen.

Eine Weile arbeitet Leon weiter als Geselle in Meister Quenzels Betrieb. Die Selbstständigkeit will gut vorbereitet sein. Bei einem Selbstständigkeits-Coaching lernt er die Basics, parallel stockt er seine Werkzeugwand auf und spart auf unerlässliche Maschinen. Im November 2024 ist es dann so weit: Leon eröffnet seine eigene Werkstatt an der Grenze zwischen Bessungen und dem Verlegerviertel. Auf Darmstadt fällt seine Wahl aus mehreren Gründen. Der entscheidendste: In der Stadt gibt es bislang keinen Gitarrenbauer. Stattdessen aber die Akademie für Tonkunst, an der man klassische Gitarre sogar studieren kann, die Darmstädter Gitarrentage und das international renommierte Jazzinstitut – also jede Menge Bedarf.

Foto: Nouki
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Eine „fast meditative“ Arbeit

Zwischen den individuellen Einzelanfertigungen, wie Leon sie macht, und industriell hergestellten Gitarren liegen Welten. Durch auf Massenproduktion ausgerichtete Arbeitsprozesse und mit der Hilfe computergesteuerter Fräsen, die bei großen Herstellern zum Einsatz kommen, kann dort in 20 Stunden eine Gitarre entstehen. In Leons Werkstatt sieht das etwas anders aus. Bevor er eine Gitarre baut, zeichnet er sie. Im Stehen, mit Bleistift und Zeichenplatte, 1:1. Jeder Winkel muss stimmen, um zu verhindern, dass ein unspielbares Instrument entsteht. Dann sägt Leon die einzelnen Gitarrenteile aus sorgfältig ausgewählten Hölzern aus, biegt die Zargen, die empfindlichen Seitenteile, in einer speziellen Vorrichtung und stellt Griffbrettmarkierungen aus zu diesem Zweck aufbereiteten Knochenstücken her.

Der Sägebogen seines Vaters, einem Goldschmied, kommt bei Leon für Intarsien, den kunstvollen Einlegearbeiten aus Holz, zum Einsatz. Damit man in der fertigen Hochglanzoberfläche die Poren nicht sieht, füllt er diese mit Bimsmehl, bevor er in stundenlanger Feinarbeit dünne Schellack-Schichten mit in ein Leinentuch eingewickelter Schafswolle aufträgt. „Das ist fast meditativ“, meint Leon, der bei der Arbeit nie Musik oder ein Hörbuch hört, sondern die Stille genießt. Nur in dieser Ruhe kann er die Liebe zum Detail, die ihm so wichtig ist, in jeden seiner Arbeitsschritte einfließen lassen. Der Arbeitsaufwand hänge stark von der Holzart ab, erklärt Leon. Cocobolo sei zum Beispiel herausfordernd, weil es bei der Bearbeitung stark auf helles Holz abfärben könne. Ebenholz und Ahorn ließen sich außerdem schwieriger biegen als Palisander oder Mahagoni. „Natürlich kommt es dann auch darauf an, wie stark verziert so eine Gitarre ist. Da knackt man dann auch schon mal die 200 Stunden.“

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Vorbild: der „Stradivari des Gitarrenbaus“

Wer den Bau einer handgemachten Gitarre in Auftrag gibt, nutzt das Instrument in der Regel beruflich – oder erfüllt sich damit einen großen Wunsch. Auch E-Gitarren würde Leon bauen, wenn jemand dies in Auftrag gibt. Sein Fokus liegt jedoch auf klassischen akustischen Gitarren, wie sie Antonio de Torres, „der Stradivari des Gitarrenbaus“, um 1850 geprägt hat. Angesichts des hohen Arbeitsaufwands kann Leon pro Jahr nur acht bis zehn Instrumente fertigen. Der Klang sei dabei für ihn das Wichtigste. Aber auch die Bespielbarkeit sei entscheidend. Dabei komme es auf die richtige Form des Halses an, darauf, wie nah die Saiten am Griffbrett und an den Bünden beieinander liegen oder auf unkomfortable Details in der Haptik. „Das ist sehr essenziell. Es sind nicht Millimeter, sondern Zehntelmillimeter, die entscheiden, ob ein Instrument zu einem Lieblingsinstrument wird“, weiß Leon.

Von Nachhaltigkeit und Mammutknochen

Wo die Industrie synthetische Leime verwendet, kommen bei Leon sogenannte Warmleime zum Einsatz, die aus Tierknochen oder -haut bestehen. Wo er Stunde um Stunde, Schicht für Schicht den Schellack aufträgt, um das Holz zum Glänzen zu bringen, wird in der Industrie eine dicke Lackschicht aufgesprüht. Die filigranere Handarbeit wirke sich aber nicht nur positiv auf den Klang der Gitarren aus, sondern auch auf ihre Reparierbarkeit. Instrumente aus der Massenproduktion seien anfälliger für Reparaturen. Der Preis dafür übersteige jedoch oft den Kaufpreis der Gitarren selbst, wodurch sich eher eine neue gekauft werde. „Ich finde es sehr schade, dass so viele Gitarren in ziemlich einfacher Qualität gebaut werden, die unglaublich viele Ressourcen sehr verschwenderisch nutzen. Holz, aber natürlich auch Arbeitskraft“, erklärt Leon seinen möglichst ethischen und nachhaltigen Ansatz.

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Neben dem Bau neuer Gitarren führt der Fachmann in seiner Werkstatt auch Reparaturen durch. Vom Aufziehen neuer Saiten über Risse bis zum gebrochenen Gitarrenhals war schon alles dabei. Auch Teilrestaurierungen, bei denen historisch akkurat vorgegangen und ganz genau dokumentiert werden muss, sind gefragt. Für die zum Teil sehr alten Instrumente, die Leon restauriert, hat er ein besonderes Ass im Ärmel: ein Stück Mammut-Elfenbein, das er von einem ehemaligen Restaurator geschenkt bekommen hat. Wenn Griffbrettmarkierungen ersetzt werden müssen, würde neuer Knochen farblich nicht mehr zu den alten passen. Der Jahrtausende alte Mammut-Stoßzahn funktioniere in solchen Fällen perfekt.

Irgendwann selbst einmal jemanden auszubilden, kann Leon sich gut vorstellen. Doch das ist momentan noch Zukunftsmusik. Aus rechtlichen Gründen müsste er dafür nämlich erst den Meistertitel erwerben. Bis dahin liegt der Fokus ganz auf seiner Darmstädter Werkstatt. Wenn Leon nicht dort ist, geht er auf Konzerte in der Akademie für Tonkunst und im Hoff-Art Theater oder ins Hessische Landesmuseum, wo es sogar einen kleinen Bereich für Musikinstrumente gibt. Außerdem besucht er gern die Mathildenhöhe und holt sich aus den unterschiedlichsten Kunststilen Inspiration für die Verzierung seiner Gitarren.
Die Entscheidung, nach Darmstadt zu gehen, hat der weit Herumgekommene (von Korbach über Berlin bis Münster) bislang nicht bereut. „Die lebendige Musikszene hier ist sogar noch viel toller, als ich gedacht habe.“

leonrunde-gitarren.de