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Foto: Niklas Nissen + Laura Zachmann

Vegane Ernährung boomt, auch in Darmstadt. Immer mehr neue Läden und Initiativen, die komplett auf tierische Produkte verzichten, sprießen aus dem Boden. Eines der etabliertesten Projekte in Darmstadt ist der „Vegane Brunch“, zu dem die Tierrechtsgruppe „Voice of Liberation“ jeden ersten Sonntag im Monat in den Glaskasten der Hochschule Darmstadt einlädt. Zwei der Initiatoren, Judith Fuhrer (23) und Michael Bernard (24), erklären im Interview, was der Brunch erreichen will und warum vegan zu leben für sie mehr als nur Lifestyle ist.

Laut Vegetarierbund Deutschland leben hierzulande aktuell 900.000 Menschen vegan. Das sind zwar nur 1,1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Dennoch scheint Veganismus gerade „in“ zu sein, oder?

Judith: Meinem Eindruck nach schon. Das ist momentan ein großer Hype. Oft beschränkt es sich aber nur auf eine Diät oder 60-Tage-Challenge. Da ist nicht wirklich die Einstellung dahinter, die wir vertreten. Aber allein schon die vielen veganen Angebote im Supermarkt zeigen, dass sich einiges geändert hat.

Für Euch ist Veganismus also mehr als nur ein Lifestyle?

Micha: Ja. Veganismus war schon immer sehr politisch und gibt viel mehr her. In letzter Zeit, seit er mainstreamtauglich geworden ist und abgeflacht wurde, ist er oft sehr egobezogen. Viele machen das nur, um ihrem eigenen Körper Gutes zu tun. Die anderen positiven Aspekte werden leider außer Acht gelassen. Trotzdem hoffe ich, dass es bei einem positiven Trend bleibt. Viele Leute, die politisch motiviert vegan geworden sind, geben das nämlich weiter. Zum Beispiel an ihre Kinder. So lernen sie schon von Kindesbeinen an den besseren Umgang mit Tieren und wissen, dass Tiere nicht nur Objekte sind, die man benutzt, wie es einem gefällt.

Ihr ernährt Euch nicht nur vegan, sondern lebt vegan. Ihr achtet also zum Beispiel auch beim Klamottenkauf, darauf dass der Hersteller auf tierische Produkte verzichtet, oder?

M:
Ja, man kann aber trotzdem in jedem Laden einkaufen. Du bekommst bei „H & M“ auch vegane Klamotten. Aus veganer Sicht bedeutet Klamottenkauf, dass ich alles anziehen kann, für das keine Wolle, Seide oder Leder verarbeitet wurde. Bestandteil der meisten Kleidungsstücke ist jedoch Baumwolle, man kann also einiges kaufen. Bei Läden wie „H&M“ ist dann eher das Leiden der ausgebeuteten Menschen in den Herstellungsländern ein wichtiger Aspekt.

J: Im Internet kann man sich die ganzen Fairtrade-Sachen bestellen, oder man schaut in Second-Hand-Shops. Am Anfang ist das vielleicht ein wenig schwierig, aber so ist es ja mit allem. Während der Umstellung auf vegan steht man auch bei Nahrungsmitteln ewig da und liest sich die Inhaltsstoffe durch, da man nicht weiß, woher alles kommt. Irgendwann hat man aber seine Anlaufpunkte und alles ist ganz normal, man denkt nicht mehr weiter darüber nach.

Veganer gelten als Tierschützer. Habt Ihr eigentlich Haustiere und wie steht Ihr dazu Haustiere zu halten?

M: Ich habe keine, was allerdings an meiner Tierhaarallergie liegt. [lacht] Wenn Tiere sowieso schon da sind – zum Beispiel im Tierheim – und man ihnen ein besseres Leben ermöglichen kann, warum nicht? Wovon ich mich direkt distanziere, sind Züchter. Wir haben sowieso schon so viele Tiere auf dieser Welt, die in vielen Ländern auf den Straßen leben müssen. Und es ist in meinen Augen egoistisch, wenn Menschen sagen, dass sie unbedingt ihr eigenes Tier haben wollen und keines, das schon jemand anderes hatte.

Wie seid Ihr zur veganen Ernährung gekommen und seit wann lebt Ihr vegan?

M: Ich lebe seit gut sieben Jahren vegan. Ich bin damals mit meiner Freundin zusammengekommen, die vegetarisch lebte. So habe ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt. Schließlich bin ich Vegetarier geworden, allerdings schon mit der Absicht vegan zu leben. Vegetarisch zu leben ist in meinen Augen einfach nicht konsequent. Es werden ja trotzdem noch Tiere ausgebeutet durch die Produktion von Milch, Eiern und Klamotten. Also habe ich Stück für Stück mehr tierische Produkte weggelassen, schließlich wurde es Alltag.

Es wird immer wieder behauptet, dass durch vegane Ernährung Mangelerscheinungen verursacht werden. Wichtige Stoffe wie Vitamin B12, Calcium und Eisen sollen nicht aufgenommen werden können.

J: Aus persönlicher Erfahrung habe ich noch nie Probleme damit gehabt. Viele lassen ihre Blutwerte checken. In den Lebensmitteln, die wir konsumieren – Sojamilch oder Nahrungsergänzungsmittel – ist davon genügend drin. Ich denke, dass das eines dieser Vorurteile ist, die man an den Kopf geschmissen bekommt. Von einem Betroffenen habe ich allerdings noch nie gehört beziehungsweise kenne ich keinen. Die mag es zwar geben, aber ich denke, wer sich mit Hintergrundwissen ernährt, hat keine solchen Probleme.

M: Dieses Jahr habe ich sogar ein Blutbild machen lassen. Ich wollte wissen, ob bei mir alles im Normbereich ist. In sämtlichen Punkten war das Ergebnis auf dem optimalen Stand, obwohl ich mir effektiv keine Gedanken mache, was ich essen soll und was nicht.

J: Und es gibt natürlich Tage, da bestellen wir uns eine Pizza oder greifen auf Fertigprodukte zurück. [lacht]

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Foto: Niklas Nissen + Laura Zachmann

Gebt Ihr mehr Geld für Eure vegane Ernährung aus?

J: Man kauft bewusster ein und man schmeißt auch weniger weg. Ich habe nicht mehr Geld zur Verfügung als andere. Natürlich sind Bioprodukte ein Stück teurer. Ich versuche auch regional einzukaufen. Aber ich gebe definitiv nicht mehr Geld aus als vorher.

Könnt Ihr denn ohne große Probleme auch mal auswärts essen gehen?

M: In Darmstadt ist das kein Problem, da kenne ich vier bis fünf Läden, auf die ich gerne zurückgreife. Veganes Essen ist viel stärker verbreitet als früher. In der Innenstadt gibt es das „Mondo Daily“ und das „Mosch Mosch“. Auch das „Habibi“ bereitet auf Wunsch vegane Gerichte zu. Mein Tipp außerdem: das „Radieschen“ in Eberstadt. [Anm. d. Red.: Das „Veelgood (Café und Snackbar)“ in der Mühlstraße 76 könnte man an dieser Stelle auch noch erwähnen.] In ländlichen Gefilden ist das vegane Angebot aber noch ausbaufähig. Da kriegt man am Ende eben nur eine Pommes. Nervt zwar auf Dauer, geht aber auch.

Habt Ihr allgemein das Gefühl, dass man in Darmstadt als Veganer gut klar kommt, oder ist das Angebot noch ausbaufähig?

J: Also ich finde es super. Abgesehen von den Angeboten an veganen Restaurants findet man selbst in den Discountern vegane Lebensmittel. Natürlich wäre es schön, wenn es ein oder zwei Auswahlmöglichkeiten mehr gäbe. Neben Wurst- und Käsebrötchen würde mich eine Variante mit veganem Aufstrich freuen. Aber es würde mir auch schon reichen, wenn vegane Gerichte auch als solche gekennzeichnet werden.

M: Was noch zu wünschen übrig lässt, sind die Mensen der Hochschulen. Da gibt es teilweise nur an einem Tag in der Woche ein veganes Gericht. In der TU Darmstadt soll es jetzt aber täglich vegane Angebote geben [Anm. d. Red.: Mittlerweile bietet das Studentenwerk in seinen Mensen täglich ein veganes Gericht an.]. Insgesamt wäre es wirklich wünschenswert, dass das an allen Hochschulen, Schulen und anderen Bildungsstätten eingeführt wird.

Ihr seid zwei der Initiatioren des veganen Brunchs im „Glaskasten“ der Hochschule Darmstadt. Wie kam es zu der Idee und welche Motivation steckt dahinter?

J: Der Brunch ist dafür da, um zu zeigen, dass es Alternativen gibt. Wir wollen den Leuten die Vielfalt veganer Ernährung schmackhaft machen, was uns hoffentlich auch immer wieder gelingt. Was auch nicht fehlen darf, ist unser Infostand im „Glaskasten“. Dort gibt es Rezepte, Infomaterial zu Eiern, Milch und allgemeine Hintergrundinformationen.

M: Bei jedem Brunch gibt es einen politischen Vortrag, der sehr zentral ist. Unsere Botschaft lautet: Politik ist wichtig, nicht langweilig! Dafür wollen wir mehr Bewusstsein schaffen. Wir wollen den Leuten die Theorie gleich zum Probieren anbieten. Außerdem verlangen wir keinen Eintritt. Wir möchten niemanden ausschließen, nur weil er oder sie es sich nicht leisten kann. Wir stellen eine Spendenbox auf und die Leute können so viel Geld geben, wie sie es für angemessen halten. Damit decken wir unsere Kosten. Das hat bisher immer geklappt. Gewinn machen wir kaum, aber das ist auch nicht unser Ziel.

Wird der Brunch denn von „normalen Essern“ besucht? Was für Menschen kommen in „Glaskasten“?

M: Wir haben mal eine Umfrage gemacht, in der wir wissen wollten, wie die Menschen, die zum Brunch kommen, sich sonst ernähren. Das Ergebnis war überraschenderweise sehr ausgeglichen zwischen Veganern, Vegetariern und „normalen Essern“. Die Altersspannweite liegt zwischen 17 und 60 Jahren. Auch Kinder krabbeln hier immer rum. Aufgefallen ist uns eine Dame, die schon um die 70 war und seit der Hälfte ihres Lebens vegetarisch lebt. Vor Kurzem hat sie sich nun dazu entschlossen, vegan zu leben. Das hat uns überrascht. Älteren Menschen wird meist nachgesagt, dass sie in ihrem Lebensstil festgefahren sind. Aber wenn man von etwas überzeugt ist, ist alles möglich.

Mit welchem Gericht würdet Ihr versuchen einen überzeugten Fleischliebhaber vom Veganismus zu überzeugen?

J: Am besten, man fragt denjenigen, was er gerne isst und versucht ihm dann eine Alternative dafür zu zeigen, oder?

M: Gute Idee, ich würde trotzdem Lasagne sagen! [lacht]

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Tier-Liebe geht durch den Magen

Der „Vegane Brunch“ findet jeden ersten Sonntag im Monat im Glaskasten im Erdgeschoss des Hochhauses der Hochschule Darmstadt statt. Zwischen 11 und 14 Uhr kann nach Herzenslust geschlemmt werden. Der Vortrag startet um 12.30 Uhr. Alle Infos findet Ihr unter: www.voilib.de/brunch

Neue App für regionale Lebensmittel

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