Ich habe mir einen Beruhigungstee gekocht, ein paar Atemübungen und eine Runde Yoga gemacht. Jetzt kann ich diesen Text halbwegs entspannt verfassen.
Denn ich bin sehr wütend. Seit einigen Wochen gibt es in Darmstadt (wieder) Montagsspaziergänge der Querdenker-Bewegung. An einem Januarsamstag gab es außerdem eine „große Infoveranstaltung“ mit Demo und Gegendemo. Den Querdenker-Demozug konnte ich gut von meinem Fenster aus beobachten, weil er an meinem Haus vorbeiging.
Der Sprecher ließ verlauten, dass in der Wissenschaftsstadt Darmstadt heute 1.500 Menschen dabei seien. Dabei betonte er das Wort „Wissenschaft“ ganz besonders. Weil er glaubt, dass Darmstädter Wissenschaftler:innen vermeintlich dem Geschwurbel glauben oder weil er glaubt, Corona zu leugnen sei selbst eine Wissenschaft, das ließ er offen. Es gab großen Applaus aus der Gefolgschaft. Ich war echt nie gut in Mathe, konnte aber von meiner Wohnung den gesamten Zug sehen. Ich hab nachgezählt, es waren höchstens 350 Menschen. Vielleicht wurden die Trommeln dazu gezählt, davon gab es nämlich wirklich SEHR viele.
Ich sinniere über Querdenken. Was ist das überhaupt für ein Name? Wenn ein Auto quer auf der Straße steht, behindert es den Verkehr und sollte weggeräumt werden. Wenn uns ein Furz quer steckt, tut es echt weh – und der muss früher oder später raus. Was genau machen denn die queren Gedanken im Kopf, verursacht das auch Schmerzen? Müssen die deswegen so ungefiltert raus? Okay, wir alle sind viel spaziert seit Corona, aber puh, die Querdenker heben das auf ein wirklich ungesundes Level. Ich verabrede mich mittlerweile zum Lustwandeln statt zum Spazieren und besser nicht mehr montags, dass da keine Missverständnisse aufkommen.
Ein Mann im Sträflingsanzug macht seinem Unmut über die Corona-Diktatur Luft. So, jetzt wird das ein bisschen theoretisch: Hefte raus, Verfassungsrecht! In einer Diktatur werden Demonstrationen Andersdenkender gewaltvoll durch die Polizei beendet. Die Querdenker laufen mit Polizeischutz im Rahmen der grundrechtlich verankerten Versammlungsfreiheit durch die Stadt und dürfen ihre Meinungen kundtun. Wenn ihre Meinungen sich im gesetzlichen Rahmen bewegen, dürfen diese auch abstrus sein. Wenn jemand anderer Meinung ist, ist das keine Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern auch dessen Meinungsäußerungsfreiheit. Bloß äußert der halt eine andere Meinung. Und manchmal haben viele Leute die Meinung, dass Querdenken ein komischer Verein sei, gegen den man wiederum demonstrieren muss. Und das dürfen die, Überraschung. Wer weiß noch, wieso? Vielleicht jemand aus der letzten Reihe, der Mann im Sträflingskostüm? Richtig, wegen der Versammlungsfreiheit. Schwer zu ertragen, aber das spricht alles wirklich gegen eine Diktatur. Wer auf Nummer sicher gehen will, probiert Folgendes: Schreit, schreibt oder demonstriert gegen die vermeintliche Diktatur. Wenn man gerade nicht raus darf, weil man ungeimpft oder in Quarantäne ist, kann man das auch in den Kommentarspalte auf Twitter oder Facebook machen. Gerne auch öfter, wir wollen ja auf Nummer sicher gehen. Und, passiert was? NEIN! Weil wenn man sich laut beschweren kann, dass man vermeintlich in einer Diktatur unterdrückt wird und das ohne Folgen bleibt – dann lebt man in keiner. In einer echten Diktatur bekäme man da ganz dolle Ärger für. Und vielleicht sogar ein kleines Aua, das viel schlimmer ist als ein Pieks von der Impfung.
Und eine wirklich wichtige Frage, die mir bisher noch niemand beantworten konnte: WIESO spaziert Ihr mit Nazis? Wenn Ihr selbst keine seid, dann teilt Ihr Euch trotzdem die Straße mit denen. Man kann über Maßnahmen, eine Impfpflicht oder die Corona-Politik diskutieren und auch manches blöd finden, wir alle haben keine Lust mehr. Aber mit Nazis laufen? Mit Absicht? Da ist es mir völlig egal, ob Ihr noch drei Mal betont, dass nicht alle Nazis sind und Ihr ganz friedlich bleibt. Ihr spaziert Seite an Seite mit Nazis, wisst das und geht trotzdem hin. LET THAT SINK IN! Und geht mal ordentlich pupsen …
Du bist fies? Ich bin Fiesa!
Ich bin Isa, 34, spiele Roller Derby und mag Tierbabys aller Art. Ich wohne seit 2007 in Darmstadt, wollte nur kurz zum Studium bleiben … das hat ja hervorragend geklappt. Darmstadt war Liebe auf den zweiten Blick und ist Zuhause geworden. Die Schrullen und Besonderheiten der Stadt bringen mich zum Lachen, daran wollte ich Euch teilhaben lassen. Da ich keine echte Heinerin bin, ist das natürlich nie ganz ernst zu nehmen und mit einem Augenzwinkern zu verstehen.