Foto:
Foto: Linda Breidert

Wer war schon mal in der Waldkolonie? Die meisten kennen den Wasserturm am Hauptbahnhof, erbaut von Friedrich Mettegang und die sanierte Stahlbrücke. Obwohl sie wirklich dazu einlädt, auf die andere Seite zu gehen, machen dies wenige. Es ist fast so wie in Köln die „schäl Sick“, die falsche Seite vom Rhein. In Darmstadt, dort „hinter den Gleisen und neben dem Akazienweg“, liegt die Mettegang-Siedlung.

Sie wurde 1911 als Arbeitersiedlung für angestellte der Reichsbahn geplant und zum teil von den Arbeitern selbst errichtet. Friedrich Mette­ gang, Mainzer Stadtbaurat, plante diese Siedlung in Anlehnung an die Idee der Gartenstadt, die Anfang des 20. Jahrhunderts aus England nach Deutschland kam. Die einzelnen Gebäude sind unregelmäßig und mit großzügigen Freiräumen und Gärten auf dem Grundstück angeordnet. nicht nur der städtebauliche Leitgedanke, sondern auch die Materialwahl – der Klinker – erinnern an die englische Bauweise. 1994 wurde dieses Areal als besonders gutes Beispiel für den „Typ Arbeiterwohnsiedlung in Selbsthilfe um 1900“ als Gesamtanlage unter Denkmalschutz gestellt.

Etwas später erst wurde der heutige Kern der Waldkolonie südlich vom Dornheimer Weg errichtet. Die Baugesellschaft schrieb 1919 einen Wettbewerb aus, welchen Heinrich Stumpf und Karl Osterrath – beide Lehrer an der Landesbaugewerbeschule der heutigen hoch­ schule Darmstadt – gewannen. hier ist die Architektur der frühen 1920er Jahre sehenswert, die Ornamentik zeugt davon, dass die Siedlung damals nicht avantgardistisch sein wollte. Vielmehr wurde ein der Nutzung und den Nutzern entsprechendes Quartier gebaut, das beiden in Maßstab und Gestalt entsprach und so würdevoll gealtert ist. Der Reiz der Siedlung liegt in der geschwungenen Straßenführung, den großen Gärten mit Straßen­ bäumen, dem gut proportionierten kleinen Plätzchen, der einheitlichen Materialität sowie den sich wieder­ holenden Gestaltungsmerkmalen. hierdurch entstehen der homogene Eindruck der gesamten Anlage und ihre Identität.

Leider ist selbst diese Siedlung nicht vor dem Individualisierungswahn einzelner Bewohner geschützt. Das homogene Bild der Gesamtanlage wird durch unterschiedlich und unpassend gestrichene Doppelhaushälften, Kunststoffeingangstüren aus dem Baumarkt mit grässlichen Fensterchen und Farben und Sat­ Schüsseln direkt an der Straßen­ front gestört. am schlimmsten verunstalten jedoch Strommasten in Vorgärten und die Überlandleitungen – die heißen doch nicht ohne Grund Überlandleitungen und nicht „Überstadtleitungen“!!!

Das gesamte Bahnhofsareal ist gespickt mit den reizvollen Bauten dieser Zeit, wie zum Beispiel der ziegelexpressionistischen Anlage Rheinstraße / Ecke Schachtstraße, dem Richthofenbunker (heute Mozartturm genannt), der Rheinbrücke, dem Wohnhaus des ehemaligen Bahnarztes (Bismarck­/Ecke Goebelstraße) – und nicht zu vergessen: dem alten Schalthaus am Dornheimer Weg, das 1998/99 von elf Rentnern in 30.000 Stunden ehrenamtlicher Arbeit saniert wurde. Der wohl prominenteste Bewohner der Waldkolonie, OB Walter Hoffmann, schätzt an der Waldkolonie besonders „die dörfliche Struktur in der Stadt, dadurch sind die persönlichen Kontakte und Beziehungen hier sehr intensiv. Die nähe zur Innenstadt ist faszinierend, in acht Minuten ist man mit öffentlichen Verkehrsmitteln am Luisenplatz. Obwohl es klein ist, gibt es alles vor Ort.“