Kein anderer Ort in Darmstadt hat so viele Darmstädter geprägt, durch die Pubertät und die darauf folgenden Jahre begleitet wie die „Krone“. Trotzdem wissen viele erstaunlich wenig über das alte Gebäude und die Menschen dahinter. Außer vielleicht, dass nach dem Tod von Tili Wenger und Fred Hill im Jahr 2004 mit Peter Gleichauf am 30. Dezember 2008 die letzte der drei Krone-Ikonen, die Darmstadt kulturell wie persönlich geprägt haben, verstorben ist.
Die „Goldene Krone“ ist das älteste Gebäude der Darmstädter Altstadt und das einzige Haus dort, das die Brandnacht vom 11. auf den 12. September 1944 unbeschadet überstanden hat. Erbaut wurde sie 1656 und in den seitdem vergangenen Jahrhunderten war sie die meiste Zeit Gaststätte und gleichzeitig Stammsitz der Familiendynastie Wiener, in deren Hand sich lange Zeit das Darmstädter Biermonopol befand. Auch heute ist das Gebäude in ihrem Besitz–noch. Aber dazu später mehr.
Von der der Gaststätte zum Darmstädter Ausgehmonopol
1975 eröffneten Tilman Wenger und Peter Gleichauf die Krone in ähnlicher Form, wie wir sie heute kennen: Unten Kneipe, Talentbühne und Disco, oben Bühne, „Odenwaldzimmer“, Fernsehraum, Kino und „Rocky Bar“ mit Billardtisch. „Multimediahaus“, nannten sie das. In allen Ecken und Winkeln voll gestellt mit Jukeboxen, obskuren Automaten, Flippern, Tischtennisplatte und Kickern. Geöffnet war fast jeden Tag, und je nach Wochentag und Programm betrug der Eintritt 2 bis 5 Mark.
Sonntagnachmittags, zwischen zwei und halb acht, gab es eine Teenie-Disco für alle unter 18, und die Kneipe war ab zehn Uhr morgens offen für die, die keine Lust auf Schule hatten. Das vielseitige Konzept kam gut an, und die beiden wurden gefragt, ob sie es nicht auch in Heidelberg umsetzen wollten, wo so der Schwimmbadclub entstand (kurze Zeit später verkauften sie ihn an seinen heutigen Geschäftsführer).
Die weitere Geschichte kennt jeder vom eigenen Erleben oder zumindest vom Hörensagen: Die Krone brummte und wurde zum Darmstädter Ausgehmonopolisten, in dem Künstler wie Nina Hagen, Jango Edwards, Trio, Ideal, Nena, Bap, Eric Burdon, Pretty Things, Spider Murphy Gang, Steve Gibbons Band, The Wailers, Konstantin Wecker, Mick Taylor oder Chris Jagger vor ihrem mehr oder weniger großen Durchbruch auftraten.
Die Krone – Heimat und Job zugleich
Mitte bis Ende der Neunziger bekam die Krone dann immer mehr Konkurrenz. Das CaféKesselhaus eröffnete, der Schlosskeller wurde professioneller, 1999 begann die von der Stadt subventionierte Centralstation ihre Kulturarbeit, vier Jahre später das 603qm. Als Folge blieben der Krone immer mehr die Gäste aus und man musste das Programm anpassen. Die eigenen Veranstaltungen wurden reduziert und man setzt seitdem verstärkt auf externe Veranstalter.
Julius Gleichauf, Sohn von Peter Gleichauf und seit 2004 Geschäftsführer der Krone, sieht seinen Job auch als „Ehrensache gegenüber Tili und Peter“. Und natürlich gegenüber dem Gebäude, in dem er, seit er acht ist, lebt. Die Krone ist für ihn Heimat und Job zugleich. Seine Aufgabe ist häufig eher die eines Restaurators, denn eigentlich muss konstant an dem alten Gebäude, „der ewigen Baustelle“, wie er sagt, gearbeitet werden. Sei es erhaltend, wie aktuell an der Fassade zum Hof, oder modernisierend, wie kürzlich durch die Nachrüstung einer modernen Brandmeldeanlage.
Die Zukunft des alten Gemäuers
Und das wird so weitergehen! Denn: Julius Gleichauf als Geschäftsführer der neu gegründeten Freunde der Goldene Krone GmbH wird die Krone kaufen: „Das ist ebenfalls Ehrensache. Die Krone zumachen geht nicht“, sagt der 30-Jährige. „Auch dem Besitzer, Wiener-Kronenbräu-Prokurist Heinz Unvericht, liegt die Krone so, wie sie ist, am Herzen.“
Inzwischen seien viele der notwendigen Papiere unterschrieben und Gespräche mit der Bank geführt. „Es sieht sehr positiv aus für den Julius“, bestätigt Unvericht auf Anfrage. Der Bauverein werde in der Krone also kein Museum einrichten und auch das Gerücht vom Abriss ist damit entkräftet, resümiert Gleichauf erleichtert.
Aber was verändert sich sonst noch? „Man muss die Krone nehmen, wie sie ist, die Krone ist einmalig“, findet der künftige Besitzer. So besinnt man sich auch wieder auf die eigenen Wurzeln, auf das, was die Krone besonders gemacht hat. Viele der Spielautomaten, die über die Jahre kaputtgegangen sind und ihren Weg in den Keller fanden, werden repariert und wieder aufgestellt. „Da fragen viele Leute von früher danach. Die Räume müssen nicht nur durch Leute belebt werden, sondern auch durch Attraktionen. Man muss wieder mehr Flair in die leeren Gänge bringen.“
Es geht immer weiter
Auch der Neustart der Homepage jetzt im Februar zeigt, dass es keinen Stillstand gibt. „Es geht immer weiter“, sagt Julius. Wenn zum Beispiel das Gerüst im Hof wieder abgebaut ist, soll dieser im Sommer auch als Biergarten genutzt werden. Sogar die Klos stehen irgendwo auf der langen Liste der zu renovierenden Dinge: „Immer, wenn Geld da ist, wird renoviert.“ Und was ist mit Veranstaltungen? „Eigentlich kann hier jeder veranstalten. Wir stellen den Raum gegen eine kleine Miete, das ist eher ein Unkostenbeitrag.“ Na also, Darmstadts Kreative: Traut Euch!
Eines sollte aber klar sein, betont Julius: „Man kann hier keinen Schicki-Micki-Schuppen draus machen.“
Gebäude:
Das Haus in der Schustergasse 18 … überstand nicht nur die Brandnacht 1944, sondern sämtliche Kriege der letzten 350 Jahre und einige verheerende Hochwasser – und den Cityring. Diese wundersame Standhaftigkeit sollte 1994 belohnt werden, als man das Gebäude unter Denkmalschutz stellte.
Gerüchte und Geschichten
Eines der hartnäckigsten Krone-Gerüchte ist die Geschichte vom Besuch des Kaisers Napoleon, der angeblich im ehemaligen Restaurant „Zur Goldnen Krone“ gespeist haben soll. Achtung: Dies stimmt nicht, denn es war „nur“ sein Neffe, Charles-Louis-Napoleon Bonaparte III.
Korrekt ist allerdings, dass Friedel Ernst – uns allen besser bekannt als die legendäre „Eis Friedel“ vom Schloss – 1941 nach Darmstadt kam und in der Krone als „Mädchen für alles“ anheuerte. Bei ihrem Abschied bekam sie als Geschenk eine Eismaschine. Der Rest ist Geschichte.
In den 1930er Jahren galt die Gaststätte als Hotspot der Darmstädter Politik: Zwischen Nazis, Kommunisten, Freimaurern und anderen kam es des Öfteren zu Ausschreitungen, die nicht selten erst von der Polizei beendet werden konnten. Im Zuge dessen brachte die SA bei den ansässigen Firmen Merck und Röhm & Haas Hinweise an, die Krone zu meiden. Und für die Hobby-Detektive unter uns: 1894 metzte Bildhauer Wagner zwölf bildhafte Darstellungen in den Sandstein über den Krone-Fenstern. Die sehr charakteristischen Köpfe sind vermutlich Erinnerungen an alte Stammgäste und Darmstädter Originale. Um wen könnte es sich dabei handeln?
Großer Preis für den Gerstensaft
Das Bier… hört auf den Namen „Wiener Kronenbräu“ und genießt im lokalen Volksmund den Ruf als „Koppwehbier“, vor allem in der Ausführung „Pils“. Aus Lebensmittelkontrolleurs-Sicht zu Unrecht: 1991 gewinnt die Wiener Kronenbrauerei – wie schon mehrmals zuvor – bei der DLG-Qualitätsprüfung den großen Preis für ihren Gerstensaft „Export“. Dieses Kunststück ist bis dato noch keiner anderen hiesigen Brauerei gelungen. 1893 erwirbt Philipp Adam Wiener in der Dieburger Straße 93 ein weitläufiges Gelände und lässt darauf eine Brauerei mit geräumigen, tiefen Kellern und zwei Brunnenstuben errichten. Auf dem Brauereigelände wird 1925 ein Biergarten angelegt, der – 1974 von Krone-Mitbegründer Peter Gleichauf wiederbelebt – noch heute existiert und uns wunderschöne Sommerabende beschert.
Quelle: Förderkreis Freunde der Goldenen Krone (Herausgeber): 350 Jahre Goldne Krone Darmstadt – erbaut 1656. Chronik in Buchform. 2006. 62 Seiten, mit vielen historischen Bildern. Für 20 Euro bei der Buchhandlung Habel & Schlapp und in der Krone-Kneipe erhältlich–ebenso in der Kneipe: die Doppel-DVD „Krone–der Film“ (2005), eine 4-Stunden-Doku mit etlichen Live-Ausschnitten.