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Foto: David Sedlacek, Waldhörnchen | Illustration: Lisa Zeissler

Ein Blick aus dem Fenster: Draußen ist es kalt, nass und windig. Absolutes Sauwetter. Rollladen runter und Decke über den Kopf, denkt man sich. Trotzdem wuseln in den Wäldern rings um Darmstadt Horden tapferer kleiner Kinder durch Laub, Gestrüpp und Geästund haben einen Heidenspaß dabei! Sind die noch ganz bei Trost?

Natürlich – im überaus wörtlichen Sinne. Denn mal ehrlich: Was war schöner in der Kindheit, als bei miesem Wetter unterwegs sämtliche Pfützen leer zu stampfen, schlammverkrustet und mit roten Bäckchen heimzukehren und von Mami wahlweise lachend oder brüllend als Dreckspatz tituliert zu werden? Bei nasskalter Witterung aus elterlicher Sorge vor Erkältungen nicht vor die Tür zu dürfen, glich damals eher gähnend-langweiligem Stubenarrest.

In Regelkindergärten ist es leider oft die Norm, solche Tage oder gar Jahreszeiten in geschlossenen Räumen zu verbringen. Waldkindergärten dagegen warten nicht auf schönes Wetter, sondern passen sich stattdessen den Gegebenheiten, gern auch mal Widrigkeiten, der Natur an.

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Foto: David Sedlacek, Waldhörnchen | Illustration: Lisa Zeissler

„Was im Sommer ein Vergnügen ist, kann auch im  Winter eines sein. Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechte Kleidung“, bringt es Christina Harres auf den Punkt. Sie ist Gründungsmitglied der „Waldhörnchen“, einer Gruppe von sechs Elternpaaren, die einen neuen Waldkindergarten (WaKiGa) in Darmstadt ins Leben gerufen haben. Im Januar 2011 startete dieser an der Lichtwiese. Es ist der sechste innerhalb Darmstadts und der zweite (neben den „Lichtwieseln“) innerhalb des Vereins „uniKita“ im Rahmen der Technischen Universität.

Die anderen nennen sich „Kranichnest“ in Kranichstein, Bessunger WaKiGa, Darmstädter WaKiGa an der Fasanerie und der Streuobstwiesen e.V. in Eberstadt.

„Gib dem kleinen Kind einen dürren Zweig, es wird mit seiner Fantasie Rosen daraus sprießen lassen.“ Das etwas salbungsvolle Zitat des deutschen Romantikers Jean Paul (1763 bis 1825) prangt über dem schriftlichen Konzept der Waldhörnchen. Ein Zitat, auf das sich auch andere Waldkindergärten gerne berufen, denn es spiegelt ein Grundprinzip wider: Die Natur als Lebensraum ist eine unermesslich große Spielwiese für Kinder, wenn sie denn nur richtig und gewissenhaft genutzt wird.

Von Waldhörnchen und Lichtwieseln

Die ersten Waldkindergärten entstanden im skandinavischen Raum in den 1950er Jahren. Das Konzept des „Kindergarten ohne Dach und Wände“ schwappte 1968 auch nach Deutschland, als in Wiesbaden der erste (behördlich damals nicht genehmigte) Naturkindergarten gegründet wurde. In den 1990ern setzte sich die stetig weiterentwickelte Idee bundesweit mehr und mehr durch, so dass laut Dachverband deutscher Waldkindergärten bundesweit mittlerweile mehr als 450 WaKiGas existieren.

„Der tägliche Aufenthalt in der freien Natur unterstützt eine positive Entwicklung der kindlichen Motorik und Wahrnehmung, Koordination und Tiefensensibilität“, heißt es auf der Internetseite des Dachverbandes. „Vor allem aber stärkt es die Fantasie und das Immunsystem der Kinder“, fügt Vera Melcher von den „Waldhörnchen“ hinzu, denn es gilt in Fachkreisen mittlerweile als unstrittig, dass es für die Entwicklung von Kindern eher förderlich ist, nicht ständiger Hygiene und festen Vorgaben ausgesetzt zu sein. Die Konzepte der einzelnen WaKiGas unterscheiden sich in Details wie Betreuungszeiten, Altersstufen, Formalien, und manchmal auch in der pädagogischen Ausrichtung.

Im Fall der neu gegründeten „Waldhörnchen“ ist zum Beispiel eine Gruppengröße von zwanzig Kindern geplant. Die Betreuungszeit der Drei- bis Sechsjährigen ist von 8 Uhr bis 16 Uhr vorgesehen. Dabei erleben die Kinder mit ihren Betreuern den Vormittag im Freien auf – entsprechend den Witterungsverhältnissen – geeigneten Plätzen mit beheizbaren Bauwagen im Bessunger Wald. Das Mittagessen und den Nachmittag verbringen die Kinder in einer festen Räumlichkeit mit Außengelände an der TU-Lichtwiese. „Dieser Zeitabschnitt ist dann durchaus mit dem eines Regelkinder-gartens vergleichbar, wobei die Aufbereitung des am Vormittag Erlebten durch Projektangebote eine große Rolle spielen soll“, sagt Sonja Frey, ebenfalls ein „Waldhörnchen“. Hinzu kommt ein sogenannter „Pausentag“ pro Woche, der, jeweils anders gestaltet, den Kindern weitergehende Erfahrungen ermöglichen soll. Mehr dazu findet sich im ausführlichen Konzept der Waldhörnchen, das über deren Internetseite angefordert werden kann. Die Abläufe und Bedingungen der anderen Darmstädter WaKiGas sind jeweils auf deren Webseiten gut beschrieben.

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Foto: David Sedlacek, Waldhörnchen | Illustration: Lisa Zeissler

„Das Ganze hat nichts mit einer anthroposophischen Ideologie zu tun“, merkt Sonja Frey zum Schluss des Interviews an. „Es geht nur darum, Kindern schon frühzeitig einen umfangreichen Lebensraum zu vermitteln. Dazu gehört die Natur genauso wie ein Zugang zu den neuen Medien.“ Das eigene Kind wird es einem danken, jetzt und später. Nur eines sollte klar sein: In der nasskalten Jahreszeit ist eine Waschmaschine unerlässlich, will man nicht stundenlang matschige Kleidung über dem Waschbecken schrubben.

Darmstädter Waldkindergärten

Die „Waldhörnchen“ freuen sich über jeden
weiteren Zuwachs. Gesucht werden vor allem noch 4- und 5-jährige Kinder. Aushilfen können sich gerne jederzeit bewerben. Sehr willkommen sind auch Sach- und Geldspenden, um die hohen Kosten der Einrichtungen aufzufangen. Ein weiterer Bauwagen wäre zum Beispiel als Spende
von Nöten. Infos und Kontaktdaten: www.unikita-darmstadt.de/p_dez6.htm

 

Weitere Waldkindergärten:

www.unikita-darmstadt.de/wakiga

www.bessunger-waldkindergarten.de

www.kranichnest-darmstadt.de

www.waldkindergarten-darmstadt.de

www.streuobstwiesen-eberstadt.de/naturkindergarten.php

www.bundesverband-waldkinder.de