Paralympics-Fotograf bei den Sommerspielen in Rio de Janeiro 2016. In der deutschen Delegation im Presseteam. Klingt erstmal sauwichtig. Klingt auch nach viel Arbeit. Aber ich wollt’s ja so haben. Vor dem Abflug habe nicht nur ich ein mulmiges Gefühl im Bauch. Moskitos, Zika-Virus, Überfälle, Schusswechsel, eine Stadt, die die Spiele nicht bezahlen kann. Das sorgt für unsichere Gesichter am Check-in-Schalter. In der Abflughalle am Frankfurter Flughafen herrscht dennoch euphorische Klassenfahrtstimmung – nur eben mit 300 Leuten und unzähligen Rollstühlen.
Nach knapp zwölfstündigem Flug ist es bei unserer Landung in Rio überraschend trist, grau und regnerisch. Während es für die Athleten einen offiziellen Transfer ins paralympische Dorf gibt, muss die Pressedelegation irgendwie selbst dorthin kommen. Mit den Öffentlichen? Bei unserem Gepäck voller Fototechnik: eher nein. Also mieten wir einen Bus und werden von den ersten Eindrücken erschlagen. Rund um den Flughafen liegen die weniger schönen Viertel der Metropole: Favelas, Autowracks, Müll und überall Polizei und Militär auf den Straßen. Unsere Unterkunft entpuppt sich als riesiger Hochhauskomplex für Wohlhabende. 17 Stockwerke, zirka 350 Wohnungen pro Bau – und davon ziemlich viele. Komisches Gefühl hier zu sein, mit Pool und Bar – und draußen die Hüttendörfer im Elend.
Cut.
Knapp drei Wochen später bin ich auf dem Weg ins Maracanã-Stadion zur Abschlussfeier und lasse meine Zeit an der Copacabana Revue passieren. Hinter mir liegen 14-Stunden-Arbeitstage: Hektik, Fotos bearbeiten und direkt vom Spielfeldrand hochladen, danach wilde Abende im Deutschen Haus – und ’ne Menge großen Sport gab’s natürlich auch. Die Stadien waren voll, selbst Sportarten wie Tischtennis und Sitzvolleyball erfreuten sich großem Interesse und verdammt guter Stimmung. Mit für die Bevölkerung erschwinglichen Ticketpreisen übertrafen die Besucherzahlen der Paralympics teilweise sogar die der Olympischen Sommerspiele.
Statt ausgeraubt und beschossen zu werden, habe ich eine unglaubliche Hilfsbereitschaft erfahren und die nicht aufgesetzte gute Laune der Brasilianer lieben gelernt. Also alles halb so schlimm wie erwartet. Eines Abends lief ich durch eine Venue, eine Helferin saß auf einem Hochstuhl und fing plötzlich an „The Girl From Ipanema“ zu singen. Sofort blieben Leute stehen, stimmten ein und klatschen. Die Frau hatte eine herrliche Soulstimme! Am Strand war ich kein einziges Mal. Morgen früh, bevor am Abend der Flieger zurück geht, will ich aber wenigstens noch auf den Corcovado.
War es eine gute Idee, die Spiele in Brasilen abzuhalten?
Ich bin zwiegespalten. In großen Teilen Brasiliens herrscht immer noch bittere Armut. Dort wird jedes bisschen Geld gebraucht. Zum anderen ist die reibungslose Durchführung derartiger Großveranstaltungen auch ein Signal dafür, dass das Land trotz politischer Schwierigkeiten nicht am Abgrund steht. Das ist wichtig für die Wirtschaft. Brasilien hat Industrie, Rohstoffe und Potenzial. Insofern habe ich Hoffnung, dass es aufwärts geht. Ob mit Präsident Michel Temer, da bin ich nicht sicher. Schwer zu sagen auch, ob die knapp 4,5 Milliarden US-Dollar für Olympia tatsächlich gut investiert worden sind. Trotz Sparmaßnahmen waren die Spiele in Rio aber nicht schlechter als Peking oder London, so mein Eindruck.
Die Begeisterung der Brasilianer war in jedem Fall zu spüren. Definitiv waren die Paralympics Spiele fürs Volk. Wobei ich zugeben muss, dass mein Austausch mit Brasilianern leider beschränkt war. Nur wenige sprechen Englisch und die Presse wurde während der Spiele mit einem eigenen Transport-Service durch die Gegend gefahren.
Mittlerweile ist die Abschlussfeier in vollem Gang. Johnatha Bastos, ein Musiker ohne Arme, spielt E-Gitarre. Mit seinen Füßen. Durchs Maracanã hallt „Refuse/Resist“ von Sepultura. Fuck, yeah!
„Rio in der Kritik – Zukunft der Olympischen Spiele?“
Wie der Titel verrät, wird Olympia auch bei dieser Ausgabe des Herbstgesprächs der Deutschen Olympischen Gesellschaft kritisch hinterfragt. Fotograf Uli Gasper ist einer der Diskutierenden, dazu weitere in Rio aktive Sportler und Journalisten – und auch das Publikum wird einbezogen. Erörtert werden sollen sportpolitische, juristische und gesellschaftliche Fragen, die die Zukunft des olympischen Sports beeinflussen werden. Denn: „Die Rolle des IOC ist diskussionswürdig. Dass Dopingsünder manchmal erst mit achtjähriger Verspätung enttarnt werden, schürt Argwohn, setzt aktuelle Leistungen einem großen Mistrauen aus. Zum Schaden des Ansehens des Sports. Es gibt aber auch positives Zeichen: die in Rio sichtbare gestiegene Bedeutung der Paralympics.“
Medienzentrum der Sparkasse, Rheinstraße 10–12 (am Luisenplatz) | Do, 03.11. | 18 Uhr | Eintritt frei