Foto: Charlott Nagel

Sport, der in Darmstadt betrieben wird und – Trommelwirbel – nicht Fußball ist? Vor lauter Lilienfieber ist’s ein bisschen in den Hintergrund geraten, aber: Jawohl, das gibt’s. Hier stellen wir sie vor, die Sportarten, die (noch) nicht von einem großen Publikum bejubelt werden. Zum Beispiel, weil sie bislang kaum jemand kennt. Oder weil sie eben einfach zu speziell sind, um die Massen zu überzeugen. Oder vielleicht, weil man lieber unter sich bleibt? Wir gucken uns das für Euch aus der Nähe an. In dieser Ausgabe: Canne de Combat.

Kann de was? Ja, Französischkenntnisse sind bei dieser Sportart von Vorteil, Canne de Combat bedeutet so viel wie Stockfechten. Entwickelt hat sich der Sport aus dem Kämpfen mit einem Spazierstock (la canne). Ein Sport für edle Herren also? Ich mache mich mit einer Menge Vorurteilen im Gepäck auf den Weg zur Sporthalle der Lichtenbergschule. Eine Kampfsportart habe ich noch nie praktiziert und mit einem Stock nach anderen zu schlagen erscheint mir als friedliebender Mensch auch etwas fragwürdig.

Ich weiß überhaupt nicht, was mich erwartet, und bin nervös. Aber als ich Trainer Vincent und seine Gruppe kennenlerne, legt sich die Unsicherheit. Ich bekomme von Vincent einen Stock, der circa 95 Zentimeter lang und aus Kastanienholz ist. Er ist leicht, liegt gut in der Hand und kostet nur um die vier Euro. Die Stöcke des Canne de Combat haben kein geschwungenes Ende wie ein echter Spazierstock. Fürs Training wird ein grün-markierter Stock benutzt, der maximal 200 Gramm wiegen darf. Die Turnierstöcke sind leichter (bis 125 Gramm und schwarz markiert), da sie im Zweifelsfall brechen und niemanden verletzen sollen. Vincent versichert mir aber, dass man normalerweise nicht mehr als ein paar blaue Flecken abbekommt. Da es sich um einen Leichtkontakt-Sport handelt, sind vor allem Schnelligkeit und Technik gefragt.

Ohne Stock geht nichts

Dafür muss man natürlich trainieren. Wir begrüßen uns mit einem Schwingen des Stockes von der rechten Körperseite auf die linke, da wir sportlich miteinander kämpfen wollen. Den Gruß werde ich später noch lernen. Dann laufen wir uns warm, wohlgemerkt mit dem Stock. Circa eine Dreiviertelstunde machen wir verschiedene Aufwärmübungen und dehnen uns anschließend. Gedehnt werden hauptsächlich Schulterpartie und Beine. Auch beim Dehnen kommt der Stock teilweise zum Einsatz und – wie ich später feststelle – werden auch schon die Bewegungsmuster der verschiedenen Schläge aufgegriffen.

Die Muskeln sind warm und dürfen endlich Stockschläge trainieren. Die Canne-de-Combat-Sportler finden sich zu zweit zusammen und trainieren ihre Technik. Von insgesamt sechs Grundschlägen habe ich am Ende des Trainings vier erlernt. Bei den ersten beiden Schlägen, dem latéral extérieur und dem latéral croisé, wird der Stock in einer fließenden Bewegung durch die Kraft aus den Schultern über den Kopf mit einer schwungvollen Drehung seitlich auf den Gegner gezielt. Der Stock bildet dabei zum Schluss eine Verlängerung des gestreckten Armes. Schlägt man mit rechts, so ist auch das rechte Bein leicht nach vorn gebeugt. Die ersten Versuche fühlen sich merkwürdig an und ich vertraue dem Stock noch nicht. Dabei ist er in meiner Hand sicher und folgt meinen Bewegungen, ich schaue ihm aber trotzdem hinterher. Dieses Verhalten wäre im Kampf fatal, da man den Gegner nicht aus den Augen lassen darf. Übung macht den Meister und alle meine Trainingspartner versichern mir, dass auch sie den Stock anfangs ungewohnt fanden. Diese Sportart ist nicht intuitiv und die Technik muss erst in den Körper übergehen. Alle anderen sehen dabei schon so elegant aus. Teilweise muss ich aber auch an einen Zauberstab denken, den sie da vor sich herschwingen.

Kampfsport der Bourgeoisie

Dabei handelte es sich ursprünglich um elegante Spazierstöcke, die französische Herren im 18. und 19. Jahrhundert zur Verteidigung einsetzten. Waffen durften sie offiziell nicht bei sich tragen, also entwickelte sich eine Technik zur Selbstverteidigung mit dem Alltagsgegenstand. Mit einer plombierten Spitze am Ende des Stocks kann er, richtig geschwungen, ziemlichen Schaden anrichten. Bei den Olympischen Spielen in Paris 1924 wurde auch Canne gekämpft. Dabei handelte es sich wohl hauptsächlich um Demonstrationszwecke, denn außerhalb Frankreichs ist der Sport auch heute noch wenig bekannt. Allerdings verwendet die französische Polizei in ihrer Ausbildung immer noch Techniken dieser Sportart.

Im Darmstädter Verein wird Canne de Force mit einem geschwungenen Spazierstockgriff als Selbstverteidigungs-Workshop angeboten. Durch den Griff kann der Gegner noch auf andere Arten manipuliert werden. Dabei können beispielsweise die Beine weggezogen werden. Diese eher unfaire Art zu kämpfen wird daher nicht im sportlichen Turnierbereich angewandt.

Ich habe also die beiden ersten Schläge gelernt und versuche mich noch am croisé tête, bei dem der Stock senkrecht in einem Halbkreis von unten nach oben aus der Grundstellung auf den Kopf des Gegners zielt. Für den vierten Schlag, den brisé, muss ich erst mal lernen, den Stock neben dem Körper kreisen zu lassen. Im Prinzip lässt man den Canne dazu aus der Hand fallen und versucht ihn mit Schwung wieder nach oben zu holen, dann wird der Arm ausgestreckt und der Stock soll abermals den Kopf des Anderen treffen. Nach einigem Üben klappen die Schläge schon ganz gut und fühlen sich weniger unhandlich an. So langsam freunde ich mich mit dem Stock an.

Technik ist alles

Die Schläge sollen präzise ausgeführt werden und nicht fuchtelnd oder stechend auf den Gegner zielen. Da der Oberkörper den Arm mitbewegt, funktioniert der Körper wie eine Sprungfeder, die den Schlag abgibt. Abgewehrt werden die Angriffe durch Parieren, wobei der eigene Stock den Stock des Gegners rechtzeitig vor dem Körper abfängt. Der eigene Stock bleibt nah am Körper, um schnell zum Gegenschlag ausholen zu können. Um das zu trainieren, machen die anderen eine Übung, bei der immer einer pariert und der andere versucht zu treffen. Da schaue ich doch lieber nur zu, als bei diesen ungewohnten Bewegungen jemandem wehzutun. Die letzte halbe Stunde des Trainings wird zu kurzen Zweikämpfen genutzt. Das Zuschauen macht mir richtig Spaß, denn jetzt geht es zur Sache. Alle haben ihre Tenue, den gepolsterten Schutzanzug und eine Maske aus dem Fechten, an. So sieht man zwar etwas nach Michelin-Männchen aus, ist aber gut wattiert und geschützt. Die Tenues sind wohl etwas teurere Anschaffungen, werden aber von einigen geschickten Kämpfern auch selbst angefertigt. Die kurzen Kämpfe werden in einem 9-Meter-Kreis abgehalten. Es ist als Zuschauer ratsam, ein wenig mehr Abstand zu halten, denn gleich beim ersten Kampf fliegt einer der Stöcke durch die Halle.

Keine Geschlechtertrennung

Beim Training und auch bei Wettkämpfen wird bis zur Ebene der Weltmeisterschaft keine Geschlechtertrennung vorgenommen. Auch Gewichtsklassen werden nicht unterteilt, denn der Sport wird mit Präzision, Technik und Schnelligkeit ausgeübt. Hier nutzt jeder den eigenen Körper zu seinem Vorteil und muss vor allem den Umgang mit dem Stock draufhaben.

Nach meinem ersten Training kann ich sagen, dass der Sport zwar Übung verlangt, aber nicht übermäßig kompliziert ist. An die Bewegung mit dem Stock hat man sich schnell gewöhnt und mit geübterer Technik macht es sicherlich auch viel Spaß, den Gegner auszutricksen und sich zu wehren. Jetzt im Herbst fühle ich mich mit meinem Regenschirm also ganz gut bewaffnet. Wer gerne eine alternative Kampftechnik ausprobieren möchte, ist hier bestens aufgehoben.

 

Anschauen

Am Samstag, 18.11., findet ab 9 Uhr ein Turnier des Canne de Combat Darmstadt e. V. in der Sporthalle der Lichtenbergschule statt. Hier kann jeder einen ersten Eindruck von diesem Sport bekommen.

Mitmachen?

Wenn Ihr Lust auf Canne de Combat bekommen habt, schaut einfach bei einem Training vorbei. Ihr braucht keinerlei Vorkenntnisse, nur bequeme Kleidung und Hallensportschuhe. Ein Stock kann anfangs vom Verein geliehen werden. Für Wettkämpfe wird ein Schutzanzug benötigt. Die Trainingszeiten der verschiedenen Gruppen (Hochschule, Verein und Jugend) sind auf der Homepage des Canne de Combat Darmstadt e. V. zu finden.

www.lacanne.de

Canne de Combat, kurz und knapp

Zwei Tireurs (Kämpfer) treten in einem 9-Meter-Ring mit einem Stock in der Hand gegeneinander an. Die Stockhand darf beliebig gewechselt werden. Über die Gültigkeit der Treffer entscheiden drei Punktrichter. Je nachdem wie viele Richter den Treffer gesehen haben, gibt es ein bis drei Punkte. Ein Treffer muss im Armé ausgeführt sein, Arm und Stock bilden dabei eine Linie. Außerdem dürfen nur die vordersten zwanzig Zentimeter des Stocks den Gegner treffen. Es ist verboten, zu stechen oder den Gegner am Rücken oder Hinterkopf zu treffen. Ein zusätzlicher Kampfrichter überwacht das Geschehen im Ring und gibt Beginn, Unterbrechungen und das Ende eines Kampfes bekannt. Die Dauer einer Kampfrunde beträgt zwei Minuten, von denen es zwischen zwei und vier in einem Kampf gibt.