Grafik: Schlossansicht von Peiter Rodingh (1676)

Nach diesem heißen Sommer können viele Menschen die kühlere Jahreszeit und gemütliche Stunden bei Kerzenschein und Kakao kaum erwarten. Die Bäume färben sich bunt, es wird dunkler – und Halloween steht vor der Tür. Neben Vampir-, Monster- und Gespenster-Outfits zählen Hexenkostüme zu den beliebtesten Halloween-Verkleidungen. Halloween kann also auch als Gelegenheit genutzt werden, sich einmal eingehender mit dem Thema Hexen und Hexenverfolgung, die auch vor den Toren Darmstadts nicht Halt machte, aus historischer Sicht zu beschäftigen und ganz bewusst einen Blick auf dieses dunkle, gar nicht gemütliche Kapitel Stadtgeschichte zu werfen.

Beim Schlendern über den Marktplatz sieht man den Marktbrunnen, ein paar Marktstände, volle Restaurants und Menschen, die ihre Einkäufe erledigen. Stimmengewirr, Lachen und das Rattern der Straßenbahn, die am Schloss vorbeifährt, erfüllen das Areal. Kaum vorstellbar aus heutiger Sicht: Vor 440 Jahren diente dieser Platz als Ort für öffentliche Hexenverbrennungen.

Hexenverfolgung in Darmstadt

Hexenprozesse wurden in Darmstadt erstmals im Jahr 1582 abgehalten, als insgesamt 17 Frauen und ein elfjähriger Junge auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. 1585 und 1586 folgte eine weitere Verfolgungswelle, in der abermals 17 Frauen zum Tode verurteilt und sieben des Landes verwiesen wurden – eine weitere Frau nahm sich nach ihrer Verurteilung das Leben. Bei der sogenannten Ausweisung handelte es sich um eine Strafe, die nicht zu unterschätzen war, denn sie bedeutete für die Angeklagten absolute Verarmung, weshalb sie häufig trotz der Gefahr einer erneuten Anklage und möglicherweise auch Hinrichtung in ihren Heimatort zurückkehrten. Insgesamt sind laut Stadtarchiv zwischen 1582 und 1590 37 Opfer der Hexenverfolgung in Darmstadt nachzuweisen, die Dunkelziffer ist möglicherweise höher. Im zeitgenössischen Kontext und verglichen mit anderen Orten, an denen es mitunter zu Hunderten Hinrichtungen kam, ist diese Zahl sogar noch als verhältnismäßig gering zu beurteilen.

Es sind kaum Aufzeichnungen zu den Darmstädter Hexenprozessen erhalten. Wichtige historische Dokumente stellen einen Auszug aus dem Gerichtsprotokoll eines Arheilger Prozesses von 1586 sowie Unkostenaufstellungen der teuren Gerichtsprozesse dar, die mit der Verfolgung verbunden waren. Klar ist jedoch, dass die Hexenverfolgung in Darmstadt durch Landgraf Georg I. in besonderem Maße vorangetrieben wurde. Er bezeichnete die „Zauberei“ als ein „gräuliches, sonderbares, ungöttliches, hochsträfliches Laster“ und als eine vorrangig von Frauen ausgeführte Tätigkeit. Das Christentum, das Georg I. als Machtlegitimation diente, schrieb die Ausschließlichkeit des christlichen Gottes vor, weshalb es von großer Bedeutung war, alle anderen Vorstellungen religiöser Art im Keim zu ersticken.

„Zauberei“ betrachteten Georg I. und seine Untertanen als ein reales Phänomen. Daher war es so wichtig für ihn, zu beweisen, dass er es vollkommen unter Kontrolle hatte. Sein Bruder Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel hatte eine gemäßigtere Einstellung zu diesem Thema, „da der Beweis schwierig und der Glauben an übernatürliche Fähigkeiten der Hexen ein Narrenspiel“ sei. Auch der Vater der beiden, Philipp der Großmütige, hat sich entschieden gegen die Anwendung von Folter bei Hexenprozessen ausgesprochen. Georg I. aber war radikal in seinen Überzeugungen, die stark von der Frauenfeindlichkeit des „Hexenhammers“ geprägt waren, dem 1486 erschienenen Werk des deutschen Theologen Heinrich Kramer, das über Jahrhunderte die Legitimationsgrundlage der Hexenverfolgungen darstellte. Der Hexenhammer schrieb die Fähigkeit der Zauberei besonders den Frauen, „dem so gebrechlichen Geschlechte“, und vor allem Hebammen zu, „welche alle andern an Bosheit übertreffen.“

Georg I. | Abbildung: Stadtarchiv Darmstadt

Wie man einen Sündenbock findet

1582 kam es in Darmstadt zu einer regelrechten „Hexenhysterie“, sodass Georg I. ab 1586 eine systematische Verfolgung anordnete. Historischer Hintergrund war höchstwahrscheinlich eine Pest-Epidemie, die die Einwohnerzahl Darmstadts um 17 Prozent reduzierte, was angesichts einer Gesamtbevölkerung von zuvor etwa 1.200 Einwohnern besonders drastisch erscheint. Diese Zeit war außerdem von sehr langen, kalten Wintern und verregneten Sommern geprägt, die eine schlechte Ernte und in der Folge mangelhafte Ernährung und die Verbreitung von Krankheiten mit sich brachten. Wegen der geringen Ernteerträge gab es zudem extreme Teuerungen, sodass innerhalb der Bevölkerung große Unzufriedenheit herrschte. Die Schuld für all dieses Übel wurde vermeintlichen „Hexen“ zugeschrieben – Frauen, die man als seltsam wahrnahm, die unbeliebt oder anders waren und die durch die Verbreitung von Gerüchten zu Sündenböcken der gesamten Gesellschaft gemacht wurden. Georg I. interessierte sich sehr für diese Gerüchte und informierte sich sogar gezielt darüber, wer verdächtigt wurde. Hauptzielgruppe der Verfolgungen waren oft Hebammen oder heilkundige sowie alte, arme, alleinstehende oder verwitwete Frauen. Einige der in der späteren Verfolgungswelle in Darmstadt verurteilten Frauen waren vermögend, ein Zeichen dafür, dass mit Intensivierung der Verfolgungen auch immer mehr Opfer in oberen Schichten gesucht wurden.

Im Zweifel gegen die Angeklagte

Von den Frauen, die einmal in die Mühlen der Verfahren geraten waren, wurden 75 Prozent verurteilt, davon rund 30 Prozent zum Tode, wobei anzunehmen ist, dass auch hier die Dunkelziffer höher liegen mag. Nur ein Viertel konnte schlimmerer Strafe entgehen. Dies setzte allerdings voraus, dass unter der Folter kein Geständnis abgelegt wurde – ein immenser körperlicher und psychischer Kraftakt.

In Darmstadt hatte man versucht, Einschränkungen für Ankläger zu errichten, um Massen-Anklagen entgegenzuwirken. So mussten Ankläger für die Versorgung der Verhafteten und auch für Schadensersatz bei einem Freispruch selbst aufkommen. Dass es dennoch so viele Klagen gab, lag daran, dass die Kläger moralisch überzeugt waren und dass mit einer erfolgreichen Anklage ein guter Ruf einherging, der für das materielle Überleben einer Familie wichtig war. Außerdem brauchte es nicht viel, um jemandem in der sogenannten „peinlichen Befragung“ – dem Verhör unter Folter – ein Geständnis abzuringen. Meist reichte ein Gerücht als Verdacht aus, und wenn dann noch eine Verbindung oder gar Verwandtschaft mit einer ebenfalls verdächtigen Person bestand, war die Schuld so gut wie bewiesen. Die peinliche Befragung förderte die Ausdehnung der Prozesse auf immer weitere Personen, die durch Suggestivfragen von den Gefolterten genannt wurden. All das fand im Rathaus am Darmstädter Marktplatz statt, das zwar noch ein anderes Gebäude war, jedoch schon an derselben Stelle stand wie das heutige Alte Rathaus (mit Standesamt und „Ratskeller“). Im „Arme-Sünder-Stübchen“, das direkt unter dem Dach lag, mussten die zum Tode Verurteilten auf ihre Hinrichtung warten.

 

Ältester Darmstädter Stadtplan (1759) | Abbildung: Stadtarchiv Darmstadt

Hinrichtungen

Die Hexenverbrennungen Georgs I. fanden aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Marktplatz statt. Er war auch der Austragungsort weiterer öffentlicher Hinrichtungen; so sind aus dem 17. Jahrhundert einige Fälle überliefert – mit dem Schwert, durch Hängen oder durch Erschießen.

Darmstadt und Bessungen bildeten einen gemeinsamen Verwaltungsbezirk und besaßen einen gemeinsamen Galgen, der sich zwischen beiden Orten an der Stelle befand, an der heute das Teehäuschen im Wolfskehl’schen Park steht. An diesem Galgen wurden jedoch keine „Hexen“ hingerichtet.

Auch in Pfungstadt gab es einen hölzernen Galgen, der 1603 durch drei gemauerte Säulen ersetzt wurde, die heute noch an der Grenze zwischen Pfungstadt und Eberstadt stehen. Hinrichtungen wurden im Mittelalter öffentlich vollzogen und sollten als Abschreckung dienen. Daher wurden die Galgen häufig in der Nähe von Verkehrswegen errichtet.

Die jüngsten Opfer

Alle in Darmstadt als „Hexe“ verurteilten und hingerichteten Menschen waren Frauen – bis auf den elfjährigen Wolf Weber, der Sohn einer Frau, die bereits als „Hexe“ verbrannt worden war. Ihm gelang es 1582, seine ebenfalls verurteilte Schwester aus dem Gefängnis zu befreien, beide wurden jedoch in Bessungen wieder gefasst. Bei dem Verhör, das darauf folgte, gestand Wolf eine durch seine Mutter hergestellte Verbindung mit dem Teufel. Er beschuldigte außerdem die 17-jährige Anne, die Tochter einer Frau, die gemeinsam mit seiner Mutter hingerichtet worden war. Georg I. ließ Wolf und Anne hinrichten – sie sollten die jüngsten Opfer der Hexenverfolgung in Darmstadt bleiben. Ein Brief seines Bruders Wilhelm, in dem dieser versucht, Georg I. von dieser Form der Bestrafung abzuhalten, kam zu spät.

Nach 1596 sind keine Hexenhinrichtungen aus Hessen-Darmstadt mehr bekannt. 1628, während einer großen Verfolgungswelle im benachbarten Dieburg, wurden auch in Darmstadt wieder Stimmen laut, die Verbrennungen forderten. Auf diese Wünsche reagierte Landgraf Georg II., der Enkel Georgs I., jedoch mit großer Ablehnung.

Eine Erinnerung

Zurück auf den Marktplatz im Jahr 2022, auf dem im Winter der Weihnachtsmarkt und im Sommer das Heinerfest stattfindet, auf dem die Statue des „Berserkers“ ewig in Richtung Schloss weist und auf dem emsiges Treiben herrscht. Der bedrückende Blick in die Vergangenheit Darmstadts soll nicht verstören oder gar dazu aufrufen, an Halloween keine Hexenkostüme mehr zu tragen. Vielmehr soll er eine Erinnerung daran sein, dass das wiederkehrende Phänomen von Ausgrenzung des vermeintlich Fremden und Gewalt gegen Minderheiten bis heute aktuell sind und um jeden Preis verhindert werden müssen.

 

Halloween

„Halloween“, ursprünglich „All Hallows‘ Eve“, sind die Volksbräuche am Abend und in der Nacht vor Allerheiligen, also in der Nacht vom 31. Oktober auf den 01. November. An Allerheiligen wird der Heiligen und Märtyrer der katholischen Kirche gedacht.

Ursprünglich hat sich der Brauch von Halloween in Irland entwickelt, von wo aus er über irische Einwandererinnen und Einwanderer in die USA gelangte und dort weiterentwickelt wurde. Seit den 90er-Jahren verbreiten sich amerikanische Halloweenbräuche auch in Europa. Der Ausfall der Karnevalssaison wegen des zweiten Golfkrieges 1991 führte zur verstärkten Werbung der Karnevalsbranche für Halloween desselben Jahres und steigerte die Aufmerksamkeit für das Fest. Bekanntester Halloweenbrauch in Deutschland ist das Von-Haus-zu-Haus-Gehen verkleideter Kinder, die die Bewohner durch Androhung von Streichen zur Herausgabe von Süßigkeiten bringen.

Das Halloweenfest in der 1.000 Jahre alten Burgruine Frankenstein im Mühltal ist mittlerweile ein international bekanntes Traditionsevent. Auf mehr als 3.000 Quadratmetern kann man sich dort nach Herzenslust erschrecken lassen. In diesem Jahr findet das Grusel-Festival vom 21. Oktober bis 06. November statt. Wie es in den nächsten Jahren weitergeht, ist noch unklar, da in der Burgruine und der zugehörigen Gaststätte Sanierungsarbeiten durchgeführt werden müssen und der bis Ende 2023 laufende Pachtvertrag des Veranstalters bislang nicht verlängert wurde. In diesem Jahr wurden für das Event elf Monster sowie ein 204 Zentimeter großer Darsteller für die Rolle als Frankensteins Monster gecastet.

frankenstein-halloween.de