Foto: Sandra Günther
Foto: Sandra Günther

Ein Jahr USA. Ja, auch ich habe mich nach meinem Schulabschluss aufgemacht, die weite Welt zu erkunden. Bin über den großen Teich in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten geflogen, um dort die so oft gepriesenen „Lebenserfahrungen“ zu sammeln. Um mehr „Selbständigkeit“ zu entwickeln. Kurz gesagt: Um halt diesen ganzen Scheiß zu machen, von dem die begeisterten und total erwachsenen Rückkehrer dann immer erzählen. Ja, Mutti, bitte sei stolz auf mich, ich kann jetzt alleine meine Wäsche waschen. Aber musste ich dafür extra ein Jahr in die USA gehen? Der Wink mit dem Zaunpfahl: „Wenn’s dir woanders net gefällt, bleib doch in Darmstadt!“

Untragbar war im Endeffekt aber vor allem eine Sache: Die Amis verspeisen zwar Burger en masse, produzieren Pommes im Überfluss, Pizza in Hülle und Fülle und halten sich für die größten Hot-Dog-Spezialisten des Universums (nebenbei: Niemand kann den Hot Dogs von Ikea das Wasser reichen!). Aber eines haben sie in ihrem riesigen Repertoire an sündhaft fettigen, salzigen und schmierigen Köstlichkeiten nicht vorzuweisen. Den König dieser Disziplin sozusagen. Den oft kopierten, nie erreichten, einzigartigen: Döner, made in Germany! Ein Jahr ohne Döner, stellt Euch das mal vor. Das ist wie ein Jahr ohne Sex.

Als ich dann endlich die Strapazen meines Auslandsabenteuers hinter mir lassen konnte, meine Eltern mich vom Frankfurter Flughafen abgeholt hatten, ich des Erzählens müde wurde und mich schlussendlich in mein Zimmer zurückziehen konnte, war mein Dönerentzug kaum noch auszuhalten. So oder so ähnlich könnte sich der Verlauf der Dinge abgespielt haben:

An Schlaf ist nicht zu denken

Rastlos in meinem Zimmer auf- und abgehend erwarte ich die Nacht. Und mit der Dunkelheit kommt das Verlangen. Die Nerven liegen blank, der Schweiß tropft mir von der Stirn und einen zweiten Satz Fingernägel, um daran zu kauen, besitze ich nicht. Meinen Eltern habe ich erzählt, ich müsse schlafen. Jetlag und so. Aber in Wirklichkeit ist an Schlaf nicht zu denken. Meine Gedanken sind besessen von diesem Verlangen. Dem Verlangen nach knusprig geröstetem Fleisch. Hastig werfe ich mir meine Jacke über, merke dabei noch nicht einmal, dass sich die Innenseite außen befindet. Ohne die Schuhe zu binden, öffne ich meine Balkontüre. Von dort starte ich meine Mission, schwinge mich über das Geländer und lande mit einem lautem „Wumms“ auf dem Dach des Gartenhäuschens unseres Nachbarn. Der Mond leuchtet mir mit seinem silbrig-blassen Licht den Weg.

Schon erahne ich den so schmerzlich ersehnten Geruch in der Luft. Ich nehme Fährte auf. Wie ein Besessener stolpere ich durch die Straßen, remple hier und da Passanten an, nuschle ihnen eine unverständliche Entschuldigung zu und haste weiter. Der Tunnelblick setzt ein und ich sehe die Geruchsfäden ganz deutlich vor mir in der Luft schweben. Am deutlichsten ist der rotbraune Fleischfaden zu erkennen. Dieser ist vermischt mit Grün, Weiß und Lila, den Farben von Salat, Zwiebeln und Kraut. Wie ein Zombie bewege ich mich voran, ruckartig und getrieben. Ich begegne einer streunenden Katze. Als sie mich entdeckt, faucht sie in meine Richtung, stellt den Schwanz auf – und rennt dann panisch davon. Nachdem ich um die nächste Ecke gebogen bin, laufe ich unter dem Lichtkegel einer Straßenlaterne hindurch. Zwei Fußgänger, die mir entgegenkommen, werfen einen entsetzen Blick in meine Gesicht und wechseln fluchtartig die Straßenseite.

Geöffnete Nüstern, wie von Sinnen

Meine Nüstern sind weit geöffnet, der Mund zu einem begeisterten „Jokergrinsen“ verzerrt. Gleich ist es so weit. Ich rieche es nun ganz deutlich. Plötzlich stehe ich vor einer Eingangstür. Hier muss es sein. Der Geruch nach gebratenem Fleisch in Fett ist überwältigend. Ich gehe, nein, falle die beiden Treppenstufen hinauf, reiße die Tür auf und verliere fast die Besinnung vor lauter Vorfreude. Dort in der Ecke dreht sich der Spieß. Hinter der verglasten Theke, fein säuberlich in silberne Metallboxen getrennt, befinden sich: Salat, Zwiebeln, Tomaten, Rotkraut, Gurken, Schafskäse, Joghurt- und Knoblauch-Soße. Die Freudentränen zurückhaltend, ohne jegliche Kontrolle über meine eigene Stimme, brülle ich dem Mann in weißer Schürze heiser meine Bestellung zu: „AinenDÖÖÖÖHNERmitALLEM!!undGGAAANZvielSCHAAARRRRRF!“

Als ich merke, dass man mich ob meiner grunzenden Laute nicht versteht, deute ich mit zittrigem Zeigefinger einfach auf den Spieß und schleppe mich danach an einen der kleinen Tische im Laden. Während ich warte, schabe ich die letzten Reste meiner verkümmerten Fingernägel an der spröden Holzplatte ab.

Endlich ist es so weit. Wie ein vom Himmel gesandter Engel erscheint mir die Bedienung, die mir feierlich meine so lang ersehnte Fleischtasche vorsetzt. Ich fange an zu sabbern. Der Speichel rinnt in Strömen über mein Kinn, sammelt sich an dessen Spitze und tropft von da aus klebrig auf den Tisch. Meine Augen sind geweitet, die Wangen gerötet. Meinen irren Blick, der starr auf das dreieckige Fresspaket in meinen Händen gerichtet ist, könnte man mit dem des Psychopathen aus „Das Schweigen der Lämmer“ vergleichen. Die Leute im Laden schauen verstohlen und durchaus verängstigte zu mir herüber. Wahrscheinlich fragen sie sich gerade, aus welcher Psychiatrie ich wohl entflohen sein könnte. Einer greift zu seinem Handy und wählt die 110. Sicher ist sicher. Aber mir ist das egal. Oder besser gesagt: Ich habe meine Umgebung vollkommen ausgeblendet. Es gibt nur noch mich – und das Päckchen in meinen Händen.

Die Geschmacksnerven feiern eine Party

Langsam führe ich das duftende Füllhorn, in dessen Innerem sich die Erlösung all meiner Wünsche befindet, meinem Mund entgegen. Ich rieche das knusprige, frisch gebackene Fladenbrot. Ein Hauch von scharfen Gewürzen, vermischt mit dem starken Lamm- und Knoblaucharoma, rundet das Ganze ab. Meine Zunge hängt halb heraus, und wie das Zusammentreffen mit einer lange vermissten Geliebten, zelebriere ich den ersten Bissen. Und meine Geschmacksnerven feiern eine Party: Das stark gewürzte Fleisch vereinigt sich mit dem Salat, geht Hand in Hand mit den Zwiebeln, schließt die Tomaten und das frische Brot in den Kreis ein und vollendet den Reigen mit dem Hinzuführen der dominanten Knoblauchsoße. Langsam kauend bin ich überzeugter denn je: Diese Speise ist ein Geschenk der Götter!

Mit dem Eifer eines kleinen Jungen, der zu Weihnachten die lang ersehnte Ritterburg geschenkt bekommen hat, mache ich mich über den Rest meines Döners her. Die Soße verteile ich dabei wie in Rage im ganzen Gesicht. Hier und da fliegen Essensreste über den Tisch und meine Finger glänzen fettig in dem schummrigen Licht der Verkostungsstätte. Und noch während ich Allah, Jesus und Buddha dafür danke, mir diesen Tag geschenkt zu haben, erscheint zu meiner Linken das Dönertier und beglückwünscht mich ob meiner sicheren Rückkehr in die heimatlichen Gefilde.

Im Döner-Rausch

Als es mir dann hoch und heilig kostenlosen Döner bis ans Ende meiner Tage verspricht, kann ich mich nicht mehr zurückhalten und singe vor lauter Freude eine Ode auf die Erfindung meines Leibgerichts. Orientalisch aussehende Frauen, deren Gesichter bunte Schleier verdecken und die anmutig einen Bauchtanz vollführen und ein in weißen Tüchern gewandter Musikant mit wallendem, schwarzen Bart, der eine türkische Langhalslaute spielt, begleiten meine Vorstellung. Und während ich den ganzen Laden beschalle, der sich wie von Zauberhand in ein riesiges Beduinenzelt verwandelt hat, nehme ich immer wieder einen Bissen von dem köstlichen Döner, der sich in meiner linken Hand befindet und scheinbar nicht kleiner wird. Erst, als zwei junge Männer, bewaffnet mit einer recht sonderbaren weißen Jacke vor mir stehen, und behutsam auf mich einreden, kehre ich langsam in die Realität zurück. Die orientalischen Klänge verhallen. Doch der Duft nach gebratenem Lammfleisch bleibt. Wie auch die Gewissheit, dass ich solch eine orgiastische Döner-Erfahrung wohl nie wieder erleben werde.

 

Foto: Lisa Zeißler
Foto: Lisa Zeißler

Mit scharf!

Dieser Artikel wurde von P-Grafikerin Lisa Zeißler gestaltet. Er ist Teil ihrer 2011 erschienenen Diplomarbeit „Mit Scharf – Magazin für Dönerkultur“, einer 80 Seiten starken Liebeserklärung ans Drehspieß-Sandwich mit wissenschaftlicher Dönerbestandsanalyse, Dönerballerina-Fotostrecke, Döner-Typ-Test, einem Hintergrundartikel zur „Volkskrankheit Dönerismus“ und einer Anleitung zum fachgerechten Dönerverzehr.

„Mit Scharf“ ist in sechs Monaten harter wie liebevoller Arbeit entstanden. Die gedruckte Auflage bislang: zwei Exemplare. Dabei gehört das Teil an allen 15.000 bundesrepublikanischen Dönerbuden ausgelegt!

Mehr Infos und das Magazin als PDF unter www.mit-scharf.com