Illustration: Hans-Jörg Brehm

Im Darmstädter Stadtparlament geht es derzeit drunter und drüber. Gleich zwei Vorgänge sind nicht nur äußerst ungewöhnlich, sondern in der Stadtgeschichte einzigartig. Der eine ist auf den ersten Blick kurios, der andere nebulös. Doch hinter beiden Fällen stehen knallharte Machtinteressen, die den Anschein von Klüngelei erwecken.

Die Partei „Die PARTEI“ gilt als Spaßpartei, und so verwundert es nicht, dass die jüngste Aktion ihrer Darmstädter Stadtverordneten Mandy Neumann von vielen als „kurios“ und „witzig“ beschrieben wird. Wer allerdings die Arbeit des Parteichefs und Europaabgeordneten Martin Sonneborn verfolgt, weiß auch, dass die Partei durchaus ernst zu nehmen ist, den Mächtigen genau auf die Finger schaut und dabei auch handfeste Skandale offenlegt.

Und so beschäftigt auch Mandy Neumann nicht nur das Darmstädter Rechtsamt, sondern sogar die Juristen des Hessischen Städtetags. Die Studentin der Politikwissenschaften tritt nämlich im Wochentakt munter in die Fraktion von UWIGA/WGD ein und aus und wieder ein. Mit diesem Fraktions-Hopping geht es ihr vordergründig darum, die AfD aus den Ausschüssen des Parlaments rauszuhalten. Allerdings führt sie damit auch die Koalition unter Führung der Grünen vor, die die verfahrene Situation mit einer etwas fragwürdigen Änderung der Geschäftsordnung überhaupt erst ermöglicht hat.

Doch dazu später mehr. Denn die Grünen haben seit ihrer Wiederwahl im März noch weitere Entscheidungen getroffen, für die ihnen selbst aus den eigenen Reihen Kritik entgegenschlägt. So haben sie völlig überraschend ihre eigene Dezernentin Barbara Boczek, die eigentlich noch für zwei Jahre gewählt wäre, mit harschen Worten von Hof gejagt. Ihr fehle „das Anforderungsprofil, die Fülle der Aufgaben eines neu zu bildenden Dezernats mit erweiterten und noch komplexeren Zuständigkeiten zu erfüllen“, heißt es in einer Pressemitteilung der neuen Koalition (der Grünen mit den Juniorpartnern CDU und Volt). Ein Umgang mit dem eigenen Personal, der nicht nur bei der Opposition für Verwunderung sorgt. Auch bei den Grünen äußern sich Mitglieder von der Basis bis in die Führungsspitze mit Befremden, wobei „stillos“ noch zu den freundlicheren Worten gehört.

Boczek zeigt sich im Gespräch mit dem P „tief getroffen, menschlich verletzt und sehr enttäuscht.“ Den Vorwurf mangelnder fachlicher Eignung könne sie nicht nachvollziehen. Tatsächlich ist in den vier Jahren ihrer Arbeit für die Stadt Darmstadt nichts öffentlich geworden, was auf ein Versagen Boczeks hindeuten würde. Auch aus der Opposition kam an ihrer Person nie wesentliche Kritik auf. Diese ist durch alle Bänke nach Boczeks Abwahl sogar vollen Lobes. Der Bund Deutscher Architekten in Darmstadt sah sich sogar genötigt, öffentlich klar zu stellen, dass die Kollegen Boczeks Kompetenz sehr schätzen und ihre Abwahl ausdrücklich bedauern.

Geschlossener Machtzirkel?

Fakt ist jedoch, dass es hinter den Kulissen schon länger brodelte. Die Fraktionsvorsitzende Hildegard Förster-Heldmann versichert im Gespräch mit dem P, es habe eine „Reihe von Vorfällen gegeben, die diesen Schritt notwendig gemacht haben“. Weder sie noch andere Grüne möchten sich öffentlich über die Details äußern, sodass die genauen Hintergründe im Unklaren bleiben. Allerdings konnte das P in Erfahrung bringen, dass das Verhältnis im Grunde schon nach wenigen Wochen zerrüttet war. Auch Boczek ficht das nicht an. Sie zeichnet das Bild eines geschlossenen Machtzirkels, der politische Erfolge über fachliche Sachfragen stelle und sie nie in den inneren Kreis aufgenommen habe.

Zwei Jahre nach ihrem Amtsantritt erkrankte Boczek an Krebs und fiel ein halbes Jahr aus. Zurück aus dem Krankenhaus war ihr nur noch ein Rumpfdezernat um das Planungs- und Bauamt zugeordnet. Um das ursprünglich in ihrer Verantwortung gelegene Verkehrsdezernat und das Grünflächenamt kümmerten sich seitdem die beiden anderen grünen Dezernenten Jochen Partsch und Barbara Akdeniz. Das wäre wohl für Boczek der Zeitpunkt gewesen, gesichtswahrend die Bildfläche zu verlassen. Sie bestätigt auf Nachfrage, dass ihr die Grünen damals den Rücktritt nahegelegt hätten. Sie selbst sollte ihre Krankheit als Vorwand anführen. Doch so schnell wollte die Stadtbaurätin nach ihrer überstandenen Krankheit nicht aufgeben. „Ich hatte die Hoffnung, dass sich das mit guter Arbeit wieder wettmachen ließe“, sagt Boczek.

Ihre Abwahl in der Stadtverordnetensitzung Ende Mai habe sie deshalb überrascht. Und nicht nur sie. So erklärt die Aufsichtsratsvorsitzende der städtischen Verkehrsbetriebe HEAG mobilo, Ellen Schüßler, gegenüber dem P, sie habe mit Boczek nicht nur sehr gut zusammengearbeitet, sondern auch „sehr von ihrer Erfahrung profitiert“. Und Schüßler trifft dazu noch eine bemerkenswerte Aussage: Eine Abwahl Boczeks sei innerhalb der Grünenfraktion, der sie bis März angehörte, niemals Thema gewesen.

Fachliche Eignung hin oder her – so drängt sich am Ende der Eindruck auf, dass sich bei den Darmstädter Grünen nach rund zwanzig Jahren Regierungsverantwortung der Filz einnistet. Denn nach der Wahl im März, aus der die Grünen zwar mit kleinen Verlusten, aber in ihrer neuen Koalition mit einer verkleinerten CDU und den blutjungen Anfängern Volt, im Grunde gestärkt hervorgingen, machten sie sich daran, die demokratischen Gremien der Stadt zu ihrem Vorteil umzubauen.

So wollten sie den ehrenamtlichen Magistrat von zehn auf 13 Sitze erweitern. Auch wenn als „ehrenamtlich“ bezeichnet, sind diese Ämter, die nur der Repräsentation dienen, gut bezahlt und wären hauptsächlich den Grünen zugutegekommen. Allerdings hätte in diesem erweiterten Magistrat auch ein Stuhl der AfD zugestanden. Nach einem öffentlichen Aufschrei zogen die Grünen deshalb zwei Tage vor der konstituierenden Sitzung des neu gewählten Stadtparlaments ihren Antrag zurück.

Womit wir auch schon wieder bei Mandy Neumanns Fraktions-Hopping wären. Denn in einem weiteren Antrag beschloss die Koalition mit der Zustimmung der SPD, die Parlamentsausschüsse zu verkleinern. Die Begründung, bei einer geraden Anzahl an Mitgliedern drohe ein Patt, trägt dabei jedoch nicht. Denn der Fall ist in der Geschäftsordnung klar geregelt. Ein Unentschieden gilt als Ablehnung. Allerdings hat die Verkleinerung der Ausschüsse, in denen die wesentliche Parlamentsarbeit stattfindet, zur Folge, dass in ihnen entweder die Fraktion von UWIGA/WGD oder die der AfD keinen Sitz erhält. Da beide Fraktionen gleich stark sind, entscheidet das Los. In jedem Fall ein Gewinn für die Koalition, denn UWIGA-Chef Helmut Klett ist seit vielen Jahren dafür bekannt, unbequem zu sein. Und hätte man im erweiterten Magistrat die AfD-Beteiligung noch hingenommen, ließe sich ihr Ausschluss aus den Ausschüssen als politischen Sieg verkaufen.

Die „Bullshit-Notbremse“ der Mandy Neumann

Als dann das Los auf die AfD fiel, zog Mandy Neumann jedoch die von ihr propagierte „Bullshit-Notbremse“ und trat kurzerhand der UWIGA/WGD-Fraktion bei. So fiel der Sitz zunächst doch an UWIGA. Doch weil Mandy Neumann gleich wieder austrat (Begründung: „Warum denn nicht?“), musste wieder gelost werden. Es gewann erneut die AfD, worauf Neumann wieder UWIGA/WGD beitrat. Der offensichtliche ratlose Stadtverordnetenvorsteher Yücel Akdeniz (Grüne) konsultierte daraufhin nicht nur sein eigenes Rechtsamt, sondern sogar den Hessischen Städtetag. Allerdings konnten die Juristen nicht wirklich weiterhelfen. Neumann scheint eine Lücke gefunden zu haben, von der sie nun munter Gebrauch machen möchte. Auf welcher Bank sie bei der nächsten Parlamentssitzung Platz nehmen wird, möchte sie sich offen halten. Und auch bei UWIGA/WGD hat man keine Einwände. „Das ist doch witzig“, erklärt der stellvertretende Chef Falk Neumann (nicht verwandt oder verschwägert), als das P ihn auf einem Kindergeburtstag erreicht. Außerdem habe sich die Koalition die Situation ja selbst eingebrockt: „Prinzipiell ist das ein Spiegel der Mächtigen.“ Er sei selber gespannt, wie es jetzt weitergehe. Kurz vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe erreichte das P die Nachricht, dass Mandy Neumann wieder aus der Fraktion UWIGA/WGD ausgetreten ist.

Und Barbara Boczek? Die promovierte Architektin berichtet, sie habe bereits verschiedene Angebote bekommen und sich für einen Lehrauftrag an der TU Darmstadt entschieden.