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Foto: Jan Ehlers

Schnee oder starker Regen schwemmt sie alljährlich in die Fußball-Schlagzeilen: die Platzbesichtigung. Und die geht so: Die Platzkommission betritt das aufgeweichte Spielfeld. Schmerbäuchige Fußballfunktionäre stapfen übers Geläuf, schütteln die Köpfe und sprechen ihr Urteil: „Unbespielbar.“ – Unbespielbar? Gibt es für Christian Hahn (38) nicht. In elf Jahren Platzbesichtigung ist allenfalls mal der Kamera-Akku ausgefallen. Denn Hahn kommt nicht (unbedingt) des Spiels wegen, sondern, um die Spielstätte zu fotografieren. Für seinen Blog „Platzbesichtigung“.

„Angefangen hat alles 2002 in Old Trafford“, erzählt Christian. Das P trifft ihn im Mühltal, am Rande eines Fußballspiels – natürlich. Während seines Auslandssemesters, erzählt er, habe er das legendäre Stadion in Manchester besucht. „Für meine Freundin wollte ich diesen Eindruck im Bild festhalten.“ Das wurde zur Passion. Inzwischen hat er 237 Sportplätze und Stadien abgelichtet, hat von Aachen bis Zürich den Auslöser gedrückt, in 13 Ländern Europas, aber mit spürbarem Akzent auf Südhessen.

Von Dorfsportplatz bis Wellblechhütte

Riesige Stadion-Tempel faszinieren ihn, schlichte Dorfsportplätze nicht minder. „Die werden oft übersehen.“ Abseits von Schalensitzen und Bandenwerbung fängt Christian Unverwechselbares ein: Bäume und Berge, Straßen und Hochhäuser, Kassenhäuschen und Sportlerklausen. Zur Hahnschen Platzkommission gehört regelmäßig der „Gute Stube“-Macher Torsten Jahr. Auch Matze Kneifl (seinen Fußball-Blog „Kickschuh“ haben wir in P-Ausgabe 51 vorgestellt) ist oft dabei. „Alleine bin ich nur selten unterwegs“, erzählt Christian.

Im Blog reiht sich die Mütter aller Platzbesichtigungen, Manchester I, bescheiden hinter Mainz II ein. Nicht Renommee, sondern Alphabet bestimmt die Abfolge. Auf Hähnlein folgt Hamburg, Kranichstein steht neben Kopenhagen, von Gelsenkirchen geht’s nach Georgenhausen [sic!, Schorschehause gehört unter „S“, Anm. d. Red.] und Sickenhofen liegt gleich neben Sevilla. Unbesichtigt sind nur noch die Buchstaben Q, X und Y [das P empfiehlt den Quakenbrücker SC, die TuS Xanten und den ASK Ybbs in Niederösterreich].

Christian Hahn, Jahrgang 1975, wuchs in Babenhausen auf, studierte später Kommunikationsdesign an der damaligen FH Darmstadt. „Aus diesen Zeiten stammen noch die meisten meiner Freunde“, sagt er. 2007 zog er nach Frankfurt. Gemeinsam mit Holger Köhn, auch Babenhäuser, betreibt er das „Büro für Erinnerungskultur“. Historiker Köhn und Grafikdesigner Hahn arbeiten Geschichte in lebendiger Form auf.

Ein Stück Erinnerungskultur

Als ein Stück Erinnerungskultur sieht Christian auch seinen Blog, den er Anfang 2013 online geschaltet hat. Manch gezeigter Platz existiert heute schon nicht mehr. Etwa der knochenharte Acker an der Nieder-Ramstädter Straße, auf dem er früher selbst gekickt hat. Anders als im angeregten Gespräch über König Fußball macht Christian im Blog nicht viele Worte. Der knappe Text auf der Startseite kündigt Rasenrechtecke „von der großen Bühne bis zum staubigen Bolzplatz“ an. Der große Rest sind die Bilder, die mit einer nüchternen Unterschrift auskommen: Ort, Land, Stadionname, Jahr und Begegnung – wenn der Platz nicht gerade komplett schneebedeckt ist.

Die meisten modernen Stadien findet Christian langweilig: „Furchtbare Wellblechhütten ohne jeden Charme, die nur wirtschaftlichen Kriterien folgen.“ Skeptisch sieht er deshalb auch die Neubaupläne fürs Böllenfalltor. „Die Frage ist: Kann es sich Darmstadt leisten, etwas zu bauen, das auch eigenständig ist?“ In einigen Jahren, glaubt er, würden sich viele Leute nach den alten Stadien mit Charakter sehnen.

Er sei Fan, kein Fotograf, betont er. Seine Old-School-Panoramafotografie geht trotzdem locker als Kunst durch. Um einen Winkel von mehr als 180 Grad abzudecken, macht er von einem Punkt aus mehrere hochformatige Aufnahmen. Am Bildschirm legt er die digitalen Bilder nebeneinander, richtet sie an der Grasnarbe aus und puzzelt sich so ein Panoramabild. „Die Bilder zu stark nachzubearbeiten, würde den Motiven nicht gerecht“, findet der Gestalter. Die einzelne Aufnahme soll als solche erkennbar bleiben.

Der Fan Hahn verehrt die fußballerischen Schöngeister, schwärmt bis heute von Uwe Bein. Kein Zufall: Christian ist eingefleischter Eintracht-Fan, Dauerkarte inbegriffen. Zum Groundhopper hat ihn sein Hobby nicht gemacht: „Zu einem Spiel zu fahren und direkt danach wieder abzureisen, dafür habe ich zu viele Interessen außerhalb des Fußballs“, sagt der zweifache Vater und Ehemann.

Und dann, psssst, darf das P live einer Platzbesichtigung beiwohnen. Christian schreitet das Spielfeld ab, prüft das Licht. Er legt die Kamera an, verwindet den Oberkörper nach links, um ihn dann roboterartig Stück für Stück nach rechts zu drehen. Dabei drückt er 13 Mal ab. „Traisa/Deutschland, 2013, SV Traisa – FC Sturm Darmstadt“. Nummer 238 ist im Kasten.

 

www.platzbesichtigung.de