Foto: Jan Ehlers
Foto: Jan Ehlers

Über den Tod wird in unserer Gesellschaft kaum ein Wort verloren. Aber muss Tod wirklich ein Tabuthema sein? Das „Projekt Waldfriedhof“ zeigt, dass es auch anders geht: Zum 100-jährigen Jubiläum der Ruhestätte können Interessierte in der interaktiven Ausstellung „leben aus gestorben“ die sonst so mit stillschweigendem Ernst überschatteten Trauerhallen als interaktive Galerie erleben. Die ab 10. Mai laufende Veranstaltung setzt Gegenakzente zur gesellschaftlichen Tabuisierung des Themas und regt mit morbidem Charme dazu an, eigene Wege im Umgang mit Abschied und Trauer zu finden. Alexander Diroll, Mitinitiator der Schlosskeller-Reihe „Early Late-Night Show“, wirft einen literarischen Blick voraus.

Heute ist ein sonniger Tag und ich fahre zum Waldfriedhof, Richtung Hauptbahnhof, Richtung Griesheim. Zwischen Autobahn und Hotels dann: Die Ahnung eines Waldes. Ich lasse den Wasserturm und die Telekom links liegen, überquere die Schienen. Eine lange Mauer kündigt den Friedhof an. Friedlich. Idyllisch, beruhigend. Ein Parkplatz im Schatten. Ich steige aus, betrete das Kiesrondell und genieße die Ruhe, die angenehme Atmosphäre. Ein bisschen Griechenland, ein bisschen Rom, südländisches Ambiente. Nur die deutschen Wegweiser verraten mehr. Langsam laufe ich weiter, Steinplatten und Monumente, große Kiefern, ein einladendes Tor, das mich ein wenig abschreckt.

Ich schaue mich genauer um: Gärtner bei der Arbeit. Ein anderes Tor, neben der Halle. „Zwischen Haus und Halle.“ Wegweiser. Ich wende meinen Blick und sehe einen weiteren, schnurgeraden Weg ins Nirgendwo. Friedhöfe sind ruhige Orte der Besinnlichkeit, der Kontemplation. Gärten, ein paar Eichhörnchen, einige angeleinte Hunde, kleine und große Vögel. Spaziergänger, in Gedanken versunken. Ein Specht hämmert aus der Ferne. Alles wirkt hier ein wenig gedimmt.

Der Waldfriedhof als Ort der Künste

Ich betrete die ehemalige Trauerhalle. Säulen umschließen mich, eine große Geborgenheit. Über mir erhebt sich eine riesige steinerne Kuppel. Das Licht tanzt durch die Fenster. Ich traue mich nicht, ein Sterbenswörtchen zu flüstern, so viel Respekt habe ich vor dem Echo. Und doch fröstelt es mich ein wenig. Plötzlich tauchen Gestalten auf, halb Mensch, halb Schauspieler, und bedrängen mich, wollen mir erklären, wollen mich in den Keller zerren, wollen, dass ich mein Handy abgebe. Dabei kenne ich diesen Ort, habe ich mein Handy in weiser Vorraussicht im Auto gelassen. Ich bin hier schließlich nicht zum ersten Mal. Ich bin mittendrin in den Vorbereitungen zu einer interaktiven Ausstellung, einer Geschichte über Leben und Tod im Rahmen des 100-jährigen Bestehens des Waldfriedhofs. 100 Jahre – aber ich denke mir: „Den gibt es doch schon länger.“ Ich schaue mir die Bäume an. Den Möchtegern-Jugendstil. Den Klassizismus. Das Krematorium. Aber warum nicht? Warum soll ich mir nicht von einem Clown die Geschichte erzählen lassen? Ich habe Zeit. Die Sonne scheint. Es ist Wochenende. Sonntag. Was habe ich zu verlieren?

Am Anfang im vorderen Bereich, als Opener: ein großer, aus Brettern grob gezimmerter „Westernsarg“ für Taschen und Handys. Dann der Versuch, in den Keller zu kommen: überall Orginal-Leichenwagen, weitere Särge, ein Bataillon leerer Koffer, eine funktionstüchtige Orgel im oberen Stock, ein Mann aus Holz an ein Kreuz genagelt. „Aber das ist nur eine von vielen Glaubensrichtungen“, betont eine der Schauspielerinnen laut. Ab in den Keller – zweiter Versuch, jetzt passt der Schlüssel. Die Vorbereitungen sind in vollem Gange, die Eröffnung rückt immer näher. Überall wird es interaktive Stationen geben, ein ungewohntes Format, jeder Schauspieler wird eine andere theatrale Performance, eine eigenständige Führung inszenieren. Der Friedhofsgärtner zum Beispiel über das Werden und Vergehen. Eine clowneske Geist-Prinzessin ist auch dabei. Oder wünschen Sie eine traurig-fröhliche New-Orleans-Jazz-Beerdigung?

„Du musst Dich nicht ärgern, Du musst Dich nur wundern!“

Aber bitte erzähl mir nix vom Tod – das Leben ist bereits ausgestorben. Paradise lost? Leben ist hier und jetzt, wie soll ich da verdammt nochmal mit dem toten Opa umgehen? Vielleicht hilft der Bestatter mit Herz – Mehmet, der muslimische Bestatter aus Frankfurt. „Jedes Lebewesen wird den Tod erleben“, höre ich ihn den Koran zitieren. Ich bin in einem interaktiven Theaterstück, ich kann meinen Atem im Unsterblichkeitslabor hinterlassen, ich kann Erste Hilfe bei Nahtod-Erlebnissen leisten, ich kann die Knochen fühlen im Streichelzoo der toten Tiere: „Bitte berühren!“

Wie funktioniert die Verbrennungsanlage des Krematoriums? Wie wird aus der Leiche im Sarg eine Urne mit Asche? Wie gehen andere Kulturen mit ihren Verstorbenen, den Entlebten, dem entseelten Haufen Fleisch, dem Leichnam um? Fragen über Fragen. Und wenn alles klappt, wird Nara, eine Anime-Figur, die die Seite gewechselt hat, ihren Pocket-Beamer zücken und Dir erklären, dass wir noch nichts über das Leben wissen. Also warum Fragen über den Tod stellen? Ich spüre, wie die Fragen von mir abbröckeln. Ich spüre die ruhige Energie, die von diesem Ort aus strahlt. Ich sehe einen heiligen weißen Baum leuchten. Ich trete aus der ehemaligen Trauerhalle hinaus ins Freie und blicke mich kurz um, stutze, lächele und sehe ein quicklebendiges Eichhörnchen über die Straße hoppeln.

Gestaltung: Rocky Beach Studio
Gestaltung: Rocky Beach Studio

 

„leben aus gestorben“

Interaktive Ausstellung für Jugendliche und Kinder in der ehemalige Feuerbestattungshalle am Waldfriedhof (Am Waldfriedhof 25).

Träger: Transit Theater Forum e.V. (Leitung: Ann Dargies) + ein interdisziplinäres Team mit unterschiedlichen Erfahrungen und Kompetenzen – aus verschiedenen Berufen und Sparten wie Schauspiel, Bestattung, Architektur, Sozialpädagogik, Pädagogik, Politologie, Elektrotechnik. Sie eint das Ziel, „der Angst vor der Trauer anderer Menschen und vor dem Tod zu begegnen – gegen das Verdrängen, die Unwissenheit und Angst vor dem Fremden dieser Welt: der Endlichkeit unseres Lebens. Es geht um Empathiefähigkeit, Mitgefühl und Verantwortlichkeit.“

Zeitplan Mai bis November 2014:

Samstag, 10.05., 12 Uhr: Ausstellungseröffnung mit Oberbürgermeister Jochen Partsch

Mai bis November: An insgesamt 30 Schultagen für Schulklassen und Gruppen (mit theatraler/interaktiver Begleitung) geöffnet (Eintritt: 3 Euro). Einzelpersonen (Erwachsene) können sich bei Voranmeldung den Führungen von Schulklassen anschließen (Eintritt: 10 Euro). Buchungsanfrage (Wunschtermin mit Uhrzeit und Zahl der Teilnehmer) bitte per Mail an: karten@lebenausgestorben.de.

Im Mai, Juni und Juli wird die Ausstellung an Sonntagen (ohne theatral-interaktive Führung) von 11 bis 16 Uhr geöffnet sein.

Sonntag, 02.11.: Abschlussveranstaltung an Allerseelen

www.lebenausgestorben.de