Das einzigartige Kulturprojekt OHA Osthang muss dem Welterbe-Besucherzentrum Mathildenhöhe weichen. Warum gibt es trotz jahrelanger (Um-)Planungszeit noch keinen Alternativstandort?
2021 wurde die Mathildenhöhe als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt. Seit dem gibt es zu jedem Saisonende im Herbst unter kulturliebenden Darmstädter:innen sorgenvolle Gespräche darüber, ob es den Osthang wohl im nächsten Frühling noch geben wird. Denn dort, wo das alternative Kulturzentrum die letzten Jahre beheimatet war, wird das neue Welterbe-Besucherzentrum errichtet. Die kleine Waldfläche ist aufgrund von Vorgaben der UNESCO leider die einzig mögliche: Das Zentrum darf nur einen gewissen Radius von der Welterbestätte entfernt und wegen der Wahrung des historischen Erbes nicht direkt auf der Mathildenhöhe sein. Am 19. Oktober wurde am Hang Closing-Party gefeiert, die darauffolgende Halloweenparty war wohl der letzte gemeinsam betanzte „Kleine Freitag“. Was passiert nun mit dem Kultur-Kollektiv, wenn hinter der Mathildenhöhe die Bagger anrollen? Das P sprach mit dem OHA-Osthang-Team über Träume, Hürden, Zuversicht und Zusammenhalt.
Eine Chronik
28. Oktober. Herbstlaub, geschnitzte Halloween-Kürbisse, verhalten lächelnde Gesichter: Die Stimmung in der sanft beleuchteten Mainhall ist drei Tage vor dem letzten „Kleinen Freitag“ am Osthang ein wenig wehmütig – dass sie diesen Ort bis Ende des Jahres räumen müssen, macht die jungen Kreativen aber nicht weniger tatkräftig und unternehmungslustig: „Wir sind halt ein Kollektiv und alle ziehen an einem Strang“, erzählt Maiki stolz, die im Osthang-Kollektiv als zweiter Vorstand und Awareness-Beauftragte aktiv ist. Ich kenne sie von den vielen „Kleinen Freitagen“, die Sommerabende so ausgelassen schön gemacht haben. Meist steht sie an der Bar, kennt jede:n, wuselt herum und vergisst dabei nie, sich auch Zeit zum Genießen und Tanzen zu nehmen. Man merkt ihr an, wie sehr sie diese selbstgebaute Halle inmitten der mal sommerlich-grünen, jetzt welk-orangenen Bäume als Wohlfühlort schätzt. Alles dort ist selbstgemacht, -gebaut, -organisiert – und das mit viel Herz und Liebe zur Improvisation.
Wohlfühlort von Menschen für Menschen
19. Oktober. Disco Sour bringt Jung und Alt in der Mainhall trotz kühlen Oktobernebels zum Schwitzen, draußen erhellt Feuerspiel die Nacht. „Es gibt keinen vergleichbaren Ort in Darmstadt“, bekräftigt Adrian, einer der Feuerspielenden bei der OHA-Closing-Party, „denn der Osthang ist unkommerziell und erstickt kleine Aktionen wie Musik, Ausstellungen und Workshops nicht“. Und auch außerhalb der Veranstaltungen kann der waldige Hang, der der Stadt Darmstadt gehört, als Treffpunkt genutzt werden – „so ist überhaupt erst die Flow- und Feuerspielgruppe in Darmstadt entstanden“, erzählt er. Auch an diesem Abend zeigt sich: Es ist ein Ort der Begegnung, um „bekannte Gesichter zu sehen und neue kennenzulernen“. Dass hier alles selbstverwaltet ist, dass jede:r mitmachen und sich einbringen kann, „merkt man einfach am Vibe“, finden die Gäste. Besonders schätzen sie auch, was es hier nicht gibt: Eintrittskosten, Dresscodes, Hierarchien, Vorurteile, Autos und Betonwände. Und Mirco, auf dem Teppichboden in der gut gefüllten Mainhall sitzend, schätzt den Osthang vor allem als Ort der Nachhaltigkeit und als geschützten Raum, wo man „so sein darf, wie man ist“.
Der OHA als Wirkungsort
Im Darmstädter Architektursommer 2014 entstanden, hat sich der mehr als 6.000 Quadratmeter große Osthang in den letzten zehn Jahren als fester Bestandteil der Kulturszene etabliert. Was früher mal eine kleine Gruppe Architekt:innen war, ist heute ein diverses Kollektiv mit Mitgliedern im Alter von 17 bis 80 Jahren. Seit 2022 gibt es den OHA als Verein – mit ernstzunehmender Wirkkraft auf die Stadt Darmstadt. Und zwar besonders an dem Ort, an dem er gerade ist, wie der Verein deutlich macht: „Gerade die Kombination aus Subkultur am Osthang und Hochkultur der Mathildenhöhe macht das Weltkulturerbe so interessant“, ist dem Vereinsstatement zum Erhalt des Osthangs zu entnehmen. Der OHA e. V. versteht sich als gemeinnützig und partei-unpolitisch (wohl aber politisch und deutlich gegen Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit). Ziel des Vereins ist, einen niederschwelligen Zugang zu Kultur zu ermöglichen und besonders jungen und „flinta*“-Künstler:innen eine Bühne zu bieten. „So wie am Anfang des 20. Jahrhunderts die Künstlerkolonie Aufbruch in die Moderne darstellt, ist es der Osthang heute, der sich mit dem Aufbruch in eine moderne, nachhaltige Zukunft beschäftigt“, schreibt der OHA. Und damit ist jetzt Schluss?
Der Osthang endet nicht mit einem Ort
Die gute Nachricht: Es gibt Optionen. So einige. Und während sie zwar alle nicht so sonnenuntergangsgolden wie die Mathildenhöhe sind, versichert Maiki, dass der OHA e. V. „nehmen wird, was man kriegen kann“ – und wir die „Kleinen Freitage“, Festivals und Konzerte nächsten Sommer nicht missen werden müssen!
Auf der Osthang-Webseite hat das Kollektiv Anforderungen aufgelistet, die eine neue Wirkungsstätte erfüllen soll. Wer Freiflächen hat, die er oder sie den Kulturschaffenden bereitstellen kann, der kann und soll sich gerne beim Osthang-Team melden! Denn entschieden ist noch nichts. Aktuell ist Plan A eine große Freifläche zu finden, auf die eventuell sogar die Mainhall mit umziehen könnte. Liebste Option ist eine solche Freifläche deswegen, weil „viele an der Idee der grünen Oase hängen, wie der Osthang es jetzt mitten in der Stadt ist“, erklärt Maiki. Als Ideen stehen Rosenhöhe, Albert-Schweizer-Anlage, Lichtwiese oder Goebelwiese (am Hauptbahnhof, gegenüber der „Klause“) zum Diskurs, wenn auch nur als Zwischenoption, bis langfristig ein passender Ort gefunden wird. Herausforderung bei Plan A ist, dass viele der von der Stadt angebotenen Flächen dem OHA – trotz aller Kompromissbereitschaft – doch viel zu weit außerhalb sind. Andere befinden sich so nah an Naturschutzgebieten, dass wegen Rücksicht auf Brut- und Setzzeit erst ab Mitte August Veranstaltungen stattfinden könnten.
Deswegen gibt es Plan B, für den zwar nicht alle im Team so viel Begeisterung aufbringen, aber – wie gesagt – man nimmt, was man bekommt. Plan B überrascht ein wenig: der OHA in einem Haus beziehungsweise einer Villa. Davon gibt es einige leerstehende in Darmstadt sowie auch städtischen Leerstand wie den ehemaligen „Kaufhof“ am Weißen Turm oder das frühere Pali-Kino. Dies würde für Kollektiv und Gäste zwar einiges an Veränderung bedeuten, allerdings auch Raum (wortwörtlich) für neue Möglichkeiten bieten: etwa Proberäume im Keller, Atelierräume für Kunstschaffende und eine Nutzung auch zur kalten Jahreszeit. Egal wo, wichtig ist den Osthang-Kreativen, sich organisch neu ansiedeln und entfalten zu können und nicht zu einem bestehenden Kulturort (wie etwa der auch wundervoll subkulturellen Oetinger Villa) „dazugequetscht“ zu werden.
Zeit für Zuversicht
Aktuell ist das Team im stetigen Gespräch mit der Stadt, um eine Lösung zu finden, die alle zufriedenstellt. Und bekommt dafür viel Rückhalt, mitunter sogar von einem Bundestagsabgeordneten [Philip Krämer von Bündnis 90/Die Grünen], der für den Erhalt des Kulturraums plädiert. Denn Konsens gibt es zumindest hier: dass der Osthang ein schützenswerter Raum und Mehrwert für die Stadt Darmstadt ist. Auch Kulturdezernentin Gabriele König und das Welterbebüro hätten das Kollektiv gerne an der Mathildenhöhe behalten, berichtet der OHA-Vorstand von den Verhandlungen. Was erst irritiert, ist eigentlich ganz logisch. Denn die Welterbestätte profitiert enorm davon, dass durch die Osthang-Szene besonders viele junge Menschen regelmäßig an die Mathildenhöhe kommen. Und mit ein bisschen Feingefühl für die Geschichte der Künstlerkolonie kann man sich schon vorstellen, dass der Osthang heute etwas ganz Ähnliches verkörpert. Und gerade wegen seiner Bedeutung für Darmstadt ganz bestimmt weiterleben wird – nur eben an einem anderen Ort.
Du hast eine Fläche oder Idee? OHA! Her damit!
Das sind die Wünsche oder Anforderungen des OHA e.V.:
Plan A „Freifläche“: mindestens 1.500 qm, gerne 5.000 qm
Plan B „leerstehendes Gebäude“: mindestens 150 qm, gerne 400 qm
Ein- bis zweimal in der Woche Veranstaltungen („Kleiner Freitag“ am Donnerstag von 18 bis 22 Uhr)
Bei großen Veranstaltungen: bis zu 500 Gäste
Möglichst zentrale Lage und gute ÖPNV-Anbindung; Strom-, Abfall- und Wasserversorgung
Nutzungsdauer: mindestens vier Jahre, gerne unbegrenzt
Bei Ideen oder konkreten Angeboten melde Dich beim OHA e. V.: hallo@osthang.de
Mehr Infos zum Verein, den Veranstaltungen und den Flächenanforderungen findest Du online unter osthang.de
#osthangbleibt-Demo (und weitere Aktionen)
Eine Bürger:innen-Initiative, die unabhängig vom OHA e. V. agiert, ruft dazu auf, gemeinsam „für das Bewahren des Osthangs, des Biotops und des soziokulturellen Ortes“ zu protestieren. Unter #osthangbleibt werden in den nächsten Wochen Aktionen zum Informieren, Diskutieren und Kantezeigen stattfinden.
Den Auftakt bildet eine Demonstration, die am Sonntag, 8. Dezember, um 14 Uhr beginnt. Startpunkt wird (voraussichtlich) am Luisenplatz sein.
Aktuelle Infos: auf Instagram unter @osthang.bleibt