Foto: Jan Ehlers

Sich einlassen. Das ist die Zauberformel für den zehnten Internationalen Waldkunstpad im Forst am Böllenfalltor. Dass dies am allerbesten funktioniert, wenn die Menschenmassen verschwunden sind, ist kein Geheimtipp. Am 04. Oktober endet die offizielle Ausstellung zur Waldkunst-Biennale mit dem Motto „Kunst/Natur/Identität“. Die Kunstwerke bleiben. Also nichts wie los, die Wanderstiefel geschnürt und etwas Zeit mitgenommen!

Auf wundersame Weise haben die Künstler*innen in elf Installationen gepackt, was sich mit Worten nur schwer ausdrücken lässt. Wer etwa über die Wackelbrücke des ivorischen Künstlers Jems Koko Bi wankt, findet sich augenblicklich in einem Gefühl wieder, das dieses Jahr kollektiv prägt: Inmitten einer globalen Pandemie stehen wir auf wackeligen Füßen – und finden mit jedem Schritt besser die Balance zwischen der Angst, unfreiwillig zum Virusspreader zu werden und der Sicherheit, dass die Welt sich auch mit Corona weiterdreht. Trotzdem: Ohne Wackeln läuft es sich angenehmer über den weichen Waldweg.

Der führt weiter zum Werk von Sehriban Köksal Kurt. Blätter, Steine und Federn hat die deutsch-türkische Bildhauerin in Form kleiner Mandalas neu angeordnet. Eine Einladung, sich faszinieren zu lassen von der Vielfalt der Natur und genauer hinzuschauen, wenn jedes Blatt mit seiner einzigartigen Form zur Schönheit des Ganzen beiträgt. Die Naturgemälde erinnern uns: Die eigentliche Kunst liegt längst schon im Wald versteckt. Die Schaffenskraft der Künstlerin macht sie nur sichtbar und interessanter Weise auch, dass sich die Wahrnehmung schlicht deshalb schärft, weil der Wald als Raum für ein Museum deklariert wurde. Plötzlich nimmt man auch außerplanmäßige Kunstwerke wahr. Zum Beispiel eine Buche, die einen anderen Baum mit etwas Fantasie heiß und innig umarmt.

Ein kubisches Haus, das sich auflöst

Menschengemachter oder natürlicher Raum – mit dieser Frage spielt Jens J. Meyer in seiner Installation „The Cube – Observatorium für Bionik und Transformation“. Aus großen weißen Tüchern hat der deutsche Künstler ein kubisches Haus im Wald gebaut. Allerdings: Je näher man spaziert, desto mehr löst sich der Raum auf und verschwimmt mit den umliegenden Bäumen und Formen.

Barbara Beisinghoff hat die Kupferbleche für ihr Werk „Wald Canopy“ gleich richtig durchdrungen und Löcher hineingehauen. Bei Gegenlicht entstehen Bilder und Schriftzüge, die Geschichten des Welterbes Messel und des Waldes erzählen.

Sitzbänke in Blattform zum Innehalten

Kleine Verschnaufpause gefällig? Waltraud Munz-Heiligers Sitzbänke in Blattform laden ein zum Innehalten, bevor es weitergeht zu Joachim Silues Skulptur „Mental Slavery“. Mit einem gekrönten Riesenkamm symbolisiert er das krankhafte Machtverhältnis in einer absoluten Herrschaft.

 

Foto: Jan Ehlers

Ehrfurcht vor der Riesenspinne

Einer der Höhepunkte, die Skulptur „Arthropozän/Lutetiana neli“, bringt einen Hauch Science-Fiction auf den Pfad. Der Anblick der zehn Meter hohen Holzspinne von Florian Huber und Sebastian Weissgerber ruft Ehrfurcht hervor – und unwillkürlich die Frage: Was passiert, wenn der Mensch es schafft, seine eigene Lebensgrundlage zu zerstören? Erobern dann die Gliederfüßer (Arthropoda) unseren Planeten? Das Vorbild zur Skulptur, ein Fossil der Spinnenart „Lutetiana neli“, wurde Anfang dieses Jahres in der Grube Messel entdeckt und misst gerade einmal 20 Millimeter.

Eine Replik ist hingegen das hölzerne „U-Boot“ des deutschen Künstlers Roger Rigorth. Das rund 20 Meter lange Unterseeboot tauchte 2004 schon einmal auf dem Waldkunstpfad auf, musste 2018 jedoch abgebaut werden. In diesem Jahr hat Rigorth das beliebte Werk dank vieler Spenden an gleicher Stelle neu gebaut und erfreut damit nicht nur Kinder, die den Aussichtsturm des U-Boots stürmen.

Mit „Mother Mandala“ karikiert die deutsch-portugiesische Künstlerin Regina Frank die moderne Wegwerf-Gesellschaft. Aus 30 gebrauchten Kleidungsstücken, CDs und Muscheln hat sie einer Schaufensterpuppe ein buntes Mandala-Kleid gebastelt.

 

Foto: Jan Ehlers

Meditationstempel und Wolkenkuckucksheim

Das Werk, für das man am meisten Ruhe braucht, ist definitiv der Meditationstempel des bulgarischen Künstlers Rumen Dimitrov. Umgeben von Holzpfählen lädt ein Thron in der Mitte der Skulptur ein, die Ruhe des Waldes zu genießen – vorausgesetzt, die nächsten Spaziergänger*innen warten nicht schon mit der Handykamera.

Bis zu 1.000 Menschen haben den Waldkunstpfad an einem Wochenende im September besucht. Zu Recht: Auch das elfte neue Werk lädt ein, sich intensiv mit Themen zu beschäftigen, die unsere Gesellschaft prägen: Fredie Beckmans hat mit dem „Wolkenkuckucksheim“ Vogelhäuser geschreinert, die Platz bieten für Vögel aus aller Herren Länder. Zum Beispiel dem Mangokauz, wie ein Schriftzug verrät.

Sich von den Installationen berühren und anregen zu lassen, ist auch im Herbst und Winter noch gut möglich. So lange, bis die Natur die Kunst verschluckt hat.

 

Foto: Jan Ehlers

Spaziergang 3: Zehnter Internationaler Waldkunstpfad

Strecke: 2,6 Kilometer über Wald- und Schotterwege

Anreise: Mit Fahrrad oder Auto bis zum Waldparkplatz neben dem Polizeipräsidium (Klappacher Straße 145). Für die Anreise mit dem ÖPNV am besten den R-Bus bis zur Haltestelle Marienhospital nehmen. Alternativ fahren die Tramlinien 9 und 2 sowie mehrere Buslinien bis zum Böllenfalltor. Von dort direkt am Goetheteich mit dem Rundweg beginnen.

Lieblingswerk: die Riesenspinne

Eintritt: Der Eintritt ist frei, der Verein für Internationale Waldkunst e. V. freut sich aber über Spenden für künftige Projekte.

Zur Belohnung: Ein Abstecher über die Ludwigshöhe (und die dortige Ludwigsklause) dauert nur wenige Minuten.

Fun Fact: 15 Künstler*innen aus acht Ländern haben in diesem Jahr zusätzlich elf Waldkunstinstallationen im Forst am Böllenfalltor gebaut (und drei Installationen bei der Grube Messel). Zum Jubiläum hatte Kuratorin Ute Ritschel auch ehemalige Künstler*innen erneut eingeladen. Auf dem Pfad gibt es zudem mehr als 30 Kunstwerke aus vergangenen Biennalen zu bestaunen.

waldkunst.com