Foto: Maya-K. Schulz

Wenn man auf und abseits von Darmstadts Straßen flaniert und genau darauf achtet, dann sieht man sie: die vielen unterschiedlichen Jobs und Berufe, die Menschen in Darmstadt voller Herzblut ausüben und die Stadt damit zu der machen, die sie ist. Die Artikelreihe „Jobs outside the box“ soll (eher ungewöhnliche) Berufe wertschätzen, die das Stadtbild prägen und die – oft unbemerkt – sehr viel Positives zum Alltag der Heiner:innen beitragen. Vor allem aber soll sie zeigen, was viele längst wissen: dass es zwischen Maschinenbau, Informatik, Medizin, Jura und Philosophie noch jede Menge coole andere Bereiche gibt, in denen man arbeiten kann!

Folge 1: Stefanie Baysu-Pfeiffer, die erste Grabmacherin Darmstadts

„Grabmacher, m.“ – so steht es im deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm. „Erbauer eines Grabmonuments“, „Totengräber“, heißt es darunter. Diese Bezeichnungen treffen auf Stefanie Baysu-Pfeiffer alle zu – mit Ausnahme von „m.“. Denn sie ist seit 2021 die erste weibliche Grabmacherin Darmstadts. Der Alte Friedhof an der Nieder-Ramstädter Straße, eine der „grünen Lungen“ der Stadt, ist ihr Arbeitsplatz.

Der Wind rauscht in den Blättern der Linden, die um das Verwaltungsgebäude des Alten Friedhofs herumstehen. Der Duft von Blüten und nasser Erde liegt in der Luft, denn gerade hat es endlich mal wieder geregnet. Trotzdem ist es warm an diesem Juninachmittag. Ein paar Vögel singen, eine Taube gurrt, alle paar Takte mischt sich eine Krähe in das Konzert ein. Es scheint beinahe unmöglich, die vielen verschiedenen Grüntöne zu zählen, die einem ins Auge stechen, wenn man über den Friedhof spaziert. Die Gräber sind gut gepflegt. Ein steinerner, moosbewachsener Engel beugt sich über ein Grab. Mittendrin sitzt Stefanie Baysu-Pfeiffer auf einer Bank, genießt die Sonnenstrahlen und lässt den Arbeitstag ausklingen.

„Heute war ein interessanter Tag“, erzählt die 39-Jährige, „wir hatten eine Erdbestattung in Bessungen [auf dem dortigen Friedhof im Heinrichwingertsweg], die mit der Hand geschlossen werden musste. Das ist unüblich, denn mittlerweile gibt es ja einen Kleinbagger für diese Aufgabe. Doch in Bessungen liegen die Gräber sehr eng beieinander. Da kann es vorkommen, dass der Bagger da nicht durchfahren kann.“ Bei einer gewöhnlichen Erdbestattung wird das Grab in der Regel einen Tag vorher ausgehoben, manchmal sogar noch am selben Tag, wenn es sich um eine unkomplizierte Grabstelle ohne Baumwurzeln handelt.

Eine ungewöhnliche Berufswahl

Der Beruf des Grabmachers hat hierzulande eine lange Tradition. Legenden von Wiedergängern und Scheintoten sorgten im Mittelalter zur Mystifizierung des Berufes und der Menschen, die ihn ausübten. Bis heute ist eine Beisetzung auf einem Friedhof ohne Grabmacher oder Grabmacherin nicht möglich. Doch ihre Arbeit umfasst weit mehr als das Öffnen und Schließen einer Grabstelle. „Im Sommer gehört auch mal Rasenmähen dazu, im Herbst Laubharken. Wenn der Sarg in der Trauerhalle aufgebahrt ist, dann helfe ich dort auch, wenn etwas um- oder weggeräumt werden muss. Bei der Beerdigung selbst bin ich auch dabei, wir Grabmacher fahren den Kondukt, den Trauerzug, und lassen den Sarg ab“, berichtet die gebürtige Eberstädterin, die in ihrer grünen Arbeitslatzhose so gar nicht mystisch wirkt.

Nach der Schule absolvierte Stefanie Baysu-Pfeiffer eine Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel – Grabmacherin zu werden, daran hat sie damals nie gedacht. Dann wurde sie Mutter, nahm sich eine Auszeit von ihrem Beruf. Heute hat sie drei Kinder. Vor sechs Jahren kam sie als Reinigungskraft auf den Alten Friedhof in Darmstadt. „Meine Eltern arbeiten auch beide auf Darmstädter Friedhöfen, wahrscheinlich hat mir das den Schubser in diese Richtung gegeben. Dann habe ich mich mit den Berufen auseinandergesetzt, die es hier noch so gibt“, erzählt sie: „Aufseher, Gärtner und Grabmacher. Der Beruf der Grabmacher hat mich interessiert. Als die Stelle ausgeschrieben wurde, habe ich den Vorarbeiter gefragt, ob er sich vorstellen könnte, dass auch eine Frau diese Arbeit machen kann. Und er hat gesagt: Ja, warum nicht?“

Körperliche Schwerstarbeit

Was die Grabmacher:innen leisten, ist körperliche Schwerstarbeit. Besonders im Winter, wenn der Boden gefroren ist, ist das Ausheben der Gräber eine Herausforderung. Vier bis sechs Personen sind nötig, um den Sarg zu tragen und gemeinsam in das Grab abzulassen. Für Baysu-Pfeiffer hat die Aufnahme im Kollegenteam gut funktioniert: „Alles Gentlemen! Am Anfang musste ich mich aber durchsetzen und häufig sagen: So, jetzt aufhören zu helfen und mich machen lassen! Es sind sehr nette Menschen, die hier arbeiten. Und ich profitiere natürlich von ihrer Erfahrung, wenn sie mir zum Beispiel Tipps dazu geben, wie ich rückenschonender heben kann. Aber ich habe mittlerweile auch meine eigenen Techniken entwickelt, die anders sind, als die von Kollegen, die vielleicht mehr Kraft aufwenden können.“

Wenn sie anderen Menschen erzählt, dass sie als Grabmacherin arbeitet, reichen die Reaktionen häufig von Überraschung bis Schock. „Viele sind sehr erstaunt, dass eine Frau diese Arbeit überhaupt machen kann. Sie fragen dann: Warum machst Du das? Und wie viele Kilo hebt man da? Du machst Dir doch Deinen Körper kaputt! Aber dem entgegne ich: Nur im Team ist man gemeinsam stark. Und ich hebe den Sarg ja nicht alleine.“

Wenn Stefanie nicht auf dem Friedhof ist, ist sie auf dem Campingplatz, verbringt dort Zeit mit ihrer Familie. „Ich bin auf jeden Fall ein Naturmensch. Auch wenn meine erste Ausbildung das nicht so vermuten lässt. Im Vergleich zum Büro arbeite ich viel lieber draußen in der Natur. Und genieße noch das Wetter mit dazu.“

Tod und Vergänglichkeit

Bei ihrer Arbeit ist die Grabmacherin täglich mit Themen wie Tod und Vergänglichkeit konfrontiert. Doch die Arbeit auf dem Friedhof bewirkt, dass sie mit diesen Themen mittlerweile anders umgehen kann. „Man denkt nicht gerne über den Tod nach. Daher ist dieser Beruf wahrscheinlich auch allgemein so wenig präsent in der Gesellschaft. Als ich als Reinigungskraft hier angefangen habe, habe ich auch noch sehr anders gedacht. Ich hatte größere Berührungsängste. Der tägliche Umgang damit bewirkt, dass einem das Thema nicht mehr so schwer erscheint. Man kann leichter darüber sprechen.“

Einen Aspekt, den Baysu-Pfeiffer an ihrer Arbeit besonders erfüllend findet: „den Menschen einen schönen Abschied zu bereiten. Und vielleicht ist es für manche Angehörige auch ein gutes, angenehmes Gefühl, dass eine Frau dabei ist, und bei diesem Abschied mithilft. Vielleicht kann ich es den Menschen damit etwas leichter machen.“

Auf die Frage, ob es ihr manchmal unheimlich werde, wenn sie alleine auf dem Friedhof ist, muss Stefanie lachen. „Nein“, sagt sie, „nie.“ In der Sommerzeit beginnt sie um sieben Uhr morgens auf dem Friedhof, im Winter wegen der Dunkelheit eine halbe Stunde später. „Wenn man im Dunklen hier arbeitet, ist man in der Regel aber auch nicht alleine“, erzählt sie. Beim Rasenmähen hört sie Musik, „dann ist es nicht so langweilig und eintönig“.

Supermama

Stefanies Kinder finden, dass sie eine „Supermama“ haben, weil sie diese Arbeit machen kann, für die man so viel – körperliche und mentale – Kraft braucht. Ihnen möchte die 39-jährige Mutter mitgeben, dass man Ziele erreichen kann, wenn man es wirklich will. Dass man nicht vor einem Beruf zurückschrecken sollte, weil er ein typischer „Frauen- oder Männerjob“ ist. Dass vieles zu schaffen ist. „Ich würde mich freuen, wenn mehr Frauen in Berufen wie meinem arbeiten würden. Dass mehr Frauen sehen, dass dieser Job für sie zu bewältigen ist. Das wäre schön!“