Grafik: Feline Hammer (Heinerblocks Darmstadt)

Darmstadt kann grün, Darmstadt kann bio, Darmstadt kann nachhaltig – mittlerweile sogar ganz schön gut! In unserer Reihe „Das gute Leben“ stellen wir Euch Menschen und ihre Konzepte vor, die uns zeigen, wie das gehen kann.

„Eigentlich wollen wir nur, dass die Städte wieder denjenigen gehören, für die sie ursprünglich gebaut wurden: den Menschen.“ Als ich mit Johannes Rümmelein und Maximilian Keiner (beide 23) in Max‘ Wohnzimmer sitze, schaut der aus dem geöffneten Fenster: „Allein in so einem gewöhnlichen Straßenblock sieht man ja schon, dass jetzt auch die Innenbereiche bebaut sind. Und das war so eigentlich nicht geplant, das hätte ja mal genau diese Stadtoase sein sollen, die wir uns vorstellen – mit Grünbereichen und Begegnungsplätzen innerhalb dieser Viertel. Und das ist dann halt für dichtere Bebauung und Parkplätze gewichen, je höher die Nachfrage und die Grundstückspreise gestiegen sind“, erklärt Max. Johannes fügt hinzu: „Es sollte in Wohnvierteln möglich sein, dass auf der Straße gespielt wird. Und solche Orte müssen wir wieder mehr schaffen. Dafür muss sowohl ruhender als auch fließender Verkehr aus den Vierteln weichen.“

Max und Johannes sind Mitglieder der Initiative „Heinerblocks“, die ihren Ursprung in der Klimaentscheid-Initiative hat und deren Begrifflichkeit, wie Max und Johannes erzählen, ursprünglich von der Grünen-Politikerin Stefanie Scholz geprägt wurde. Und tatsächlich hat die Politik in Darmstadt scheinbar keine allzu abweichenden Ansichten zum Thema „Wohnen der Zukunft“: Im Koalitionsvertrag, den Bündnis 90/Die Grünen, CDU und Volt für die aktuelle Legislaturperiode (2021 bis 2026) geschlossen haben, ist bereits die Rede von „neuen Wohnquartieren mit hoher Lebens- und Aufenthaltsqualität, in denen das Auto nicht der dominierende Faktor ist“. Namentlich sind hier Lincoln-Siedlung, Ludwigshöhviertel und Kranichstein erwähnt. Doch mindestens genauso erstrebenswert sind neue Verhältnisse in den Bestandsvierteln, finden die Darmstädter:innen, die sich für das Projekt „Heinerblocks“ stark machen.

Die Stadt als ein Ort für Menschen

Auch das sehen die Verfasser:innen des Koalitionsvertrags offensichtlich ähnlich: „Innerhalb der aktuellen Legislaturperiode realisieren wir ein autoarmes Bestandsquartier als Pilotprojekt. Dabei wird durch Quartiersgaragen und die Ausweisung von Anwohnerparken der Anteil des Autoverkehrs stark reduziert“, heißt es da.

Klingt erst mal gut? Klar. Doch so eine Legislaturperiode ist lang, und nicht erst einmal sind einzelne Bestandteile solcher Ankündigungen „wichtigeren“ Themen zum Opfer gefallen. Das weiß auch Johannes, der neben seinem Maschinenbaustudium Mitglied bei den Grünen ist. „Uns geht es darum, sicherzustellen, dass das, was im Koalitionsvertrag angekündigt wurde, auch wirklich umgesetzt wird – und dass es schnell passiert“, sagt er.

Die Idee der Wohnblocks, in denen Anwohner:innen, Passant:innen und Radfahrende Priorität haben und die für den motorisierten Durchgangsverkehr gesperrt sind, hat sich zum Beispiel in Barcelona längst etabliert. Dort wurde schon 1993 das erste Quartier, der Stadtteil Born, für sämtlichen Durchgangsverkehr gesperrt. Zehn Jahre später gab es drei sogenannte „Superblocks“ in der katalanischen Hauptstadt, heute ist es bereits eine gute Handvoll – in Vierteln wie Gracia, Poblenou und Sant Antoni. Geht es nach der aktuellen Stadtverwaltung unter Bürgermeisterin Ada Colau, entstehen in den kommenden Jahren bis Jahrzehnten ganze 500 Superblocks in Barcelona.

Ajuntament de Barcelona (Superblocks Barcelona)
Foto: Ajuntament de Barcelona (Superblocks Barcelona)

In Barcelona längst etabliert: Autoarme Quartiere

Die Stadtplanung ist hier nicht mehr auto-, sondern menschenzentriert und erhöht nicht nur Lebensqualität und Sicherheit der Anwohner:innen, sondern senkt auch Emissions- und Feinstaubwerte vor Ort. Im Gegensatz zum von vielen befürchteten Geschäftesterben gibt es dort heute eher mehr lokale Geschäfte und Gastronomie. Auf den mittlerweile von Pflanzen und Hochbeeten gesäumten Straßen spielen Kinder, ihre Eltern treffen sich mit Freund:innen an den öffentlichen Picknicktischen und alte Menschen sitzen mitten im Geschehen – statt alleine auf einer verlassenen Parkbank.

Die sogenannten „Superblocks“ in Barcelona setzen sich aus vier bis neun aneinandergrenzenden Straßenblocks zusammen, die von Hauptverkehrsadern eingerahmt sind. Die Straßen innerhalb der Blocks dürfen nur von Anwohner:innen, Lieferdiensten und der Müllabfuhr im Auto passiert werden – und zwar ausschließlich in Schrittgeschwindigkeit, sodass Kinder problemlos auf der Straße spielen können und viel Straßenlärm wegfällt.

Auch in den Heinerblocks sollen Autos nicht per se verboten sein, betonen Johannes und Max. „Auch für uns ist in erster Linie der Durchgangsverkehr ein Thema. Im Martinsviertel etwa ist das vor allem durch den Rhönring ein Problem – der wird von Autofahrenden gerne umgangen, indem sie die Liebfrauenstraße nutzen.“ Das wäre in einem autoarmen Quartier, wie die Menschen hinter Heinerblocks es sich vorstellen, nicht mehr möglich. Ganz so einfach wie in Barcelona ist es hier nämlich nicht: Wer Darmstadt einmal von oben gesehen hat weiß, dass unsere Stadt nicht halb so akkurat rasterartig aufgebaut ist wie Barcelona. Und dennoch lässt sich vieles von den Superblocks für die Heinerblocks übernehmen – nicht nur der Name.

Grafik: Cities for Future, Kurs Fahrradstadt, 2021 (Superbüttel Hamburg)

Modalfilter, Diagonalsperren und Geschwindigkeitsbeschränkungen

Auch bei uns würde die Durchfahrt durch bauliche Maßnahmen (sogenannte Modalfilter) sowie durch Geschwindigkeitsbeschränkungen, Spiel- und Fahrradstraßen erschwert. So könnte es sogar schneller gehen, ein Viertel zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu durchqueren, als es mit dem Auto zu umfahren. Für die inhaltliche Umsetzung in verschiedenen Bereichen entwickeln die Engagierten von Heinerblocks derzeit zahlreiche Ideen – die dem Vorhaben der Politiker:innen nicht grundsätzlich widersprechen.

Initiative wie Koalitionsvertrag halten das Martinsviertel für ein sehr gut geeignetes Quartier. Zum einen wegen der dichten Bebauung, der vielen (teils ungenutzten) Garagen und der hohen Dichte sowohl an Wohneinheiten als auch an Geschäften, zum anderen wegen der guten ÖPNV-Anbindung rund um das Viertel herum. Auch die Superblocks in Barcelona sind meist durch Hauptverkehrsadern begrenzt – wer ein autoarmes Quartier verlässt, ist dann umso schneller mit den Öffentlichen unterwegs. So wäre es für Anwohner:innen auch attraktiver, ihr Auto ganz abzuschaffen.

Das Martinsviertel als potenzieller Heinerblock

Beim Blick auf die Karte, auf der Max mit dem Bleistift potenzielle Diagonalsperren einzeichnet, erschließen sich schnell logische Veränderungen etwa im beliebten Viertel zwischen Rhönring, Heinheimer- und Kranichsteiner Straße. „Hier könnte man relativ einfach erreichen, dass zwar Anwohner:innen noch gut zu ihren Häusern kommen, aber ein motorisierter Durchgangsverkehr nicht mehr möglich wäre. Das würde zum Beispiel auch Schulwege sicherer machen“, erklärt Max.

Auch hier scheint die Politik ähnlich zu denken: „Zunächst werden kleine Maßnahmen wie Diagonalsperren, Einbahnstraßen und Sackgassen zur Generierung von Miniplätzen, mehr Aufenthaltsqualität, spezielle Regelungen für die Sommermonate (Spielplätze, Kreuzungen als Quartiersplätze) umgesetzt. Parallel dazu werden Quartiersgaragen für eine langfristige Nutzung geschaffen“, heißt es im Darmstädter Koalititonsvertrag. Max und Johannes ergänzen die Liste um Modalfilter, betonen aber auch: „Es geht weniger darum, dass wir unsere Vision, wie das auszusehen hat, genau umgesetzt wissen wollen – sondern eher um die Frage, wie schnell und in welchem Umfang das realisiert wird.“

Um welches Viertel genau es sich beim ersten Heinerblock handeln wird, will die Politik durch Bürgerbeteiligungen sowie durch Analysen des Stadtplanungs- und Mobilitätsamts entscheiden lassen. Aber das kann dauern. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Bürger:inneninitiative in Darmstadt wichtige Entwicklungen entscheidend vorantreibt. Die dank des Radentscheids durch sogenannte „Pop-up-Radwege“ 2020 erwirkten „Verkehrsversuche“ etwa wurden vom Stadtparlament gerade zur Dauerlösung erklärt.

Grafik: Cities For Future

Dynamisch und innovativ

Und gerade was die menschengemachte Klimakatastrophe angeht, ist die Zeit knapp, erinnert Max. „Es ist schön, dass das alles im Koalitionsvertrag drin steht. Aber es ist extrem wichtig, dass wir jetzt damit anfangen, die Mobilitätswende in Deutschland durchzuführen. Es ist ein essenzieller Teil der Energiewende, ein essenzieller Teil des Klimaschutzes in Deutschland, dass wir unseren Verkehr umstellen. Und am leichtesten durchzuführen sollte das doch eigentlich in Städten sein.“

Darmstadt dynamisch und innovativ gestalten, das ist der Titel des Koalitionsvertrags, den Grüne, CDU und Volt für eine „starke, klimaneutrale, gerechte und internationale Stadt“ erarbeitet haben. Bürger:inneninitiativen wie Heinerblocks tragen dazu bei, dass die Politik ihre guten Vorsätze auch in die Tat umsetzt. Mal sehen, wann es bei den autoarmen Quartieren so weit ist.

 

Heinerblocks in Darmstadt

Wer sich weiter über die Idee der Heinerblocks informieren oder in die Initiative einbringen möchte, der geht auf heinerblocks.de oder schreibt eine E-Mail an info@heinerblocks.de.

 

Deutsche Superblocks

Auch in anderen deutschen Städten wird derzeit über Adaptionen der Superblocks nachgedacht – in Hamburg etwa wird am Projekt „Superbüttel“ (superbuettel.de), in Berlin an „Kiezblocks“ (kiezblocks.de) getüftelt.

 

Ausgezeichnete Visionen

Nachhaltige Stadtentwicklung beschäftigt nicht nur Politik und Bürger:innen. Gerade hat ein Darmstädter Studierenden-Team des Joint-Degree-Master-Studiengangs „Sustainable Urban Development“ mit seinen Entwürfen für den Madrider Stadtteil Gran San Blas die internationale „Students Reinventing Cities Competition“ gewonnen. Ihr Konzept legt den Fokus auf Themen wie Mobilität, Gemeinschaft und urbane Grünflächen und zielt auf weniger motorisierten Individualverkehr und mehr Straßenräume für soziale Aktivitäten. Der Wettbewerb wurde von der Organisation „C40 Cities“ ausgerichtet, die das Ziel hat, Städte nachhaltig zu entwickeln und Wissen auszutauschen – vielleicht auch für Darmstadt interessant?! Mehr auf: c40.org