Foto: Jan Ehlers

Sport, der in Darmstadt betrieben wird und – Trommelwirbel – nicht Fußball ist? Vor lauter Lilienfieber ist’s ein bisschen in den Hintergrund geraten, aber: Jawohl, das gibt’s. Hier stellen wir sie vor, die Sportarten, die (noch) nicht von einem großen Publikum bejubelt werden. Zum Beispiel, weil sie bislang kaum jemand kennt. Oder weil sie eben einfach zu speziell sind, um die Massen zu begeistern. Oder vielleicht, weil man lieber unter sich bleibt? Wir gucken uns das für Euch aus der Nähe an. In dieser Ausgabe: Aikido.

Kampfsport? Ach nee, ich will doch niemanden absichtlich verletzen. Und ist das nicht eher was für pubertierende Jungs, die ihre Grenzen austesten wollen? Diese und ähnliche Gedanken hatte ich, als ich zu meinem Aikido-Testtraining ging. Doch falsch gedacht – Aikido ist eine Kampfkunst, kein wirklicher Kampfsport.

In den ehemaligen Räumen des „Kombinat“ ist in einem ruhigen Hinterhof in der Saalbaustraße ein schönes Studio für Aikido entstanden. Nein, falsch – ein Dojo, denn so nennt man den Übungsraum für japanische Kampfkunst. In den frisch renovierten Räumen werde ich freundlich von einer kleinen Gruppe Aikido-begeisterter Männer empfangen und bekomme erst mal ein erfrischendes Glas Wasser. Die kleine Gruppe hat die Aikido-Schule als Verein im letzten Jahr gegründet, um einen Raum für ihr Training zu schaffen. Der besondere Fokus des Aikido Ouka-Jyuku Darmstadt e. V. liegt auf der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Trainer Anis, der schon seit seiner Kindheit Kampfsport ausübt und seit mehr als 20 Jahren Aikido macht, betreut mit Begeisterung junge Menschen. Er erzählt mit einem Strahlen in den Augen von Kindern und Jugendlichen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen, die durch den Sport lernen, mit ihrem Körper und auch mit Wut umzugehen.

Kunst statt Kampf

Aikido ist ein Sport, den eigentlich jeder ausüben kann. Anders als angenommen geht es nicht um den Einsatz von Kraft, sondern mehr um eine konzentrierte und effiziente Nutzung von Energien. Doch der Reihe nach: Beim Aikido läuft alles nach Regeln ab und der Respekt vor Trainer Anis und auch vor dem Gründer der Sportart, Ueshiba Morihei, ist sehr wichtig. Sein Porträt hängt als Foto in allen Dojos. Bevor die Trainingsmatten (Tatami) betreten werden dürfen, verbeugen sich die Schüler. Auf der Matte dürfen keine Schuhe getragen werden, trainiert wird barfuß. Zum Trainieren wird ein Judo-Anzug (Keikogi) getragen, für den Anfang genügt aber auch bequeme Sportkleidung. Trainer Anis erklärt, dass zum Beginn und Ende des Trainings kurz meditiert wird, um den Alltag aus dem Kopf zu bekommen. Bevor es losgeht, verbeugen wir uns vor Trainer Anis. All das wird aufrecht kniend und teilweise mit geneigtem Oberkörper gemacht. Diese Stellung nimmt man auch zwischen den Trainingseinheiten immer wieder ein, wenn der Trainer etwas erklärt. Das Training läuft insgesamt sehr ruhig und klar geordnet ab.

Immer bereit für einen Angriff

Zuerst lerne ich, wie ich in der Hocke laufen kann. Das Wichtigste beim Aikido ist nämlich ständige Beweglichkeit, da man für einen Angriff bereit sein muss. Deswegen darf man sich auch nicht einfach bequem auf seinen Hintern setzen und ausruhen. Dann üben wir den Tai Sabaki, das ist eine der wichtigsten Schritt-Techniken. Man macht einen Schritt auf den Gegner zu, dreht sich dann aber aus der Hüfte heraus wieder von ihm weg. Mich erinnert das Ganze etwas an Tanzen, alles folgt einer Choreografie und man führt diese genau aus.

Danach üben wir das Abrollen. Um nicht über den Nacken zu rollen und auf dem Rücken zu landen, wird dies immer etwas seitlich über eine Schulter ausgeführt. Anis erklärt mir sehr vieles detaillierter als den anderen – und ich rolle mich auch ein paar Mal ziemlich geschmeidig hin und her. Wichtig auch: Beim Aikido werden kleine Schritte gemacht, die ruhig gesetzt werden. Ein großer Ausfall-Schritt ist tabu. Der Trainer betont immer wieder, wie wichtig es ist, alles aus seiner Körpermitte heraus auszuführen und diese zu spüren.

Foto: Jan Ehlers

Nach diesen allgemeinen Übungen, die vor jedem Training wiederholt werden, geht es zu zweit an verschiedene Manöver. Einer greift an, wobei kaum Kraft eingesetzt wird. Der Verteidiger versucht durch gezeigte Abwehrübungen den Gegner zum Schwanken oder sogar auf den Boden zu bringen. Anis erklärt uns, dass wir die Energie des Angreifers aufnehmen und umwandeln müssen. Dadurch müssen wir selbst als Verteidiger auch keinen Kraftakt vollführen. Durch die Berührung des Angreifers wird eine körperliche Verbindung hergestellt. Mehr durch mentale als physische Kraft steuert man den Gegner dann dahin, wo man ihn haben will.

Die Energie des Gegners nutzen

Es ist erstaunlich, wie ich dadurch auch gegen vermeintlich stärkere Männer eine Chance habe und sie ins Wanken bringe. Im Prinzip wird der Angreifer gelenkt und so manipuliert, dass er keine Chance auf einen wirklichen Angriff hat. Um den Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen, denken wir uns beispielsweise bei einer Übung einen Kreis um das Gegenüber herum. Entlang dieses Kreises steuern wir die angreifende Hand mit unseren eigenen Handgelenk. Die Körpermitte, die so wichtig für diesen Sport ist, stabilisiert man bei sich selbst, indem man den anderen aus seiner Mitte verdrängt. Aber eben ohne dabei Gewalt anzuwenden.

Miteinander, nicht gegeneinander

Dieses Prinzip des Miteinander-Kämpfens funktioniert nur in diesem geschützten Raum des Trainings. Gegen einen brutalen, gewaltvollen Angriff auf offener Straße hätte ich wohl trotzdem keine Chance. Denn beim Aikido geht es, wie schon erwähnt, um die Kunst im Kampf und nicht um Kraft und Gewalt.

Trotzdem kann man viel für den Alltag aus dem Sport mitnehmen: Anis fordert uns immer wieder zu einer geraden Haltung auf. Er selbst scheint seinen athletischen Körper ohne Anstrengung zu bewegen. Der meditative Anspruch hilft natürlich auch dabei, Alltagsprobleme hinter sich zu lassen. Gleichzeitig muss man diese spirituelle Offenheit bewusst zu- und sich auf das Aikido-Training einlassen.

Beim Aikido trainieren Männer und Frauen gemeinsam. Anis ist der Meinung, Frauen würden viel subtiler kämpfen und freut sich über meine Art, die Übungen zu machen. Anfangs muss ich mich manchmal noch überwinden, die für mich fremden Männer anzufassen und zu lenken. Doch alle sind sehr offen und so habe ich bald Spaß an den Übungen und sehe eigene Erfolge. Die Stunde geht sehr schnell vorbei und zum Schluss kommen wir alle noch einmal zur Ruhe und verneigen uns vor Anis als Dank für das Training. Wenn man sich darauf einlässt, ist es erstaunlich zu erfahren, wie man mit Angriffen auch umgehen kann. Das ganzheitliche Training ist für jeden geeignet, besonders Kinder und Jugendliche können viel von Anis lernen.

 

Mitmachen

Für Erwachsene findet das Training dienstags, donnerstags und freitags von 18 bis 19 Uhr statt. Dienstags und donnerstags gibt es von 16 bis 17 Uhr ein Training für Kinder und von 17 bis 18 Uhr für Jugendliche. Das Dojo erreicht man über den Hinterhof der Saalbaustraße 2-4.

Interessenten können sich per Mail zum Probetraining melden unter: kontakt@ouka-jyuku-aikido-darmstadt.de

Weitere Informationen gibt es online auf: www.ouka-jyuku-aikido-darmstadt.de

 

Aikido-Regeln, kurz und knapp

Aikido ist eine japanische Kampfkunst, die Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde. Aikido wird als „Weg der Harmonie“ übersetzt. Es geht um eine Selbstverteidigungsart, bei der sowohl Angreifer als auch Verteidiger unversehrt bleiben sollen.

Im Aikido gibt es keine Wettkämpfe, da kein sportlicher Vergleich angestrebt wird, sondern das Miteinander im Fokus steht. Besonders das Grüßen zu Beginn und Ende des Trainings sind – so wie der Respekt vor dem Trainer und den anderen Sportlern – als wichtigste Regeln zu verstehen. Die einzelnen Übungen und dazugehörigen Regeln sind umfangreich und werden vom Trainer vorher immer erklärt und an einem Mitstreiter vorgeführt.

Es gibt auch noch Aikido-Varianten, bei denen Stöcke und Schwerter zum Einsatz kommen. Diese sind aber eher für Fortgeschrittene gedacht. Während meiner Trainingsstunde wurde ausschließlich durch Körperkontakt miteinander gekämpft.

Weitere Informationen findet Ihr online auch beim Aikido-Verband Hessen e. V. unter: www.aikido-hessen.de