Foto: Cora Trinkaus

Zwischen all den geradlinigen Wohnblocks im Bürgerparkviertel sticht ein Haus besonders hervor. Es scheint nicht von dieser Welt, vielmehr scheint es einer kindlichen Fantasie entsprungen. Farbenfroh ragt der u-förmige Wohnkomplex, der 105 Wohnungen umfasst, mit seinen tanzenden Fenstern und goldenen Kuppeln zwischen den modernen Häuserblöcken hervor: die Waldspirale – entworfen vom Künstler Friedensreich Hundertwasser.

Gerade Linien waren dem Künstler ein Graus. Er verteufelte sie gar als „ungöttlich und unmoralisch“. „Die gerade Linie ist eine nicht existierende Linie, die sich der Mensch mit dem Lineal ausgedacht hat. Sie hat nichts Göttliches. Sie ist die einzige Linie, die nicht kreativ ist. Die einzige unschöpferische Linie“, so Hundertwasser. Die Waldspirale, die wie der Name schon sagt, einer Spirale nachempfunden ist, weist äußerlich nicht eine einzige gerade Linie auf. Das „Hundertwasserhaus“ steht für den Künstler für den endlos immer wiederkehrenden Kreislauf des Lebens und der Natur. Der bunte Anstrich der Außenfassade wurde den Sedimentschichten der Erde nachempfunden.

„Ob es im Inneren der Waldspirale wohl genauso bunt und verspielt aussieht?“, hat sich bestimmt schon so manch ein Betrachter gefragt. Doch wer das denkt, wird leider enttäuscht. Im Inneren von Birtes und Konrads Drei-Zimmer-Wohnung, die wir besuchen durften, sieht es überraschend gewöhnlich aus – von Hundertwasser kaum eine Spur. Lediglich das Badfenster, die beiden Glasbausteine der Badezimmerwand und die rund gebogene Wand des Gäste-WCs fallen ins Auge. In anderen Wohnungen finden sich kleine Details wie bunte Fliesen oder eine der insgesamt 79 farbigen Keramiksäulen, die im Haus verbaut wurden, wieder.

 

Foto: Cora Trinkaus

 

Von Ostfriesland zurück nach Darmstadt

Birte und Konrad wohnen seit zwei Jahren mit Hündin Wilma auf 72 Quadratmetern im Erdgeschoss der Waldspirale. Eher durch Zufall landete das junge Paar im Hundertwasserhaus. Beide studierten wenige Jahre zuvor in Darmstadt. Die Arbeit von Konrad verschlug die beiden kurzfristig nach Ostfriesland. In Aurich arbeitete er als Softwareentwickler im Bereich der erneuerbaren Energien für Windenergieanlagen. Gute zwei Jahre lebten die beiden dort gemeinsam in einem Einfamilienhaus mit Garage und Werkstatt. Dass es irgendwann wieder zurückgehen soll ins Rhein-Main-Gebiet, war von Anfang an klar. Dass es aber erneut Darmstadt wird, entschied schlussendlich ein Jobangebot für Konrad. Birte, die zu diesem Zeitpunkt in Wiesbaden ihr Referendariat machte, unterrichtet nun Deutsch und Biologie an der Justus-Liebig-Schule in Darmstadt.

Ein Kriterium bei der Wohnungssuche war für die beiden Hundeliebhaber eine ebenerdige Wohnung mit Garten. Da kam die Wohnungsanzeige aus der Waldspirale genau zum richtigen Zeitpunkt und überzeugte sofort gegenüber den anderen Angeboten.

Von der Terrasse aus haben Birte und Konrad direkten Zugang zum Innenhof, der nur den Bewohnern vorbehalten ist. Hier erschließt sich eine kleine idyllische Welt voll bunter Wände, Säulen und ungewöhnlicher Fenster in allen erdenklichen Formen. Keines der insgesamt 1.048 Fenster gleicht dem anderen. Auch scheinen sie sich an keiner klaren Linie zu orientieren.

Foto: Cora Trinkaus

Leben in einem Kunstwerk

Im Inneren des Hofs ist ein großflächiger Rasen angelegt mit einigen Büschen, Sträuchern und Bäumen. In der Mitte der Wiese: ein kleiner Pavillon – sowie ein Kinderspielplatz. Im zweiten deutlich kleineren Innenhof, der durch eine Brücke verbunden ist, befindet sich ein kleiner künstlich angelegter Teich inklusive Bachlauf. Dem Teich ist es wohl zu verdanken, dass sich seit einigen Jahren immer wieder Entenfamilien im Innenhof ansiedeln. Da kommt es auch schon einmal vor, dass einen eine Ente frech durchs Fenster anschaut, während sie mitten im Salatbeet steht, erzählt Birte lachend. Dieses Jahr verbrachten die beiden coronabedingt vermehrt im Garten. Ein kleines Gemüsebeet wurde angelegt und ein Planschbecken zur Abkühlung aufgestellt. Der Garten „war schon unsere kleine Oase“, schwärmt Birte. Von den selbst gepflanzten Erdbeeren hätten Birte und Konrad allerdings nicht viel gehabt – und auch das Planschbecken durften sie sich zeitweise mit den Enten teilen.

 

Foto: Cora Trinkaus

 

Foto: Cora Trinkaus

Im Einklang mit der Natur

„Der Mensch im Einklang mit der Natur“ – ganz nach Hundertwassers Idealen. Zeit seines Lebens setzte der Künstler sich für den Umweltschutz ein und propagierte eine natur- und menschengerechte Architektur. Die Natur sollte in die Architektur mit einbezogen werden – zum Beispiel mittels begrünter Dächer oder „Baummieter“, wie der Künstler Bäume bezeichnete, die aus den Fenstern wachsen. „Überall dort, wo im Winter der Schnee oder Regen hinfällt, soll es im Sommer grün sein. Alles, was waagrecht ist und in der freien Natur, sollte grün sein und muss für die Natur reserviert sein“, bekundete Hundertwasser bereits 1972 in der österreichischen Fernsehshow „Wünsch dir was“, wo er auch erstmals seine architektonischen Modelle mit Dachbegrünung vorstellte.

Auch das Dach der Waldspirale in Darmstadt ist komplett begrünt mit heimischen Gewächsen wie Linden, Buchen und Ahornbäumen. Der u-förmige Bau weist an seiner tiefsten Stelle zwei Stockwerke auf und hangelt sich von dort aus hoch auf ganze zwölf Etagen. Ein paar wenige Bewohner der obersten Etage dürfen sich an einer privaten Dachterrasse erfreuen. Das restliche Dach ist nicht zugänglich, hier kann sich die Natur frei entfalten.

Wie Hundertwasser versuchen auch Birte und Konrad, ein möglichst umweltbewusstes Leben zu führen. Sie sind Mitglied bei der Solidarischen Landwirtschaft Darmstadt, versuchen weitestgehend auf Plastik zu verzichten und zur Arbeit geht es mit dem Fahrrad oder Bus statt mit dem Auto. „Nur fünf Minuten mit dem Fahrrad bis zur Arbeit“, freut sich Birte. Auch in ihrem Beruf als Lehrerin versucht sie umweltbewusstes Denken und Handeln an ihre Schüler weiterzuvermitteln und es so an die nächste Generation weiterzugeben.

An Darmstadt schätzen sie, dass alles so kompakt und gut zu erreichen ist. „Es ist eine angenehme Stadt. Es gibt Stellen, die sind wunderschön – an anderen Stellen weiß man dann auch, warum Darmstadt als nicht so schöne Stadt bezeichnet wird. Aber das macht den Charme auch irgendwie aus. Man kommt schnell ins Grüne, in die Natur. Was auch super ist für unseren Hund.“

Die Fertigstellung der Waldspirale im Jahr 2000 erlebte der Künstler nicht mehr. Er starb nur wenige Monate zuvor. Doch seine Ideale einer natur- und menschengerechten Architektur, die die Schönheit und die Natur zurück in die Städte bringt, lebt im Darmstädter Hundertwasserhaus weiter und wird auch künftig viele Besucher anlocken, faszinieren und verzaubern.

Foto: Cora Trinkaus

 

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