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Foto: Jan Ehlers

Randale am Woog? Kann man sich kaum vorstellen. Eher schon Hai-Alarm, wenn mal eine Schwimmflosse aus dem Wasser ragt. Laut Silvana Battisti und Marc Herbert gab es aber wilde Zeiten an Darmstadts beschaulichem Innenstadt-Weiher. Rebellisch sind die Woog Riots vor allem selbst – im künstlerischen Sinne. Denn sie lassen sich nicht vereinnahmen, schon gar nicht durch Journalisten, die ihnen Stempel aufdrücken wollen. Für ihr neues Album „Post Bomb Chronicles“ wagen wir trotzdem mal die Begriffe Disco-Punk und Elektro-Pop. Das Duo mit deutsch-italienischen Wurzeln und weltweiter Vernetzung zeigt sich aus diesem Anlass charmant redselig beim Gespräch über New York, DIY und die Gema.

 

Beginnen wir mit einer Info Eurer Plattenfirma: „Das Duo aus der Pop-Provinz Darmstadt ist mittlerweile eine feste Größe in der deutschen Indie-Landschaft.“

Silvana [rollt mit den Augen]: Pop-Provinz Darmstadt! Da siehst Du mal, wie uns das immer um die Ohren gehauen wird.

Marc [an das P gerichtet]: P wie Pop-Provinz-Magazin. Passt doch, oder?

Ey, nicht frech werden. Ich stell hier die Fragen. Was hat es mit Eurem Namen eigentlich auf sich?

M: Auf Woog Riots sind wir bei einer Recherche im Stadtarchiv gekommen. Ende der 60er Jahre: Hippies, Nackte, brennende Autos … [schmunzelt] … genau unser Spektrum.

Und da Ihr mit Euren Kontakten in Europa und in die USA global vertreten seid, bevorzugt Ihr die englische Sprechweise von Darmstadts Binnen-Pazifik?

M: Unser erstes Projekt war gleich die Zusammenstellung eines internationalen Tribute-Samplers für die englische Band The Fall, der auch bei der BBC lief. Da wird der Woog automatisch zum „Wuug“.

S: Das war im Jahr 2004, auch der eigentliche Beginn unserer Band. Marc war vorher bei Milton Fisher [Mit dem Lilien-Song „Europapokal“ auf dem zweiten P-Sampler vertreten.]. Ich war früher als DJ in der Krone und Batschkapp unterwegs und hatte mal ’ne Band mit Markus Popp [Popp ist heute weltweit für sein Projekt „Oval“ bekannt.].

Wie kamt Ihr zusammen?

M: Ich hatte mit Milton Fisher das letzte Album aufgenommen, das leider nie veröffentlicht wurde. Silvana hatte mir damals bei der erfolglosen Label-Suche geholfen.

[geifert]: Na super. Und dabei hat’s geschnackelt zwischen Euch.

S [verschnupft]: Ähem, … wenn die Klatschpresse es nur so profan auszudrücken vermag.

[kleinlaut weiter] Dem Sampler folgten 2006 und 2008 Eure eigenen Alben „Strangelove TV“ und „Pasp“, die in der Presse viel Beachtung fanden.

S: Das war auch unserem Hamburger Label „What’s so funny about“ von Alfred Hilsberg zu verdanken. Ein Glücksfall für uns. [Hilsberg ist seit den 1970ern eine der legendärsten Figuren der deutschen Independent-Szene.]

Anfänglich wurdet Ihr gerne in die Schublade „Anti-Folk“ gesteckt.

M: Zu Beginn war für uns neben Punk diese spezielle New Yorker Szene schon ein Einfluss. Gerade der zweistimmige Sprechgesang der Moldy Peaches [Ex-Band von Kimya Dawson und Adam Green].

S: Diese ungeglättete, schroffe Herangehensweise ohne zig Oktaven fanden wir sympathisch. Und die Einfachheit wie bei Jonathan Richman oder Daniel Johnston, nicht der technisch perfekte Musiker sein zu müssen, sondern einfach zur Gitarre zu greifen und das Innerste nach außen zu kehren. Der DIY-Gedanke zählt [„Do it yourself“]. Das ist glaubwürdiger als der ganze Perfektionismus.

M: Das Netzwerken gerade bei den Anti-Folkies finden wir weiterhin super. Wo man auch hinkommt, man kennt und hilft sich. Das haben wir übernommen und sind seither international freundschaftlich vernetzt. Aber wir wollten nicht jahrelang rumschrammeln. Für unsere zweite Platte war die New Yorker Band „LCD Soundsystem“ mit ihren elektronischen Facetten maßgebender, [grinst] … daher machen wir jetzt Kraftwerk mit Moldy-Peaches-Gesang.

Wie lange habt Ihr für das aktuelle Album gebraucht?

M: Fast drei Jahre. Es begann ganz schlicht mit der Klampfe auf dem Sofa. Harmonien mit Fantasie-Englisch. Der Flow ist da, die Rhythmik wird später angepasst. In drei Monaten hatten wir das Konzept-Album geschrieben.

S: Ein Buch über Zukunftsforschung brachte uns viele Ideen. So kamen wir auf die Thesen des Soziologen Alvin Toffler als inhaltlicher Rahmen. Aus unseren Demos hat dann der Musiker Florian Malicke von den Messer Brüdern Elektronik-Arrangements gebastelt.

M: Dazu kamen die Gesangsparts. Dann gingen diese Aufnahmen nach Hamburg zu Tobias Levin [einer der besten Produzenten hierzulande] und kamen völlig verändert wieder zurück. Aber mit tollem Sound. Das hat sich über anderthalb Jahre erstreckt.

S: Tobias ist sehr bescheiden. Er sagt immer, er sei nur „Mitproduzent“. Dabei mischt er nicht nur die Spuren, sondern greift ein und verändert. Er hört die Essenz des Songs. Die kitzelt er heraus wie kein anderer. Eigentlich kann man daher schon von einem Remix-Album sprechen.

M [schmunzelt]: Das kann aber auch dazu führen, dass er erst meint, der Song sei fertig, sich aber plötzlich frustriert meldet, der Song sei ihm entglitten. Ein langer Leidensweg, aber ein umso tolleres Ergebnis.

Die Musik-Branche stöhnt unter den veränderten Bedingungen im Internet-Zeitalter.

M: Wir auch. Es ist finanziell auf alle Fälle schlechter geworden. Label-Leistungen wie Produktion und Promotion kosten Geld. Bei unserer zweiten Platte haben die schon gesagt: „Wir kriegen das Geld nicht rein, was wir investieren. Ihr müsst Euch daher selbst beteiligen.“ Prompt steigt man finanziell in das Risiko ein.

S: Ein Musiker verdient im Schnitt an der eigenen CD um die 1,90 Euro. Bei Downloads ist es wegen komplizierter Abrechnungsmodelle mit den Portalen deutlich weniger. Auch Live-Gagen sind gesunken. Die einzig verlässliche Größe ist in unserem Falle die GEMA [„Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“].

Echt, die allseits gescholtene Gema? Das passt ja zur neu entflammten Diskussion rund um Aussagen von Sven Regener [Sänger der Band Element of Crime und Buchautor von „Herr Lehmann“].

S: Genau, der hat die Position der GEMA als Bewahrer der Rechte von Urhebern gegenüber Youtube und Google verteidigt. Und ich kann da nur zustimmen. Die Leute verstehen einfach nicht, dass man teilweise fünfstellige Beträge für ein Album investiert. Vom Zeitaufwand ganz zu schweigen. Keiner würdigt durch illegale Downloads die Arbeit und den künstlerischen Wert. Natürlich hat die Plattenindustrie anfänglich das Web verschlafen, aber die Künstler können doch nichts dafür. Die leiden jedoch am meisten.

M: Nur durch Mischkalkulationen mit Konzerten und GEMA kommt man hin. Da kommen schon vierstellige Beträge zustande. Von Kunst allein kann aber kaum einer leben. Wir haben beide Berufe. Quasi nebenbei noch Musik in professionellen Strukturen zu machen, ist schon anstrengend. Aber es ist toll, wenn du im stillen Kämmerlein viel Arbeit und Geld in so ein Album gesteckt hast, schickst es in die Welt und triffst dann unterwegs so viele Leute, die das Album gehört haben – selbst in England, Finnland oder den USA. Derzeit bloggt zum Beispiel jemand aus Hollywood dauernd über uns. Das entschädigt für die ganzen Mühen.

S: Und in England stand mal in der Presse: „Very funny for a German band“. Der deutsche Rest klingt für die ja immer nach Rammstein.

Ihr seid oft international unterwegs. Was bedeutet dann Darmstadt für Euch?

M: Darmstadt liegt eigentlich im Großraum Rhein-Main-Neckar ganz günstig. Alles recht nah. Aber es gibt auch lokal wirklich gute Künstler-Netzwerke wie Knertz, DontCanDJ, Starwhore und mehr. Wir fühlen uns wohl hier in der Pop-Provinz, die auch eine Kunst-Hochburg ist.

S: Ein Traum von uns wäre es, bei der kommenden Ausstellung „Sound of Music“ auf der Mathildenhöhe im Andenken an John Cage zu spielen. Im Sinne von Cross-Art, also dem Kreuzen von verschiedenen Kunstaspekten. Vielleicht erhört uns ja Ralf Beil.

M: Schreib das aber nicht. Das klingt ja nach billiger Anmache.

Okay, schreib ich nicht [… huch, sorry]. Ihr hattet früher Schlagzeuger, jetzt einen Drum-Computer. Wieso das?

M: Es hat zeitlich oder inhaltlich nie auf Dauer gepasst. Du warst ja auch mal für ein Konzert dabei. Der langsamste Schlagzeuger, den wir je hatten.

[mit Schamesröte]: Ihr hattet vorgegeben, ich solle langsamer spielen als sonst …

S: … , aber nicht dabei einschlafen.

Schluss jetzt, ich sag’ nix mehr ohne meinen Anwalt.

Fazit: Die Woog Riots sind Darmstadts Antwort auf Yoko Ono & John Lennon, Nancy Sinatra & Lee Hazlewood oder Jane Birkin & Serge Gainsbourg. Eine sympathische Karriere über Darmstadts Dächer hinaus, solange sie nicht im Kugelhagel endet wie bei Bonnie & Clyde.

www.woogriots.de