Foto: www.samuelharfst.de
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Wer bei einem Spaziergang durch Darmstadts sonnige Innenstadt einmal genau hinhört, wird feststellen: Sommer klingt anders als Winter! Unter das anschwellende Gemurmel der Menschenströme, Läden und Cafés mischt sich Vogelgezwitscher – und Musik.

An einem warmen Samstagnachmittag begrüßen Panflötenklänge der allseits bekannten indianischen Combo den Stadtbummler schon am Luisenplatz. Zwei Kinder bleiben stehen und zeigen begeistert mit dem Finger auf die federgeschmückten Musiker. „So ein Gedudel“, schimpft ein anderer im Vorbeilaufen. An der Ecke vor Zara steht ein Mann in Lederhosen und gibt mit seiner Gitarre die größten Rockballaden des letzten Jahrhunderts zum Besten: „Knock, knock, knockin‘ on heaven‘s door…“

Das Stichwort Straßenmusik weckt bei vielen gemischte Gefühle. Man denke an „Ave Maria“ aus der Konserve, begleitet von zittriger Geige oder diversen anderen Instrumenten, vorgetragen von einsamen Musikern, die mit Sammelbecher in einer Ecke stehen, während Passanten vorbeiziehen. Oder vielleicht kommt jemandem der kleine Junge am Akkordeon in den Kopf, der noch im Winter frierend spielte und dessen Geschichte wir nicht kennen. Noch immer werden Straßenmusiker häufig als eine Art Bettler gesehen. „Die Straßen werden oft als letzte Möglichkeit betrachtet, für Musiker, die in den Clubs niemand will oder die keiner kennt. Aber das stimmt nicht. Straßenmusik ist eine richtige Kunst für sich, in der du gut sein musst, sonst hört dir niemand zu“, erzählt Samuel Harfst, wenn man so will der Star unter Darmstadts Straßenmusikern, neben der One-Man-Band Slippery Mike.

Ein Spaziergang durch die sommerliche Stadt bringt die Sonnenseiten der Straßenmusik hervor: Sie macht die Stadt lebendig, bringt Kultur und Abwechslung im Alltag der Menschen unter und ist somit ein großer Feind der Langeweile. An sonnigen Tagen wie diesen sitzen an vielen Ecken Straßenmusiker und spielen Lieder, die so unterschiedlich sind wie ihre Macher. Vorbei eilende Leute werfen  einen Blick auf sie, viele gehen vorbei, manche bleiben stehen und hören zu. „Das ist das Schwierige“, erklärt Samuel, „die Leute hören Dich und entscheiden dann in zwei oder drei Sekunden, ob sie stehen bleiben oder weiterlaufen.“ Samuel Harfst ist Gitarrist und Sänger des gleichnamigen hessischen Neofolk-Trios, zu dem noch ein Cello, gespielt von Dominik Schweiger oder Dirk Menger, und Cajón/ Percussion von David Harfst gehören (www.samuelharfst.de). Sie gingen in Gießen auf dieselbe Schule, und zusammen haben sie schon auf den Straßen der meisten großen Städte Deutschlands gespielt, dazu unzählige Konzerte auf kleinen Feiern oder vor Tausenden auf Festivals gegeben – mit Erfolg. Ihre im eigenen Studio aufgenommenen Platten verkaufen sich gut, im Herbst soll Album Nummer fünf veröffentlicht werden. Warum sie trotzdem noch auf der Straße spielen? „Das ist irgendwie so unser Ding“, erklärt Samuel.

Zum ersten Mal stand er mit sechs Jahren auf der Straße und hat Musik gemacht. Um sich Taschengeld zu verdienen: „Ich wollte unbedingt einen Hamster!“ Wiederbelebt wurde die Idee der Straßenmusik erst 2005, als Samuel in Sydney, wo er Theologie studierte, das Geld ausging. „Ich saß da und hab gespielt, fünf Stunden am Stück.“ Ein Knochenjob, weil man in keiner Sekunde nachlassen darf. Die Musik ist seit dem Ende seines Studiums Samuels Beruf und die ganze Band weiß, dass es mehr braucht, als sich auf die Straße zu stellen und vor sich hinzuspielen, um bekannt zu werden: „Wir träumen groß, aber hellwach.“ Sie wissen um die Wichtigkeit von eingängigen, aber originellen Songs, enormer Präsenz und vollem Einsatz, um die Aufmerksamkeit der Leute zu gewinnen. „Wenn ich einen Künstler sehe, dann will ich nicht weniger sehen, als dass der sein komplettes Herz da reinschmeißt“, sagt Samuel, und das ist auch sein Anspruch an sich und seine Musik.

Straßenmusik kann nicht nur der Bereicherung des kulturellen Stadtlebens dienen. Schafft man es, Publikum einzufangen, steigert man auch den eigenen Bekanntheitsgrad. Als Samuel neulich im „Cielo“ nachfragte, ob man vor dessen Türe spielen dürfe, buchte man das Trio kurzerhand für ein Konzert im hauseigenen Club. Ähnlich lief es mit der Traisaer Kirche: Konfirmanden, die das Trio in Darmstadt hörten, verpflichteten es für einen Auftritt dort.

Auch macht man als Straßenmusiker persönliche Erfahrungen: „Man lernt Gelassenheit“, resümiert Samuel. Schließlich sind die Umstände der Straßen unberechenbar und das Publikum nicht der Musik wegen gekommen, wie auf einem Konzert. „Hier sind nicht nur Menschen unterwegs, die dir zuhören möchten, was auch eine Herausforderung für das Selbstbewusstsein sein kann.“ Denn: Was für den einen zauberhafte Musik ist, mag für andere nur eine Lärmbelästigung sein. Deshalb darf auf Darmstadts Straßen nur von 8 bis 20 Uhr gespielt werden, nie länger als eine halbe Stunde am gleichen Ort und nur ohne laute Verstärker (alle „Spielregeln“ sind zu finden auf www.darmstadt.de). Wer CDs verkaufen will, braucht außerdem einen Gewerbeschein. Grundsätzlich endet das Recht zu spielen, wenn sich jemand gestört fühlt, weshalb es um so wichtiger ist, mit einem wohl gewählten Programm auf die Straßenbühne zu treten.

„Ich glaube, es gibt ein großes Kulturinteresse in Darmstadt und die Leute aus den Läden waren immer nett“, findet Samuel. Auch die Schülerinnen Leonie und Anette haben im Geigenduett gemeinsam die Straße erprobt: „Einerseits ist es für uns selbst immer wieder eine Herausforderung, gleichzeitig ist es schön, durch sein Hobby mit Fremden ins Gespräch zu kommen und anderen Freude zu bereiten – besonders wenn kleine Kinder mit großen Augen bewundernd zuschauen.“

Also: Ohren auf beim nächsten Stadtgang. Denn vielleicht wird der langweilige Supermarkteinkauf das nächste Mal zu einem kleinen Konzert in der Sonne.