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Foto: Mathias Hill

Die Teichcrew wirkt entspannt und zufrieden: Birgit, Mathias, Antonia und Stefan haben vor sich auf dem Boden einen großen Haufen Plakate ausgebreitet – Zeugen ihres über 20-jährigen Schaffens für die Darmstädter (Sub-)Kultur, das am 20. und 21. August mit dem 20. Open Air am Steinbrücker Teich gefeiert wird. Damit die Plakatsammlung auch in Zukunft wächst, braucht die Teichcrew allerdings neue Mitstreiter. Aber dazu später mehr.

Richtig los ging’s mit dem Festival – nach einer „Nummer null“ 1990 im Bürgerpark – am 14. September 1991. Die Glamour Ghouls aus Frankfurt waren Headliner, die Pump Attendants gaben den Local Hero. Birgit und Mathias waren damals schon dabei. Sie sind auch Gründungsmitglieder des Jukuz Oetinger Villa – und in dieser Eigenschaft rannten sie beim Kulturamt der Stadt mit ihrer Idee, in Darmstadt ein Open-Air-Festival zu etablieren, offene Türen ein. Die Stadt stellt seitdem das Gelände am Steinbrücker Teich, kümmert sich um alle Genehmigungen und zahlt den Strom. „Am Oberwaldhaus gibt’s die Infrastruktur, Verkehrsanbindung und genügend Platz – perfekt für unser Festival“, erklärt Birgit. Die Philosophie der Teichcrew hat sich seitdem trotz zahlreicher personeller Veränderungen kaum geändert. Mathias zählt die Ideen im Stil eines Manifests auf: „Erstens: Support Your Local Scene; zweitens: No Profit!“ An den Formulierungen erkennt der geneigte Leser schon die ideologische Nähe der Teichcrew zur Punk- und Hardcore-Szene. Der Grundgedanke, die heimische Musikszene zu unterstützen, zeigt sich darin, dass bis auf den überregional bekannten Hauptact alle anderen Bands aus Darmstadt oder dem Landkreis Darmstadt-Dieburg kommen. „Trotz des freien Eintritts zahlen wir ihnen auch immer eine Gage“, ergänzt Mathias stolz. Dass es den Organisatoren auf sich selbst bezogen mit dem „No Profit“- Gedanken ernst ist, sieht man daran, dass alle rund 40 Helfer, die am Auf- und Abbau, vor oder hinter der Bühne mitarbeiten, dies ehrenamtlich tun – zum Teil drei volle Tage lang! Das sollten sich insbesondere die Fremdgetränketrinker, die ihren Müll oft weiträumig auf dem Festivalgelände verteilen, mal vergegenwärtigen.

Dass es über ein Festival, das seit 20 Jahren vor allem Punk-, Hardcore-, Metal- und Rock-Bands an den Teich zieht, raue Mengen an Anekdoten zu berichten gibt, liegt auf der Hand. Zu den Highlights zählen die Anwesenden einstimmig die Bubonix, Steakknife und die Ryker’s. Letztere spielten 1996 am Teich, pflegen gemeinhin ein ziemlich toughes Image, die Teichcrew hat sie ganz persönlich als „menschlich top“ kennengelernt. Stefans Lieblingsfestival war das zwölfte: „Das Wetter war super, wir hatten guten Besuch und die Gitarristin von Shelter hatte Geburtstag. Als dann der Strom auf der Bühne ausfiel, machte die Band einfach popowackelnd weiter. Super Entertainment!“ Nach dem 18. Open Air sorgten die Lieblinge aller Irokesen-  Punks, Leftöver Crack, für einen Kulturschock: So wohnten die New Yorker überraschenderweise gleich zwei Tage bei den Veranstaltern und konnten wegen des fehlenden Lärms in der Wohnung – keine Schreie, keine Polizeisirenen, keine Schüsse – nicht gleich einschlafen. Birgit erinnert sich: „Der Sänger musste erst noch seine Noise Machine anschließen. Das Ding macht Geräusche wie ein Güterzug. Außerdem brauchte er noch sein Kuscheltier, das aussah wie Flat Eric, allerdings eher in dreckig-grau. Zum Schluss dichtete er noch alle Fensterritzen mit einem Vorhang ab, damit es absolut dunkel wurde – erst dann konnte er schlafen.“

Und welche Szenen hätte die Teichcrew lieber nicht erlebt? Man ist sich einig: „Jürgen Barth entzündet bengalische Feuer hinter der Bühne, ein selbst ernannter Fakir veranstaltet einen Scherbenlauf vor der Bühne – und der stadtbekannte Sänger einer Scumpunk- Band lässt sich anpinkeln – auf der Bühne…“ Na, wenn’s weiter nichts ist, kann man als Veranstalter doch zufrieden sein. Und tatsächlich ist es so: Abgesehen von ein paar Kreislaufproblemen, die Alkoholund anderer Konsum im Sonnenschein bei manchen Besuchern so mit sich bringt, gab es in der Geschichte des Festivals noch nie ernsthaftere Verletzungen. Toi toi toi!

Für das am 20. und 21. August steigende Jubiläums- Open-Air sind einige kleinere Neuerungen geplant: Zum einen gibt es am Freitag (20.) eine „Warm Up Party“, bei der alljährlich zusammen Filme geschaut werden, erstmals nicht nur für die Aufbau-Crew, sondern auch für Besucher. Getränke- und Essensstände sind ge öffnet, Sitzkissen bitte mitzubringen. Für das Festival selbst am Samstag (21.) haben die Veranstalter die Chicagoer Punk-Größe Naked Raygun als Headliner gebucht – und auch die After-Show-Party soll mal wieder in einem größeren Rahmen aufgezogen werden.

Alles in allem wären das tolle Aussichten für Deutschlands ältestes Non-Profit-Festival – wenn sich denn ein neuer Hauptverantwortlicher für die „Projektgruppe Open Air am Steinbrücker Teich“ finden würde. Denn der bisherige, Cem, will nach nunmehr zehn Jahren das Staffelholz weitergeben. Mathias dazu: „Wir suchen deshalb Menschen, die mit unserer Philosophie was anfangen können. Natürlich werden wir weiterhin mit Rat und Tat zur Seite stehen. Wenn sich allerdings keine Nachfolger finden, dann war’s das mit dem Open Air!“ Es ist also dringend nötig, dass sich ein paar engagierte Heiner finden, die das Erbe der Teichcrew auch durch die Zehner Jahre führen. Ansonsten wird ein großes Stück Darmstädter (Sub-)Kulturgeschichte am Ufer des Steinbrücker Teiches genauso aufgerollt und weggepackt wie die alten Plakate am Ende des Interviews – es wäre schade drum.

www.openair-darmstadt.de