Ein Dienstagmorgen im Februar 2009. Ortstermin in der Kanzlei von Tom Eilers, Rechtsanwalt für Sport-, Urheber- und Medienrecht und seit 2006 Sportmanager des Fußball-Regionalligisten SV Darmstadt 98. Rein äußerlich ist dem Mann im Wollpulli nicht anzumerken, dass den „Lilien“ die Insolvenz droht. Zudem gehen die Kicker vom Böllenfalltor – nach respektabler Vorrunde mit einem unerwarteten, einstelligen Tabellenplatz sowie einer guten Vorbereitung – durchaus optimistisch in die Rückrunde.
Sportlich scheinen die 98er also gut drauf, auch wenn zuletzt nicht alles glatt lief, wie Tom Eilers resümiert: „Es war alles nicht so brillant, aufgrund von Krankheiten einzelner Spieler oder Blessuren. Zudem trug die Witterung dazu bei, dass wir unsere Spiele und das Training auf Kunstrasen austragen mussten. Das wird dann zum Auftakt der Rückrunde schon eine Umstellung.“
Nach dem Aufstieg aus der Oberliga, der ja aber eigentlich den Fortbestand in Liga Vier bedeutete, wurde den Lilien zu Saisonbeginn ein harter Abstiegskampf prognostiziert – auch in Verbindung mit der prekären Finanzlage. Umso schöner dann die Überwinterung unter den Top Ten der Liga (nach tatsächlich ernüchterndem Saisonstart). Doch Eilers warnt: „Die Situation ist trügerisch – bei zwei Niederlagen unsererseits und zwei Siegen der Konkurrenz sind wir wieder mittendrin im Abstiegskampf.“ Dennoch ist der 38-jährige ehemalige Lilien-Torhüter zuversichtlich: „Es ist ausreichend Potenzial für den Klassenerhalt vorhanden.“
Die drohende Insolvenz macht es dem heutigen Sportmanager allerdings schwer, für die sportliche Zukunft zu planen. So sind alle Spieler laut Eilers momentan nur im Besitz von Einjahresverträgen, die zum Saisonende auslaufen. Kein einfaches Business angesichts der Rahmenbedingungen: „Wir können zurzeit nur sehr vorsichtig auf die Spieler zugehen.“
Aber wie sehr sind die Lilien denn noch von der Pleite bedroht? Seit Monaten steht der Traditionsklub im Fokus der Öffentlichkeit, denn rund eine Million Euro an Nachforderungen für Steuern und Sozialversicherungsabgaben – zusätzlich zu laufenden Kosten und finanziellen Altlasten – stellen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in Frage. So konnten zwar durch Spendenaktionen und Benefizspiele gegen Bayern München (5:11) und Bayer Leverkusen (1:4) circa 625.000 Euro eingefahren werden, doch klafft nach wie vor eine Finanzlücke in Höhe von knapp 900.000 Euro. Da klingt es nach Aprilscherz, dass dem Deutschen Fußball Bund (DFB) zum 1. April 2009 die Lizenzierungsunterlagen für die laufende Saison durch den SV 98 vorlgelegt werden müssen. Für Tom Eilers und das Lilien-Präsidium eine Herkulesaufgabe. Eilers macht sich Mut: „Uns liegen mündliche Absichtserklärungen von Sponsoren oder ehemaligen Präsidiumsmitgliedern zur Verkleinerung der Finanzlücke auf 400.000 Euro vor. Mit dem Ziel der Rücknahme des Insolvenzantrages bedeutet dies, dem DFB tatsächlich Belege dafür liefern zu müssen, welche Mittel Sponsoren oder Wirtschaftspartner zu investieren gedenken. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine plausible Plankostenrechnung bis April hinbekommen.“
Auf der Jagd nach schriftlichen Zusagen
Doch die Zeit drängt. Und so arbeiten die Verantwortlichen am Böllenfalltor „auf allen Ebenen mit Hochdruck daran, Zusagen für finanzielle Mittel in Schriftform vorweisen zu können – sei es von Sponsoren und ehemaligen Präsidiumsmitgliedern, von Moratorien und Gläubigern, sei es zum Verkauf der Vereinsgaststätte.“ Was fehlt, sind die schriftlichen Fixierungen – auch, was den Kaufvertrag der Immobilie angeht. Eilers verrät lediglich: „Hier gibt es zwei bis drei hochgradig Interessierte.“
Und falls das Vorhaben „Abwendung der Insolvenz“ am Ende doch scheitern sollte? „Würden wir die Folgen einer tatsächlichen Insolvenz betrachten wollen, so stünde uns sportlich der Zwangsabstieg in die Oberliga bevor, wir wären wirtschaftlich entschuldet und stünden in diesem Bereich besser da“, erklärt Tom Eilers nüchtern.
Ein wichtiger Baustein für die Zukunftsplanungen sind die Verhandlungen mit etwa zehn ehemaligen Lilien-Verantwortlichen der Jahre 2003 bis 2007, die aus heutiger Sicht von Missmanagement und Beratungsfehlern geprägt waren. Tom Eilers äußert sich diplomatisch: „Grundsätzlich kann man ehemals Handelnden nicht vorwerfen, den SV 98 bewusst in die Krise geführt zu haben. Sie haben aus ihrer Sicht versucht, das Beste für den Verein zu erreichen. Da liegen Erfolg und Misserfolg manchmal ganz nah beieinander.“ Laut Eilers wird von den Ex-Funktionären, darunter auch der ehemalige Präsidiumsberater Uwe Wiesinger, eine Gesamtsumme in Höhe von 230.000 Euro als Ad-hoc-Zuwendung genannt. Der Verein prüft nun, ob er das Geld gegen eine gleichzeitige Haftungsentlassung des Ex-Managements akzeptiert.
Wie aber können die Lilien die dann immer noch fehlenden 400.000 Euro beschaffen? Als Maßnahmen sind weitere Benefizspiele geplant, gegen „namhafte nationale oder internationale Gegner, irgendwo aus dem Raum zwischen Wehen und Madrid“ – und ein ganz besonderer Rekordversuch: Beim Heimspiel am Samstag, dem 7. März, um 14 Uhr gegen den Ex-Bundesligisten und Traditionsklub SSV Ulm 1846 soll der bestehende Regionalliga-Zuschauerrekord von 14.020 Besuchern (beim Spiel Union Berlin gegen Dynamo Berlin im August 2005) geknackt werden. „Erreichen wollen wir das durch eine Aufmerksamkeitswelle“, erklärt Eilers, „beispielsweise durch Plakataktionen, in die auch unsere Fans involviert sein werden, oder durch unsere Medienpartner.“ Außerdem wird es ein Bonusheft geben, bei dem jeder Käufer von Eintrittskarten Punkte erwerben kann, die zur Teilnahme an einer Verlosung berechtigen, bei der es unter anderem Flachbildschirme zu gewinnen gibt. „Rekord für die Lilien“ heißt das ambitionierte Projekt, Oberbürgermeister Walter Hoffmann ist Schirmherr. Marketingaktivitäten in und um Darmstadt sowie ein Rahmenprogramm sollen am 7. März zusätzlich Fans ins Stadion locken. Zudem will sich der Verein an diesem Tag im Rahmen der Aktion „Kein Platz für Rassismus“ zu all seinen Unterstützern unterschiedlichster Nationalität und Hautfarben bekennen, und der Fanverein kündigt einen „Sternenmarsch“ an. Viele gute Gründe also, mal wieder mit Freunden und Freundinnen, mit Kind und Kegel zu den Lilien zu gehen.