Foto: SV Darmstadt 98 e. V. ( Walter Bechtold)

Weit über 1.000 Spieler trugen in den vergangenen Jahrzehnten die Lilie auf der Brust. Zu den besonders herausragenden und populären Spielern zählten zweifelsohne zwei, die das Spiel ihrer jeweiligen Teams in den 1970er- und in den 1980er-Jahren entscheidend prägten. Zwei, die darüber hinaus in diesem Sommer ihren 75. beziehungsweise ihren 65. Geburtstag feierten: Walter Bechtold und Oliver Posniak.

Als die Lilien 1980 den angestrebten Wiederaufstieg in die 1. Bundesliga verpassten, da trat einer der wichtigsten Spieler des vorangegangenen Jahrzehnts ab: Libero Walter Bechtold sah mit seinen knapp 33 Jahren die Zeit gekommen, um seine Karriere unterklassig ausklingen zu lassen. Just in jenem Sommer heuerte wiederum ein Kicker an der Nieder-Ramstädter Straße an, der das kommende Jahrzehnt der 98er prägen würde: Oliver Posniak.

Aus Frankfurt ans Bölle

Bechtold wie Posniak sollten im Laufe ihrer Karriere die Lilien als Kapitän aufs Spielfeld führen. Beiden war mit ihren Teams je ein Aufstieg in die Bundesliga vergönnt, beide scheiterten jedoch ein weiteres Mal knapp im Aufstiegsrennen. Und noch eine Parallele eint die zwei: Sie begannen ihre Fußballerkarrieren in Frankfurt. Bechtold bei der Eintracht, Posniak beim FSV. Bevor es Walter Bechtold ans Bölle zog, legte er eine Zwischenstation beim hier wenig geschätzten OFC ein, mit dem er gar den DFB-Pokal gewann. 1972 fand Bechtold dann seine sportliche Heimat bei den 98ern und drückte dem Lilienspiel fortan seinen Stempel auf. Ganz im Gegensatz zu seinen vorherigen Klubs, bekleidete er beim SVD die Liberoposition, die er mit großem Überblick und enormer Routine ausfüllte. Als letzter Mann fand er sogar die Gelegenheit, das Offensivspiel mit seinen herausragenden langen Pässen einzuleiten. Daneben erwarb er sich einen Ruf als torgefährlicher Frei- und sicherer Strafstoßschütze.

Libero mit ganz viel Offensivqualitäten

Bechtold glänzte als verkappter Spielmacher – ganz so, wie es die damalige Lichtgestalt Franz Beckenbauer beim FC Bayern war. Nicht von ungefähr wurde ihm der Beiname „Darmstadts Beckenbauer“ verliehen. Ans Tor zur Bundesliga klopfte er mit den 98ern bereits in seiner ersten Saison. 1973 sicherte er sich mit den Lilien die Süddeutsche Meisterschaft. Unvergessen der begeisternde 7:0-Erfolg über den 1. FC Nürnberg am letzten Spieltag. In der Aufstiegsrunde musste das Team dann letztlich Rot-Weiss Essen den Vortritt lassen. Als Darmstadts Fußballer sich 1978 endlich für die Bundesliga qualifizierten, stellte Bechtold seine Qualitäten auch dort unter Beweis. In der Saison-Endabrechnung bewertete das Fachmagazin „kicker“ ihn als einen der auffälligsten Liberos im Oberhaus. Ein Notenschnitt von 2,59 war Beleg seiner Klasse. Am Routinier lag es folglich nicht, dass der SVD umgehend wieder abstieg. Bechtold hatte gezeigt, dass er im Oberhaus sehr gut mithalten konnte, obwohl er damals der älteste Spieler im Kader der Lilien war. Ex-Coach Lothar Buchmann, der zum Vizemeister VfB Stuttgart wechselte, hätte Bechtold selbst bei den Schwaben eine gute Rolle zugeschrieben, wenn er nur zwei oder drei Jahre jünger gewesen wäre. So aber blieb der gebürtige Frankfurter ein weiteres Jahr bei den Lilien, bevor er 1980 abtrat.

Abbildung: Franz Gehrisch (Posniak)

Spielintelligenter Pressingspieler

Just ab dann schickte sich Oliver Posniak an, den Lilienfans große Freude zu bereiten. Schon in seiner ersten Spielzeit machte er sich im Mittelfeld unentbehrlich und schaffte mit seinem Team prompt den Aufstieg in die 1. Bundesliga. Auch dort zeigte er sich engagiert und zählte trotz umgehenden Abstiegs zu den auffälligsten Spielern im Kader der Blau-Weißen. In den Duellen gegen Bayern München und den Hamburger SV bereitete Posniak jedenfalls gestandenen Nationalspielern wie Paul Breitner und Manfred Kaltz unangenehme Nachmittage, wie das „Darmstädter Echo“ seinerzeit lobend hervorhob. Dabei war Posniak beileibe kein Spieler, der sich primär aufs Spielzerstören konzentriert hätte. Er war ein Fußballer, der genauso Akzente in der Offensive setzen konnte. Das bestätigte Eckhard Krautzun, der Posniak eine Zeit lang beim SVD coachte. Für ihn sei Posniak der Spieler gewesen, der das von ihm bevorzugte, aber wenig verbreitete Pressingspiel sofort verstand und verinnerlichte. Posniak wurde so zu einem Schlüsselspieler, zu einer Art Quarterback, wie Krautzun es formulierte, der sich als Kopf des Teams entscheidend am Angriffsspiel beteiligte.

Top Ten der 2. Bundesliga

Mit der Kapitänsbinde am Arm ging Lehramtsstudent Posniak auch im Sommer 1988 in den Relegationsspielen zur Bundesliga gegen den SV Waldhof Mannheim voran. Als die Kurpfälzer im Hinspiel kurz nach der Pause das 2:0 erzielten, sanken die Aufstiegshoffnungen der Lilien bereits auf ein Minimum. Doch Posniak half maßgeblich mit, das Spiel zu drehen. Den Ausgleich erzielte er nach einer Balleroberung höchstpersönlich, ehe er wenig später erneut den Ball stibitzte und den Siegtreffer mit einer Maßflanke vorbereitete. Wenige Tage später garantierte eine weitere Torvorlage Posniaks den entscheidenden Anschlusstreffer durch Uwe Kuhl, der ein Entscheidungsspiel erzwang. Als dort partout kein Tor fallen wollte, musste nach insgesamt 300 gespielten Relegationsminuten das Elfmeterschießen die Entscheidung herbeiführen. Posniak übernahm als erster Schütze Verantwortung … und vergab – was er mit „Scheiße“ quittierte, wie heute noch auf Youtube zu sehen ist. Als später noch Karl-Heinz Emig und Willi Bernecker verschossen, war es das mit dem Aufstieg. Posniak verließ den SVD ein Jahr später zu Viktoria Aschaffenburg. Bis heute liegt er in der Ewigen Rangliste der 2. Bundesliga mit 403 Partien auf Rang neun. Der aktive Zweitligaspieler, der ihm am nächsten kommt, ist ebenfalls eine Lilie: Tobi Kempe müsste aber noch diese und die nächsten beiden Spielzeiten in der 2. Bundesliga komplett durchspielen, um Posniak gefährlich zu werden. Kempe könnte zudem Walter Bechtold demnächst in einer anderen Kategorie übertrumpfen: Laut „kicker“ ist Bechtold bis heute mit 23 Treffern der fünft-erfolgreichste Elfmeterschütze der 2. Bundesliga, Kempe hat – Stand Mitte Oktober – 21 Elfmetertore auf seinem Konto.

 

„Ohh, ESS-VAU-Darmstadt … schalala-lala-laaa!“

Fr, 04.11., 18.30 Uhr: SV Darmstadt 98 – Hannover 96

Do, 10.11., 20.30 Uhr: 1. FC Magdeburg – SV Darmstadt 98

So, 13.11., 13.30 Uhr: SV Darmstadt 98 – SpVgg Greuther Fürth

sv98.de

 

Matthias und der Kickschuh

Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias „Matze“ Kneifl über seine große Leidenschaft: den Fußball. Gerne greift er dabei besonders abseitige Geschichten auf. Kein Wunder also, dass der studierte Historiker und Redakteur zu Drittligazeiten begann, über die Lilien zu recherchieren und zu schreiben. Ein Resultat: das Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98 zu lieben“, das (auch in einer erweiterten Neuauflage 2019) im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen ist. Seit Juli 2016 begleitet Matthias gemeinsam mit vier Mitstreitern die Lilien im Podcast „Hoch & Weit“. Genau der richtige Mann also für unsere „Unter Pappeln“-Rubrik!

kickschuh.blog