Foto: Jan Ehlers

Heute ist es mal an der Zeit, einen unserer Kicker zu würdigen. Einen, der sich bereits am 24. Mai 2015 seinen Platz in der Lilien-Chronik gesichert hat. Einen, der es inzwischen auf über 150 Partien für den SVD gebracht hat. Einen, der seit einem Jahr – wie es einer Lilie gebührt – förmlich aufblüht. Einen, der aktuell nicht aus dem Spiel der Blau-Weißen wegzudenken ist. Mädels & Jungs, Ihr wisst es natürlich längst: Es geht um Tobi Kempe.

Was war das für eine Szene im Pokalspiel in Magdeburg. Langer Ball auf Seung-ho Paik. Der Koreaner legt den Ball per Kopf quer zu Serdar Dursun. Dieser gibt den Ball in Bedrängnis zentral vor dem Strafraum nach hinten, wo Tobi Kempe heranrauscht. Und von dem Moment an, als der Ball dessen rechten Fuß verlässt, kennt er nur eine Richtung: Mit Karacho in den Winkel. Booom! Eine Woche später: Zum Zweitligaauftakt gastieren die Lilien beim SV Sandhausen. Nach 19 Minuten wehren die Kurpfälzer eine Flanke ab. Den hohen Ball schnappt sich Kempe noch im Sechzehner. Er läuft zunächst ein, zwei Schritte Richtung Strafraumgrenze, stoppt abrupt ab, macht kehrt Richtung Tor, schickt seinen Gegenspieler dabei ins Nirvana, legt dann überlegt ins Zentrum, wo der frei stehende Mathias Honsak zur Führung vollendet. Zwei Spieltage später legt Kempe zunächst das 2:2 von Marvin Mehlem in Nürnberg auf und bereitet per Freistoßflanke in der Nachspielzeit das 3:2 durch Nicolai Rapp vor.

Seine Zeit scheint vorbei …

Allein diese Beispiele zeigen, wie wichtig der mit 31 Jahren drittälteste Spieler der 98er derzeit ist. Vor einem Jahr war der Mittelfeldakteur ziemlich außen vor. Dimitrios Grammozis wusste nicht so recht, etwas mit ihm anzufangen. Und was soll ich sagen? Ich konnte den Coach verstehen. Kempes Verdienste waren unbestritten. Lange Zeit hatte er als einer der Wenigen für spielerische Elemente in der Offensive gesorgt. Doch seine berüchtigten Standards hatten deutlich an Esprit verloren. Er war nun mal nicht der schnellste Spieler und er versäumte es immer häufiger, sich rechtzeitig vom Ball zu trennen, was regelmäßig in Ballverlusten mündete.

… dabei nahm er nur Anlauf für einen zweiten Frühling.

Doch als die Lilien schlecht in die Saison 2019/20 kamen, da besann sich Grammozis eines Besseren. Auf St. Pauli schickte er Kempe – den er zuvor nicht mal mehr in den Kader berufen hatte – in der letzten Viertelstunde aufs Feld und keine drei Minuten später fiel der 1:0-Siegtreffer durch Victor Pálsson. Vorlagengeber? Tobi Kempe! Ab da war der Standardspezialist Stammspieler. Die „Pro Kempe“-Fraktion auf den Rängen war besänftigt, genauso wie Familie Kempe in den sozialen Medien. Doch damit nicht genug: Kempe begann sich fast schon neu zu erfinden. Er wirkte spritziger, robuster. Er brachte eine gewisse Sicherheit ins Spiel seiner jungen, schnellen und technisch versierten Mitspieler. Er war so etwas wie der Missing Link. Wie in den fußballerisch tristen Vorjahren, traf er regelmäßig und erhöhte seine Trefferquote seit der Rückkehr aus Nürnberg im Sommer 2017 auf 28 Zweitligatreffer, gepaart mit insgesamt 17 Assists. Das macht im Schnitt 15 Torbeteiligungen pro Spielzeit. Dirk Schuster, der den Mittelfeldakteur 2014 aus Dresden nach Darmstadt gelotst hatte, lag bei dessen Verpflichtung also richtig, als er sagte: „Wir […] sind überzeugt, dass wir mit ihm einen sehr guten Griff landen konnten.“

Gute Zahlen


Was Kempe ebenfalls auszeichnet: Er ist so gut wie nie verletzt (wir klopfen auf Holz). Angeschlagen versäumte er in seiner inzwischen sechsten Saison am Böllenfalltor laut transfermarkt.de nur sieben Spiele. Fünf davon im Herbst 2017, als der SVD in einen beängstigenden Abwärtsstrudel geriet, in dessen Folge Torsten Frings gehen musste. Eine Gelbsperre musste er in all den Jahren nur einmal absitzen, den roten Karton sah er noch nie. Der ruhende Ball ist da schon eher sein Ding. Neben zehn Elfern versenkte er bis jetzt vier Freistöße direkt. Den ersten davon am eingangs erwähnten 24. Mai 2015 gegen den FC St. Pauli. Ein Treffer, der die Bundesliga-Rückkehr der Lilien nach 33 Jahren besiegelte. Als er danach in der Bundesliga nicht wie erhofft zum Zug kam, ging er zum Club nach Nürnberg, kehrte allerdings nach Jahresfrist wieder zurück. Eine Rückholaktion, die aufging. Seither führt ihn der „kicker“ in seinen halbjährlichen Ranglisten regelmäßig unter den besten Zweitligaspielern. Eine Ehre, die in der Regel nur wenigen 98ern widerfährt.

Ein beeindruckender Saisonauftakt


In der aktuellen Spielzeit agiert Tobi Kempe zusammen mit Marvin Mehlem im offensiven Mittelfeld und hat dort mehr Zugriff auf das Geschehen, als auf dem Flügel. Er mag nach wie vor nicht der schnellste Spieler sein, aber einer der ausdauerndsten. Im Schnitt rockt er über elf Kilometer pro Partie ab. Am Ball beweist er wieder sein feines Füßchen und gilt sowohl beim „kicker“ als auch beim englischen Analyse- und Statistik-Portal „whoscored“ als einer der besten Zweitligaspieler der freilich noch jungen Saison. Die englische Seite benennt zudem die Eigenschaften eines jeden Spielers. Bei Kempe hebt sie insbesondere dessen Standards und Flanken hervor – und sieht ihn auch bei Distanzschüssen sowie Schlüsselpässen stark. Unter Schwächen notieren sie nur zwei Punkte: seine Grätschen und seine Aufmerksamkeit. Aha?!

„Tor des Monats“ … beinahe

Zumindest weiß er seine Schwächen momentan sehr gut zu kaschieren. Seine Qualitäten überwiegen deutlich. Und: Mit seinem Sonntagsschuss in Magdeburg hat er es sogar in die Auswahl des alt-ehrwürdigen „Tor des Monats“ geschafft. Das gelang noch nicht allzu vielen Lilien-Spielern. Ein Aufstiegstor, eine Nominierung für das „Tor des Monats“, ein zweiter Frühling. Es gab wahrlich schon schlechtere Karrieren beim SVD. Um genau zu sein: sehr viel bessere auch nicht. Chapeau!

 

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Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

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