Weiterstadt kl IMG_1522
Foto: Mathias Hill

Jedes Jahr setzt im August eine kleine Völkerwanderung in Richtung Braunshardter Tännchen am Rande Weiterstadts ein. Der Grund? Das Open Air Filmfest Weiterstadt! Seit 1977 wird hier der Filmkunst in Lang- und (vor allem) Kurzfilmform gefrönt, was das mehrtägige Event zu einem der traditionsreichsten Filmfeste in deutschen Landen macht. Für das P Grund genug, eine fast ebenso traditionsreiche Rubrik umzustellen und aus dem zweimonatlichen „Hörspiel“ diesmal mit Lena Martin und Andreas Heidenreich, zwei von vielen Weiterstädter Filmfreunden, ein „Sehspiel“ zu veranstalten. Also, bereit zum wilden VHS-Ritt durch die Filmgeschichte?

 

„Der Prozeß“

Wir steigen ein mit der Anfangsszene von Orson Welles‘ meisterhafter Kafka-Verfilmung von 1962.

Andreas: Während Josef K. beziehungsweise Anthony Perkins gerade aufwacht und verhaftet wird, murmelt Andreas: Keine Idee! Filmgeschichte ist bei mir so ein Ding. Ich hatte nie einen Fernseher. Alles, was ich kenne, ist im Kino gelaufen… was sagt der gerade? „Fräulein Bürstner“?

Deutsch-Leistungskursler wissen da sofort Bescheid!

A: Ich hatte Mathe…

 

„Wag The Dog – Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt“

Barry Levinson drehte diese Satire, in der der US-Präsident einen fiktiven Krieg beginnt, um von einer sehr realen Affäre mit einer Schülerin abzulenken, 1997 – also kurz bevor öffentlich wurde, wie gut ein gewisser Bill Clinton eine gewisse Monica Lewinsky kannte…

A: De Niro! Ah… „Wag The Dog“ von Barry Levinson, einer der wenigen guten Filme, die der nach „Rain Man“ noch gemacht hat. Das ist eines der wenigen Beispiele für einen politischen Langfilm. Die brauchen in der Regel viel zu lang bis zur Veröffentlichung. Der Kurzfilm dagegen kann auf Politisches immer sehr aktuell reagieren – der ist immer fünf Monate nach dem Skandal da.
Lena: Ob wir bei der Filmauswahl über die Neunziger hinaus kommen? Mal schauen, wie lang Mathias mit VHS aufgezeichnet hat.

 

„Blue Velvet“

„Jeffrey, Essen ist fertig!“ Wir sehen die Schlussszene dieses unheimlichen 86er-David-Lynch-Films. Mit „Agent Cooper“ Kyle MacLachlan und Lynchs Lieblingsschauspielerin Laura Dern.

L: Das ist Ellie aus „Jurassic Park“, die in der Küche steht. Und der mit dem markanten Kinn ist…
A: Ich hatte erst an Lynch gedacht bei ihr. Moment: Das IST David Lynch, das ist „Blue Velvet“! Der mit dem abgeschnittenen Ohr. Ist schon lustig, wie die „Jurassic-Park“-Assoziation mir den Twist zu Lynch gegeben hat.
L: Laura Dern war die, die in „Jurassic Park“ dabei war…
A: Aber David Lynch geht gar nicht mehr, der ist, seit er in seiner Super-Sekte ist [Lynch fördert in einer Stiftung Transzendentale Meditation und Yogisches Fliegen, Anm. d. Red.], in so einer Schleife hängen geblieben.
L: Bei Terrence Malick [Regisseur und Drehbuchautor, unter anderem von „The Tree Of Life“, Anm. d. Red.] ist es ja ähnlich.

 

„Paul Is Dead“

Liebevoll gemachter deutscher Film aus dem Jahr 2000 von Hendrik Handloegten, in dem ein beatles-verrückter Teenager sich in die Vorstellung hineinsteigert, dass sein Englischlehrer Paul McCartney ermordet hat.

A: Das ist was Deutsches… „Paul is dead“! Der lief bei uns auf dem Filmfest, darf aber nicht im Kino laufen, wegen der fehlenden Musikrechte. Ich hab’s an dem VW-Käfer erkannt [der Englischlehrer fährt genau den weißen Käfer, der auf dem Plattencover der Beatles-LP „Abbey Road“ am Straßenrand steht, Anm. d. Red.]. Der Regisseur hat auch „Absolute Giganten“ gemacht, glaub ich. Oder war’s Sebastian Schipper [Letzterer…, Anm. d. Red.]? Wir würden ja gern zum 40. Jubiläum des Filmfests eine DVD rausbringen, aber die ganzen Musik- und sonstigen Rechte zu bekommen, ist wahnsinnig kompliziert.
L: Da muss man bei den Musiklabels und Verlagen nachfragen, die Musik wurde ja meist gar nicht für den entsprechenden Film gemacht. Das ist sehr aufwändig.

 

„Eins, Zwei, Drei“

Rasante Billy-Wilder-Komödie von 1961 – es geht um Berlin, Coca Cola, Kapitalis- und Kommunismus. Gedreht wurde kurz vor dem Mauerbau, ins Kino kam der Film erst danach.

A: Billy Wilder… „Eins, Zwei, Drei“! Mit Horst Buchholz. Den hab ich in meiner Kinozeit in den Achtzigern gesehen, da wurde das auf einmal ein Riesenknaller. Vorher war er gefloppt, weil es hieß, man könne keine Witze über den Kalten Krieg machen. So ähnlich war das dann später bei „Das Leben ist schön“ von Roberto Benigni, der nicht auf der Berlinale laufen durfte, weil man über das Thema KZ keine Witze machen dürfe. Aber Timing ist wichtig, wie man an diesem Ryan-Gosling-Film [„Gangster Squad“, Anm. d. Red.] mit der Schießerei im Kino sieht.
L: Ja, der wurde nach dem „Aurora Shooting“, wo wirklich Menschen im Kino starben, nicht mehr beworben.

 

„Tote tragen keine Karos“

Carl Reiner drehte diese Schwarz-Weiß-Komödie mit Steve Martin 1982 als Hommage an den Film Noir und schnitt in mühsamer Kleinarbeit Szenen aus alten Filmen mit Humphrey Bogart, Ingrid Bergman, Lana Turner, Vincent Price und anderen Größen rein.

A: Ist das der Carl-Reiner-Film? Wo die ganzen Filmausschnitte reingeschnitten sind? „Dead Men Don’t Wear Plaid“! Das ist der Vater des Regisseurs, der meine Lieblingsfilme gedreht hat, Rob Reiner [drehte unter anderem „Stand by Me“, „Eine Frage der Ehre“ und „This Is Spinal Tap“, Anm. d. Red.]. Der macht heute aber leider keine guten Filme mehr, der hatte zehn gute Jahre.

 

„Die Nibelungen“

Fritz Langs Stummfilmepos aus dem Jahr 1924.

A: Ist das ein seriöser oder ein parodistischer Historienschinken?

Abwarten…

L: Zwanziger?

Ja.

L: „Nibelungen“…
A: Genau, folglich ist es Fritz Lang. Der lief bei der Berlinale, Volksbühne, restaurierte Fassung, sechs Stunden…

Folglich wäre er nichts für das Weiterstädter KURZFilmfestival, oder?

A: Och, wieso nicht? Der längste Film, den wir je gezeigt haben, hatte eine Laufzeit von zehn Tagen… „Zehn Tage Jan“ hieß er [über diesen Film hat auch das P ausführlich berichtet, in Ausgabe 15 vom Juni 2009].

 

„12 Monkeys“

Terry Gilliams Endzeit-Sci-Fi-Groteske von 1995, die seinerzeit sowohl Bruce Willis als auch Brad Pitt den Sprung ins Fach der Charakterdarsteller ermöglichte.

L: Soll das Bruce Willis darstellen?
A: Terry Gilliam? Dann kann’s ja nur „12 Monkeys“ oder „Brazil“ sein.

Und da ja bei „Brazil“ kein Bruce Willis mitspielt, ist es klar, oder?

A: Ja, es ist komisch, wenn man Bruce Willis sieht, denkt man, dass da jetzt nix mit Filmkunst, sondern ein blöder Actionfilm kommt, den man eh nicht kennt. Bei Brad Pitt wär’s umgekehrt gewesen…

Habt Ihr zum Abschluss noch eine Botschaft an die P-Leser?

L: Es lebe der Kurzfilm, es lebe das Kino! Man könnte auch sagen: „Im Kino gewesen. Geweint.“

 

Fazit:

Mit einer Kafka-Verfilmung angefangen, mit einem Kafka-Zitat aufgehört – wenn das mal kein lehrreiches „Sehspiel“ war?!

 

www.filmfest-weiterstadt.de