Foto: Nick van Klaveren

Sport, der in Darmstadt betrieben wird und – Trommelwirbel – nicht Fußball ist? Vor lauter Lilienfieber ist’s ein bisschen in den Hintergrund geraten, aber: Jawohl, das gibt’s. Hier stellen wir sie vor, die Sportarten, die (noch) nicht von einem großen Publikum bejubelt werden. Zum Beispiel, weil sie bislang kaum jemand kennt. Oder weil sie eben einfach zu speziell sind, um die Massen zu überzeugen. Oder vielleicht, weil man lieber unter sich bleibt? Wir gucken uns das für Euch aus der Nähe an. In dieser Ausgabe: Quidditch.

Mein Hogwarts-Brief ist nie bei mir angekommen – und zugegeben, ich war auch nie besonders traurig darüber. Ich gestehe es lieber gleich, ich bin kein großer Harry-Potter-Fan und trotzdem wage ich mich an Quidditch heran. Die Sportart wurde von der Autorin Joanne K. Rowling in ihren Büchern über den Zauberlehrling ins Leben gerufen. Ein Sport, bei dem es eigentlich um Wagemut und Flinkheit beim Fliegen auf einem Besen ankommt. Wie funktioniert das ohne Magie? Ich wage den Selbstversuch.

Das Wetter ist schaurig-schön und ein leichter Nieselregen fällt auf das Spielfeld an der Lichtwiese. Der Hogwarts-Brief kam in Form einer Bestätigung des Unisportzentrums. Ich darf beim Quidditch teilnehmen! Statt von Zauberhüten und Umhängen werde ich allerdings von durchschnittlich wirkenden Studenten empfangen …

Aufwärmen ohne Magie

Zuerst wärmen sich die Spieler auf. Klassisches Einlaufen und ohne Hokuspokus. Doch kurz danach kommt schon der „Besen“ ins Spiel. Wir steigen auf graue Kunststoffrohre, die an den Enden mit Klebeband versehen sind, damit sich niemand verletzt, und werfen uns lockere Bälle zu. Gefangen und geworfen wird nur mit einer Hand, da die andere den Besen halten muss. Ein ziemlich ungewohntes Sportgerät, bei dem ich mich frage, ob es eigentlich eine Hilfe ist, aber das Werfen und Fangen des Balles klappt. Jetzt bekomme ich ein schickes neongelbes Leibchen und werde meinen Mitspielern zugeteilt. Das Aufwärmspiel gibt einen Vorgeschmack aufs echte Quidditch. Das ziemlich vertrackte Regelwerk (siehe Infobox) vereint Elemente von Rugby, Handball und Völkerball. Das Grundprinzip: Zwei Teams kämpfen um den Spielball (Quaffel) und versuchen, diesen durch einen der drei gegnerischen Torringe zu werfen, um zu punkten.

Jetzt wird jeder seiner Erfahrung und Position nach zugeteilt. Als Anfängerin gehöre ich erst mal zu den Chasern, also den Jägern. Die versuchen mit dem Quaffel, der ein leicht aufgeblasener Volleyball ist, die Torringe zu treffen. Quidditch ist ein Vollkontaktsport, also lerne ich zuerst, wie man sich richtig fallen lässt. Das Abrollen ist dabei sehr wichtig, wobei der Kopf immer zu einer Seite geneigt sein sollte, um den Nacken zu entlasten. Der feuchte, kalte Boden wirkt alles andere als einladend – Harry Potters Stuntdouble hätte jetzt wahrscheinlich seinen großen Auftritt gehabt. Entschlossen übe ich dennoch einige Rollen zu allen Seiten hin. Wenn mich jetzt einer umrennt, fliege ich wahrscheinlich immer noch auf die Nase, aber wenigstens kann ich versuchen, dabei elegant auszusehen.

Voller Körpereinsatz

Als Nächstes gehts ans Eingemachte: Es wird getackelt. Dabei muss zuerst jede Scheu vor den Mitspielern überwunden werden. Da eine Hand – wie erwähnt – immer den Besen im Griff hat, wird der Gegner mit dem freien Arm auf Hüfthöhe gepackt. Der Kopf schmiegt sich dabei an das Becken des Kontrahenten. Hört sich kuschelig an? Soll es aber nicht sein, denn der Gegenspieler wird im besten Fall auf den Boden gerungen. Mit ein bisschen Übung und etwas Anlauf klappt das schon ganz gut. Die erfahreneren Spieler sind in die Positionen der Beater (Treiber) und Keeper (Torhüter) eingeteilt. Ich lerne erst mal nur die Grundlagen, um beim Trainingsspiel mitmachen zu können. Knapp 25 Personen haben sich am Spielfeld versammelt, davon viele Anfänger – und alle wollen endlich loslegen. Um die Neuen nicht gleich zu verschrecken, wird nach einem fairen Spiel verlangt. Richtig getackelt werden darf heute nicht.

Einen „Schnatz“ gibt es beim Training übrigens auch nicht. Die Verwirrung, wer welchen Ball wohin bringen soll, ist so schon groß genug. Die Beater versuchen mit Klatschern die Gegner abzuwerfen – das erinnert an Völkerball. Dabei bekommt man auch mal einen Ball in den Bauch. Wurde man getroffen, muss man eine Torstange der eigenen Mannschaft berühren, um wieder mitspielen zu dürfen, und wird in eine defensive Position gezwungen. Ich stehe die meiste Zeit reichlich verwirrt auf dem Feld herum, versuche aber dem Geschehen zu folgen und schaffe es dann sogar, einen Ball durch einen Torring zu werfen. Ein bisschen Übung braucht man schon, um den Spielablauf zu verstehen. Es hilft aber, wenn man in Bewegung bleibt, um seine Mannschaft – so gut es eben geht – zu unterstützen.

Beim Dehnen zum Abschluss kommen dann doch noch die Harry-Potter-Freaks in den Sportlern zum Vorschein. Plötzlich werden Zitate der bekannten Reihe eingeworfen und Insiderwitze gemacht. Ein bisschen Fan-Sein gehört eben doch dazu.

Ein Sport für Muggel

Quidditch wird mixed, also nicht nach Geschlechtern getrennt gespielt. Es wurde von College-Studenten in den USA als Muggel-Sport, also für Nichtzauberer ins Leben gerufen und findet seither mehr und mehr Anhänger. Das zum Teil harte Vorgehen beim Spiel verlangt nach einem Mundschutz. Zähne will hier niemand auf dem Feld lassen. Zum besseren Halt bieten sich Stollenschuhe an. Wer fliegen kann, benötigt natürlich keine. Gespielt wird bei jeder Wetterlage, im Winter sollte man sich also warm anziehen und immer in Bewegung bleiben. Die Darmstädter Quidditch-Mannschaft, die Darmstadt Athenas, reist zu Turnieren in ganz Europa. Dabei handelt es sich teilweise auch um Fantasy-Turniere, auf denen es mehr um den Fankult als um den reinen Sport geht. Die Darmstädter betonen, wie gastfreundlich andere Quidditch-Spieler sind und wie eng der Zusammenhalt ist.

Mein Ausflug in die komplexe Welt des Quidditch hat mir einiges abverlangt: Geschick, Ausdauer und strategisches Handeln. Nur, wie man auf dem Besen fliegt, habe ich leider nicht gelernt. Verdammt viel Spaß hatte ich trotzdem.

 

Mitmachen?

Wer jetzt neugierig geworden ist, schaut einfach bei einem Quidditch-Training vorbei. Ihr braucht keinerlei Vorkenntnisse, nur je nach Wetterlage geeignete Sportkleidung und Schuhe. Einen Besen gibt’s von den Trainern. Für Wettkämpfe wird ein Mundschutz benötigt. Die Trainingszeiten sind auf der Homepage der Darmstadt Athenas zu finden. Das Haupttraining ist aktuell dienstags von 18.15 bis 20 Uhr auf dem Kunstrasenfeld im Hochschulstadion der TU Darmstadt.

www.quidditch-darmstadt.de

 

Quidditch-Regeln, kurz und knapp

Quiddtich wird in Deutschland seit 2012 gespielt. Eine deutsche Zusammenfassung der Spielregeln ist auf der Seite des deutschen Quidditch-Bundes nachzulesen. Beim Quidditch treten sieben Spieler in zwei Mannschaften mit insgesamt fünf Bällen gegeneinander an. Dabei versuchen drei Jäger einen Volleyball, den Quaffel, vorbei am gegnerischen Torhüter in einen Torring zu befördern. Jeweils zwei Treiber versuchen die gegnerische Mannschaft aufzuhalten, dazu stehen ihnen sogenannte Klatscher-Bälle zur Verfügung. Von diesen Bällen Getroffene werden aus der Offensive gedrängt und müssen sich ans eigene Tor zurückziehen. Verstärkt wird die Dynamik durch den „Schnatz“. In der Buchvorlage ein winziger, magischer, flinker Ball mit Flügeln, im Hier und Jetzt ein Tennisball in einer Socke, der an der Hüfte des neutralen Schnatz-Läufers befestigt ist. Wird der Schnatz von einem der beiden Sucher gefangen, ist das Spiel beendet. Ein Ringtreffer gibt 10 Punkte, das Fangen des Schatzes 30 Punkte. Gewonnen hat das Team, das zum Spielende die meisten Punkte erzielt hat.