Dr. Kai Denker forscht im Projekt „Meme, Ideen, Strategien rechtsextremistischer Internetkommunikation“ (MISRIK). Begleitende Fotos zu einem Interview mit ihm über Kommunikationsformen und -kanäle rechter Aktivist:innen.

Seit 1997 trägt Darmstadt den Beinamen Wissenschaftsstadt im Titel und auf den Ortsschildern – mit ihren Ideen, Projekten und Lösungen füllen Forschende an TU und Hochschule Darmstadt oder den Fraunhofer-Instituten dieses Label mit Leben. Das P zeigt Ausschnitte der lokalen Forschungs- und Entwicklungsarbeit: Projekte, die sich auf Gesellschaft, Umwelt und Alltag auswirken – und die Menschen dahinter.

Um mal einem nicht technischen, gesellschaftlich extrem relevanten Thema Raum zu geben, treffen wir Kai Denker zum Interview. Er ist Doktor der Philosophie an der Technischen Universität Darmstadt und klärt über rechtsextremistische Internetkommunikation und die Bewegung der Neuen Rechten auf. Das Projekt, in dem er forscht, ist interdisziplinär – heißt: Es sind mehrere Disziplinen beteiligt. Neben der Philosophie in Darmstadt unter anderem noch die Politikwissenschaft in Wiesbaden und die Ethnologie in Mainz. Gefördert wird das Projekt „Meme, Ideen, Strategien rechtsextremistischer Internetkommunikation“ (MISRIK) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Programms „Forschung für zivile Sicherheit“. Wie – vermeintlich – lustige Meme und die Gefährdung ziviler Sicherheit unter einen Hut passen, erfahrt Ihr … jetzt!

Fangen wir ganz grundlegend an: Wie kommunizieren Meme?

Die Idee von Meme und memetischer Kommunikation gibt es schon länger als das Internet. So ein Mem kann wie ein (geistiger) Virus verstanden werden, der sich von Gehirn zu Gehirn überträgt, weil es Aufmerksamkeit erzeugt und einprägsam ist. Gerüchte sind im Grunde Meme, Vorurteile sind Meme, Ohrwürmer sind Meme. Sie leben durch Nachahmung und Wiederholungen.

Durch welche Art von Rhetorik sind Meme so einprägsam?

Meme sind stark interpretationsbedürftig, das teilen sie mit einem guten Witz. Ein wichtiges rhetorisches Mittel ist dabei das Enthymem. Dieses Stilmittel funktioniert so, dass man Teile von dem, was man sagen möchte, auslässt. Das Publikum ergänzt diese gedanklich und bekommt die Illusion: Das sind meine Gedanken, da bin ich von ganz allein draufgekommen. Meme sind gleichzeitig überbestimmt und unterbestimmt: unterbestimmt, weil man sie entschlüsseln muss wie kleine Bilderrätsel. Manche sind simpel, andere sind schon komplizierter, geheimnisvoller. Man muss eingeweiht sein und die Bezüge kennen – deshalb überbestimmt.

Dann drängt sich mir die Frage auf, ob rechte Meme nicht nur die Menschen erreichen, die solche Werte und Haltungen ohnehin teilen. Wenn ich all die „Insider“ nicht kenne, werde ich davon doch auch nicht angesprochen und beeinflusst.

Wir machen uns oft nicht klar, dass der Übergang fließend ist. Viele stellen sich vor: Man ist mittelgemäß demokratisch, sieht ein rechtsextremes Mem und ist ein Nazi. So funktioniert das nicht. Jeder Mensch hat mikrokleine Vorurteile, die schon ausreichen können, um Geschichten anzuschließen. Diese sind oft gar nicht rechtsextrem, die wiederholen erst mal nur. Aber wenn man sich bestätigt sieht, wird das Vorurteil anschlussfähig. Ein Prozess, der dauert, denn vieles ist subtil. Extreme Inhalte mit Bildern von Konzentrationslagern gibt es auch. Aber für die Neue Rechte ist wichtig, dass es die Zwischenformen gibt, die einen „abholen“. Es ist einkalkuliert, dass Leute Inhalte weiterverbreiten, die das erst mal nur lustig finden, ohne sich was dabei gedacht zu haben.

Wen versucht die Neue Rechte damit zu erreichen? Wer wird erreicht?

Die Neue Rechte versucht sehr flächendeckend, Diskursverschiebung zu erreichen. Man beschränkt sich nicht auf eine Zielgruppe. Strategie ist, langfristig die „Sagbarkeitsgrenze“ zu verschieben – die Auffassung der Mitte der Gesellschaft so zu verändern, dass sich diese immer weiter nach rechts öffnet. Man kann beispielsweise durchaus sagen, dass CDU und SPD in Hessen mit dem Genderverbot eine Idee bedienen, die langsam von rechts außen eingepflegt wurde.

Können Sie aktuelle Beispiele für eine Diskursverschiebung nennen?

Die Gender-Sprach-Panik ist befeuert worden und hat sich von rechts immer weiter in die Mitte reingefressen. Und jetzt finden wir vollkommen wohlmeinende Leute, die von „Verunstaltung der Sprache“ sprechen. Viele Aussagen wirken erst wie ein Fähnchen im Wind: Weil die Rechte darauf achtet, was adaptiert und übernommen werden kann. So kann man den Ärger von Landwirten über eine auslaufende Steuersenkung umdeuten zu einer totalitären Maßnahme einer „grün-verseuchten Regierung“. Auch die Energiesorgen zu Beginn des Ukraine-Krieges wurden befeuert, befeuert, befeuert – als die Bundesregierung einen gar nicht so schlechten Job gemacht hat, unsere Gasversorgung zu sichern, ist man schnell umgestiegen auf die Inflationssorgen.

Was macht das mit Ihnen als forschende Person? Sind sie im ständigen Wertekonflikt oder funktionieren die Inhalte so schleichend, dass sie gewisse Haltungen langsam übernehmen?

Ich hoffe, dass mich das nicht inhaltlich beeinflusst, aber ich gehe auch nicht davon aus. Die Forschung ist durchaus mit Belastungssituationen verbunden, weil es auch gewaltaffine, gewalttätige, gewaltdarstellende Beispiele gibt. Wir haben eine psychologische Supervisorin, mit der wir über Eindrücke sprechen und Übungen machen, um uns vom Gesehenen zu befreien. Sich abzugrenzen ist ein Habitus, den man als Wissenschaftler:in annimmt. Ich schaue mir das ja nicht abends im Bett an.

Vielleicht bin ich ja jemand, die abends im Bett, beim Scrollen auf Instagram auf solche Meme stößt. Gibt es eine Art Schutzschild, das ich mir aufbauen kann, um nicht von rechts beeinflusst zu werden?

Es ist sicher eine gute Idee, darüber zu sprechen, wenn man sich unwohl fühlt – es gibt auch Beratungsangebote. Man sollte sich aber auch immer wieder klarmachen, dass man nichts weiterverbreiten muss. Gerade wenn es im Bekanntenkreis vorkommt, sollte man darüber sprechen. Die meisten Leute meinen es gut. Wenn ihnen klar wird, dass sie auf was reingefallen sind, sind sie offen, darüber zu reden. Dazu ist es wichtig, dass man sich ein bisschen locker macht und nicht direkt Anschuldigungen ausspricht. Jede:r hat Vorurteile – man ist deswegen kein schlechter Mensch. Nicht die Eskalation mitmachen, denn es ist Teil der Strategie der Neuen Rechten, dass wir uns streiten. Im Kleinen intervenieren, sachlich und wertschätzend. Dann kann man im eigenen Umfeld noch eine Menge reißen.

Ich habe mich tatsächlich auch bei diesem Artikel gefragt, ob das Thema nur noch mehr Aufwind und Polarisierung bringt oder ob wir damit zu einer wichtigen Sensibilisierung beitragen.

Ich glaube, wir sind mittlerweile an der Stelle, wo wir sensibilisieren müssen. Und vielleicht sogar schon ein bisschen spät dran sind. Wir haben eine recht starke, extrem rechte Partei mit zweistelligen Werten in fast allen Landesparlamenten und mit recht guten Umfragewerten, die im Vergleich zur letzten Wahl nach oben zeigen. Wir dürfen durchaus hart und deutlich sagen, dass wir es mit einer komplexen, heterogenen neofaschistischen Kraft zu tun haben, die sich da zeigt. Verschweigen und so tun, als wäre alles in Ordnung – die Zeit ist auf jeden Fall vorbei.

 

Dr. Kai Denker forscht im Projekt „Meme, Ideen, Strategien rechtsextremistischer Internetkommunikation“ (MISRIK). | Foto: Patrick Bal, TU Darmstadt

Mem und Meme

Viele sagen „Meme“ (Singular) und „Memes“ (Plural), benutzen dabei – wahrscheinlich, ohne es zu wissen – die denglische Version von Mem und Meme, wie es im Deutschen korrekt heißt. Danke für den Hinweis, Dr. Kai Denker! Wieder was gelernt.

 

Narrative entschlüsseln

Es gibt das Beispiel von einer blonden Frau mit Kindern im Park, die Kuchen isst – das Harmloseste der Welt. Zum Meme wird es, wenn daneben ein Bild von einer traurigen Frau im Büro platziert ist. Durch strategisch monothematische Wiederholung schleicht sich langsam der Gedanke ein: „Vielleicht sollte ich nicht Karriere machen, sondern Familie“. Die sogenannte Tradwife-Bewegung (traditionelle Ehefrau) bedient im Grunde ein systematisches Narrativ, das sexistisch und mindestens rechtskonservativ ist: Als Frau wird man nur glücklich, wenn man Heim, Herd, Kind, Kirche und so weiter spielt.

Ein typisches, zu entschlüsselndes Narrativ ist auch das Drama-Dreieck aus Opfer, Täter:innen und Held:innen: „Man hat Euch Sachen weggenommen, verboten, Steuern erhöht … und wir sind die eigentlichen, die sich kümmern.“

 

Woher kommt die Neue Rechte?

Dr. Kai Denker erklärt: „Nachdem die Alte Rechte nach dem Krieg keinen Fuß mehr fassen konnte, haben sich einige rechte Aktivisten gefragt, wie sie wieder politische Macht erobern können – und zwar langfristig und strategisch. Denn die große Mehrheit der Bevölkerung war gegen sie. Es kam die Idee einer Kulturrevolution von rechts auf: Bevor es um die Frage politischer Macht geht, müsse erst mal eine kulturelle Hegemonie gewonnen werden. Metapolitik nennt sich diese Strategie, im vorpolitischen Raum Macht zu erobern. Man hat zuerst auf die Hochkultur gesetzt, nach dem Motto: Wenn erst mal die Staatstheater rechte Theaterstücke spielen, dann ist die Hälfte schon gewonnen – was nicht wirklich funktioniert hat. Ab Mitte der Nullerjahre gab es eine neue Generation, die sehr viel auf Massenkultur gesetzt hat, zum Beispiel auch auf das Internetmeme.“

 

Infos, Tipps, Beratung

Mehr zum Forschungsprojekt „MISRIK“ erfahrt Ihr online unter: misrik.de

Beratungsangebote halten bereit:

die Amadeu Antonio Stiftung: amadeu-antonio-stiftung.de

die gemeinnützige Organisation Hate Aid: hateaid.org/rechtsextremismus-im-internet

und das Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz: kompetenznetzwerk-hass-im-netz.de