Stell Dir vor, es ist Frühsommer und keiner geht raus. Wozu auch? Auf dem Greenpeace-Blog finden sich tausende Naturaufnahmen und Youtube bietet Ambiente-Klänge zu jeder Wetterlage. Wenn man dann noch lange genug auf das Öko-Siegel seiner Cola starrt und die eigenen vier Wände ausblendet, kommt man der Natur ein ganzes Stück näher. Fazit: Solange man den Frühsommer im Internet findet, gibt es keinen Grund, vor die Wohnungstür zu treten. Oder?
Wenn es doch nur nicht die Probleme gäbe, die mit einer konventionellen Wohnung einhergehen: Mietpreise steigen, Wohnflächen schrumpfen und in vielen Mehrfamilienhäusern wird der Gemeinschaftssinn nicht ernst genommen. „Seitdem ich in einer Bauwagensiedlung lebe, muss ich mir um Miete keine Gedanken mehr machen.“, sagt Jilly Latumena, stellvertretende Vorsitzende von Wohnwerk Darmstadt. „Natürlich zahlen auch wir unsere Wohnabgaben, doch als Gestalterin eines eigenen Hauses ist man ein ganzes Stück unabhängiger.“
Das Wohnwerk Darmstadt ist ein Verein, der sich nicht nur dem Leben in Bauwägen widmet, sondern auch mit all den anfallenden Aufgaben, die dahinter stehen. Für die Vereinsmitglieder heißt das konkret: Aufklärung betreiben und Engagement zeigen, um mehr Menschen für das alternative Wohnkonzept zu begeistern. Allein im Darmstädter Raum stehen fünf Wohnwagenplätze zur Verfügung: Diogenes, Klabauta, Baba Jaga, Mango Safari und Kassiopeia. Und die Nachfrage steigt.
„In erster Linie waren es die Gemeinschaft, die Nähe zur Natur und die Ruhe, die mich hierher brachten“, erklärt Jilly. Sie lebt auf dem Diogenes-Platz, hinter der Lichtenbergschule. Alles wirkt sehr ordentlich und aufgeräumt, viele Bauwägen sind mit Solarzellen ausgestattet. Wer handwerklich versiert ist, kann sich hier austoben. „Jeder versucht, sich mit seinen Fähigkeiten in die Gemeinschaft einzubringen.“, ergänzt Luise, eine Freundin von Jilly. „Wenn etwas kaputt geht, wird nicht einfach der Handwerker gerufen, stattdessen versucht man autark zu sein und Probleme selbst zu lösen. Das ist nicht nur verantwortungsbewusst, es fördert auch den Gemeinschaftssinn.“
Von Foodsharing bis Figurentheater
Dennoch sollte man sich nicht von der Romantik blenden lassen, denn autark sein heißt, anpacken zu können. Viele junge Leute bewerben sich für einen Wagenplatz und bemerken viel zu spät, dass das Leben im Bauwagen mit Arbeit verbunden ist. Trotzdem landet oft ein großer Wurf an Bewerbungen auf den Wohnwerk-Tischen. „Um der Nachfrage gerecht zu werden, suchen wir ein weiteres Grundstück“, erklärt Jilly. Denn mit all den Foodsharing-Events, Figurentheaterspielen, Kräuterwanderungen und Flohmärkten, die das Wohnwerk veranstaltet, lassen sich viele Menschen für alternatives Wohnen begeistern. Dementsprechend hoch ist der Bedarf.
„Von Außenstehenden haben wir nie Widerstand erlebt“, bemerkt Jilly. „Mit den angrenzenden Grundstückspächtern verstehen wir uns super, auch mit der Stadtverwaltung stehen wir im Einklang.“ Oberbürgermeister Jochen Partsch hisste bereits die grüne Flagge und versprach dem Wohnwerk seine Unterstützung bei der Suche nach einem Grundstück. Mit einem zweiten Grundstück, so Luise, könne das „Bewerberproblem“ gelöst und das Angebot des Wohnwerks erweitert werden. Der Verein schmiedet bereits Pläne für ein Repaircafé. In Kooperation mit dem Gemeinschaftswerkstätten e. V. soll ein Café eröffnet werden, in dem jedermann seine kaputten Alltagsgegenstände reparieren und reparieren lassen kann – der Nachhaltigkeit zuliebe.
Partsch habe seine Unterstützung bereits im März versprochen, doch von dieser Unterstützung drang bisher noch nichts zum Verein durch. Der stadteigene Verwaltungsapparat komme viel zu langsam in die Gänge, finden die Wohnwerker. Um die Interessen aller Bauwagenbewohner besser berücksichtigen und dem alternativen Wohnprojekt eine größere Fläche zur Verfügung stellen zu können, wird ein neues Areal von mindestens 1.700 qm benötigt. Da Bauwagen in aller Regel mobil sind, muss es sich bei der Parzelle nicht zwangsläufig um Bauland handeln. Also Augen und Ohren nach Grundstücksbesitzern offen halten, bitte! Falls Du also jemanden kennst, der jemanden kennt, der ein solches Grundstück sein Eigen nennt, sei dazu eingeladen, auf der Homepage des Wohnwerks vorbei zu schauen: