Foto: Jan Ehlers

Kaum zu glauben. Es gibt eine Gruppe von Lilien-Fans, die trägt das Wort „Ficken“ im Namen. Seit 20 Jahren. S-K-A-N-D-A-L!

Verhindern konnten die Doppel-Dekaden-Existenz von FFA („Fußball – Ficken – Alkohol“) weder konservative, angeblich weißbiertrinkende Lilien-Präsidenten („Ficken und Alkohol gehören nicht zum Fußball!“), noch ein paar übereifrige Sittenwächter aus der Oetinger Villa. Zum Jubiläum ist ein anekdotenreicher Rückblick auf die turbulenten Lilien-Jahre 1997 bis 2017 erschienen, in Form einer Sonderausgabe des FFA-Fanzines „Brutal!“. Das P traf drei FFA-Aktive – Jule, Alonzo und Holgo – zum spätherbstlichen Grillen in der mit Lilien-Devotionalien und einer Fanzine-Bibliothek geschmückten FFA-Gartenlaube; Sichtkontakt zu den Flutlichtmasten des Böllenfalltorstadions inklusive. Ihre Erzählungen mussten dann aber erst einmal drei Monate lang verarbeitet werden, um sie nun hier danieder zu schreiben.

Denn sie schicken uns – wie auch die „Brutal!“-Extra-Ausgabe – auf eine aufregende Zeitreise in längst vergessene Oberliga-Zeiten über Dorf-Fußballplätze. Zu Gurkenkicks bei Nieselregen vor 1.300 Zuschauern am „Bölle“, als man auf der Gegengeraden noch ohne Verabredung Freunde treffen konnte. Zu verlorenen Derbys gegen die SG Egelsbach, zu Abstiegen, einer Fast-Insolvenz des Vereins, die auch dank beschriebener Fan-Solidar-Aktionen abgewendet wurde (legendär: der Abend für „Treuekarteninhaber“ mit Bruno Labbadia und Bormuth auf der Bühne der Knabenschule!).

„Gut, Gut, Gutberlet!“

Es wird niemals vergessenen Lilien-Helden gehuldigt: „Gut, Gut, Gutberlet!“ – „… Ronald Hoop! When he gets the ball he scores a goal …“ – „Cla-uß! Cla-uß!“ – „Elia Soriano, schalalalala“. Es gibt Einblicke in das Seelenleben eines 98er-Fans in Australien (während der Saison 1999/2000) – und immer wieder auch in das Innenleben der FFA-Gang. Die glänzt als echtes Kollektiv, das gemeinsam durch dick und dünn geht und füreinander da ist.

Wie 2016, als „AJ“, „einer aus der FFA-Mitte“, mit 38 Jahren völlig überraschend an einem Herzinfarkt verstarb. „An dem Morgen des Tages, an dem wir mittags das Heimspiel gegen die SGE verloren haben.“ Das Spiel geriet zur absoluten Nebensache: „Die meisten waren in Gedanken verloren und schütteten zu viel Bier in sich rein“, erinnert sich Alonzo. „Schön war, dass wir uns nach dem Spiel an ,unseren‘ Bänken vor dem GBS versammelten und auch viele andere Menschen dazukamen, die von AJs Tod gehört hatten.“ Lange saß man gemeinsam in der Runde. Den Titel der „Brutal!“-Jubiläumsausgabe ziert ein Foto von „AJ“.

20 Jahre FFA: Die Geburtstagskarte musste man sich selber schreiben – beim ersten Heimspiel der Saison Ende Juli 2017.

Das starke Kollektiv half auch im Dezember 2004, als man als Lilien-Fanvertreter beim „ersten Winter-Hallen-Cup des OFC-Fanclubs Seligenstadt“ durchweg ausgebuht wurde. Kein Wunder, angetreten waren schließlich 15 Offenbacher Fanclubs – und „FFA Darmstadt“. Was nicht überall nur Verständnis hervorrief: „Zwei OFC-Hooligan-Gruppen sagten wegen uns empört ihre Teilnahme an dem Turnier ab“, erinnert sich Alonzo. Am Ende überreichte OFC-Ehrenpräsident Waldemar Klein den tapferen FFA-Boys & Girls den Fair-Play-Cup. „Da bekamen wir dann doch noch etwas Applaus.“ Ob Matches gegen die Punkerjugend auf dem Urberacher Kinderspielplatz, die zehn Jahre durchgängige Teilnahme am „Antinationalen Fußballturnier“ in Gießen („häufiger dabei als die Gastgeber“), beim Turnier der Rijkaard Jugend oder an der „Mondiali Antirazzisti“ in Italien: Neben dem Spaß am Kicken geht’s bei FFA immer auch um das Kennenlernen weltoffener Menschen – und um den Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

So stammt beispielsweise das „Lilien-Fans gegen Rechts“-Banner aus der FFA-Feder. Auch heute noch hängt es bei praktisch jedem Heim- und Auswärtsspiel der Lilien. Immer häufiger nehmen die Lilien-Ultras die Zaunfahne auswärts mit und hängen sie aus Solidarität auf – selbst beim winterlichen Ausflug ins Erzgebirge nach Aue vergangenen Dezember, der den FFA’lern dann doch zu weit war.

„Fußball und Politik gehörten schon immer zusammen“, findet Holgo, seit 1998 beim FFA, nichts Überraschendes an diesem Engagement. „Früher war der Wettkampf Ausdruck des Kampfes zwischen Arbeit und Kapital, Herrschern und Beherrschten, Protestanten und Katholiken sowie ethnischen Gruppen.“ Der moderne Fußball hingegen gleiche „einer großen Showveranstaltung à la Brot & Spiele-Spektakel für die Massen“. Die Zuschauer seien Konsumenten, Herzblut und Emotionen nur Produkte, kritisiert der 38-Jährige, der mit 20 Lilien-Fan wurde. Umso wichtiger sei es, auch seine politische Meinung zu äußern. Jule – 36 Jahre alt, davon über die Hälfte 98erin – drückt ihre Kritik am zunehmenden Kommerzgedanken etwas weniger ernst aus: „Wer den Possmann-Cup live erlebt hat, braucht keinen DFB-Pokal mehr.“ Wie es der Zufall will, sind die Lilien ja Rekord-Possmann-Cup-Sieger.

Apropos Erfolg. Den hatten die Lilien seit der Saison 2013/14 in fast unglaublicher Art und Weise – und nahezu durchgängig. Was natürlich auch viele neue Zuschauer ans Böllenfalltor gelockt hat. „Es ist doch schön, wenn die Hütte voll ist“, hält Alonzo aber wenig von „Erfolgsfan-oder-echter-Fan“-Debatten. „Früher, so mit 15, wurde ich in der Schule gedisst, weil ich Lilien-Fan war.“ Heute tragen Darmstädter Schüler die Lilie mit breiter Brust auf selbiger.

Beim Spiel gegen Eintracht Trier in 2002, in der Regel kamen damals 2.000 Zuschauer ins Bölle.

Und wie sehen die FFA’ler der im April 2018 beginnenden Modernisierung des altehrwürdigen, aber hier und dort bröckeligen Bölle entgegen? Da wird Jule – Lieblingsspieler: Richard Hasa, weil: „Eigentor im Derby gegen die Kickers? Das muss man sich erstmal trauen.“ – dann doch etwas wehmütig: „Das ist so ein bisschen, als würde einem der Kinderspielplatz weggenommen.“ Seufz. Wir hätten es nicht schöner sagen können.

 

Brutaler Ausverkauf!

Das „Brutal!“-Heftchen gibt’s für 1 Euro bei FFA auf der Gegengerade des „Bölle“ (mittig, ganz oben) und „im gut sortierten Einzelhandel“: bei DJ Chromo’s Musik als Hilfe in der Pallaswiesenstraße und im Comic Cosmos in der Saalbaustraße.

www.fussball-ficken-alkohol.de