Zwei Kreise, die zur Säule werden. Eine Form, die sich spiralförmig nach oben dreht, als hätte sich der Stein in Bewegung versetzt. Ein gotisches Element, transformiert in die dritte Dimension. Oder einfach eine vertikal aufgestellte Wolke, die im Stadtraum plötzlich für Irritation sorgt.
Diese Skulptur ist vieles zugleich – ein Spiel aus Referenz und freier Assoziation, aus fester Struktur und optischer Täuschung. Joseph Mössmer hat sich für sein Werk vom gotischen Zweipass inspirieren lassen, einem Ornament aus zwei verbundenen Kreisen, das in Kathedralen oft in Maßwerken oder Fenstern erscheint. Ein im ursprünglichen Kontext statisches, symmetrisches Element verwandelt sich in eine rotierende Säule. Das Vertikale, ein zentrales Prinzip der Gotik, bleibt erhalten – ebenso wie die Idee des Strebens nach oben, des Transzendenten. Doch was in der Kathedrale zu einem Himmelsraum gehört, wird hier zu einem eigenständigen Objekt im urbanen Raum – gehalten, getragen und umrahmt von der Sprache, die es umgibt.
Marmorschwaden aus Licht und Masse
Die kunsthistorischen Bezüge stützen das Werk, verleihen ihm Tiefe und ordnen es in eine Tradition ein. Doch was passiert, wenn man vor der Skulptur steht? Die theoretischen Überbauten treten zurück – und es bleibt das, was das Auge sieht. Eine gedrehte Säule, ja, aber auch eine unbestimmte, fast schwebende Form, die ihren eigenen Aggregatzustand zu wechseln scheint. Eine Art Marmorschwaden aus Licht und Masse. Vielleicht ist es genau das, was Kunst im öffentlichen Raum ausmacht: Sie ist nicht nur das, was in Texten über sie geschrieben wird, sondern insbesondere das, was sich den sie Betrachtenden unerwartet aufdrängt. Eine Skulptur mag mit kunsthistorischen Bezügen aufgeladen sein, doch die erste Begegnung mit ihr ist oft ein Moment reinen Sehens – und darin steckt eine Poesie, die mit Worten nicht eingefangen werden kann.
Kunst im öffentlichen Raum
Kunst findet man nicht nur in Museen und Galerien, sondern oft auch im Freien und für jede:n sichtbar. Manche Werke sind schon seit Jahrhunderten ein Teil des Stadtbildes, andere zieren es nur kurz. In Darmstadt haben einige Fügungen des Schicksals dafür gesorgt, dass es besonders viele Kunstwerke im öffentlichen Raum gibt. Ohne die schützenden Laborbedingungen eines White Cube gehen sie allerdings schnell unter. Dabei können gerade diese stillen Zeitgenossen unsere Wahrnehmung des Stadtraumes verändern und unser Verständnis von Welt herausfordern. Eine Einladung zum Fantasieren.