Foto: Nouki

Sanft ruhend auf einem Sockel und gerahmt vom steten Plätschern des Wassers ruht dieses aus Muschelkalk gefertigte Fabelwesen. Der Blick der Figur ist in eine unbestimmte Ferne gerichtet und es scheint sich recht wohl zu fühlen, umgeben von Wohngebäuden mitten im Stadtraum. Seltsam eigentlich, wenn man bedenkt, dass Einhörner im Allgemeinen als menschenscheue Wesen beschrieben werden. Ein Gedicht, das am Brunnen angebracht ist, thematisiert diese Eigenschaft sogar. Was macht es also hier, so nahbar und im hellen Licht des Tages?

Vor allen Dingen macht seine Anwesenheit das Denkbare am Fabelhaften deutlich. Die Welt des Fantastischen ist Teil der Imagination, einer schwer bis kaum greifbaren Fähigkeit des Menschen, die gerne als Sammelbegriff für eine Reihe von mentalen Manifestationen genutzt wird. Es ist eine Fähigkeit, die sich durch alle Bereiche des menschlichen Schaffens zieht und in seiner extremen Ausführung oft Pionier:innen zugeschrieben wird – egal, ob sich diese mit Wissenschaft, Kunst, Gerichten, Finanzen, Gesetzen oder Bewegungen beschäftigen. Es sind jene Personen, die den Radius des Denkbaren stetig erweitern. Ein unbestimmtes Projekt, das Teil der Menschheitsgeschichte ist und sich permanent in allen Dimensionen fortentwickelt.

Das Einhorn ist als Urgestein des Fantastischen also sozusagen ein historischer Wegmarker in der Wildnis des Geistigen. Diese Wegmarker sind deshalb so wichtig und interessant, weil sie uns klarmachen können, dass auch ganz andere Dinge in unserem Alltag reine Hirngespinste sind. Steuern zum Beispiel, oder Gesetze und Landesgrenzen. Manchen dieser Geistesblitze widmen wir Bilder und Skulpturen, anderen Dokumente und Markierungen auf Fahrbahnen. Für den Alltag ist es jedenfalls irgendwie hilfreich, sich klarzumachen, dass die Einkommensteuererklärung im selben Reich wie das Einhorn lebt.

Kunst im öffentlichen Raum

Kunst findet man nicht nur in Museen und Galerien, sondern oft auch im Freien und für jede:n sichtbar. Manche Werke sind schon seit Jahrhunderten ein Teil des Stadtbildes, andere zieren es nur kurz. In Darmstadt haben einige Fügungen des Schicksals dafür gesorgt, dass es besonders viele Kunstwerke im öffentlichen Raum gibt. Ohne die schützenden Laborbedingungen eines White Cube gehen sie allerdings schnell unter. Dabei können gerade diese stillen Zeitgenossen unsere Wahrnehmung des Stadtraumes verändern und unser Verständnis von Welt herausfordern. Eine Einladung zum Fantasieren.