Illustration: Hans-Jörg Brehm

Vielleicht hätte dem FDP-Bundeschef Christian Lindner vor dem Abbruch der Sondierungsgespräche ein Ausflug nach Darmstadt ganz gut getan. Denn hier stellen sich dem Pragmatismus eher unverdächtige Idealisten ihrer Verantwortung auf durchaus geschickte Art. Allerdings hätte er beim Anblick der 2018 drohenden Darmstädter Fallstricke wohl schnell wieder die Flucht ergriffen.

Während sich im Bund eine Minderheitsregierung nicht als Lösung für die schwierigen Verhältnisse im mittlerweile nicht mehr ganz so neuen Bundestag anbietet, funktioniert das Modell in Darmstadt nun schon seit zwei Jahren. Allerdings muss sich die grün-schwarze Stadtregierung dabei keine wechselnden Mehrheiten suchen, sondern kann sich mehr oder weniger auf Uffbasse verlassen, die eine offizielle Duldung ausgesprochen haben. Die kleine Fraktion versteht sich zwar grundsätzlich als oppositionelle Kraft, entzieht sich dabei jedoch nicht der Verantwortung, die ein politisches Mandat mit sich bringt. Uffbasse zeigen mit der Duldung, dass es einen Weg zwischen „lieber gar nicht“ und „falsch regieren“ gibt, bei dem sie nicht auf ihre Ideale verzichten brauchen.

Da Uffbasse nicht an den Koalitionsvertrag gebunden ist, wird die Konstellation aber mit jeder Magistrats- oder Koalitionsvorlage in der Stadtverordnetenversammlung erneut auf die Probe gestellt. Das stärkt das Parlament, kann die Regierung jedoch auch einer latenten Dauerkrise aussetzen. Indes wartet das Jahr 2018 mit ungewöhnlich vielen Bauprojekten auf, von denen einige eine enorme Fallhöhe mit sich bringen. Sprich: Zwischen Erfolgsgeschichte und Super-GAU ist alles drin – zumal sich Darmstadt mit dem Umbau seiner Infrastruktur noch nie leicht getan hat.

Zwischen Erfolgsgeschichte und Super-GAU

Fangen wir mit den ungefährlicheren Baustellen an. Am Mozartturm soll nun endlich eine Fußgängerbrücke die T-City mit dem Hauptbahnhof verbinden, so wie es sich die Telekom schon vor 15 Jahren von der Stadt vertraglich hat zusichern lassen. Eine durchaus sinnvolle Sache, findet nach langer Ablehnung nun auch Uffbasse. Denn mittlerweile drängen dort zur Rush-Hour stark gewachsene Fußgängermassen über die sechs voll ausgelasteten Fahrspuren und zwei Bahngleise der Rheinstraße. Die geplante Sanierung und Verbreiterung der Straßenbrücke über die Zuggleise wird die Passanten umso mehr gefährden. Dass das Land die Fußgängerbrücke mit zwei Millionen Euro fast zur Hälfte zahlt, dürfte ein Nein ebenfalls erschwert haben.

Bereits in vollem Gange sind zwei wesentlich größere Bauprojekte: das Nordbad und der Friedensplatz. Bei beiden dürften die größten Überraschungen bereits aufgedeckt worden sein. Immerhin blickt der Friedensplatz bereits auf einige Jahrzehnte Planungs-Odyssee zurück (siehe „Vierte Säule“, Folge 5 vom Juni 2017). Und auch beim Neubau des Nordbads, den Bürgermeister Rafael Reißer (CDU) nun ja schon seit seinem Amtsantritt 2011 als Chefsache vor sich herträgt, dürften mit der Kostenexplosion von 17 auf 43 Millionen Euro die Hiobsbotschaften bereits verkündet sein. Der Friedensplatz soll bereits Ende des Jahres fertig werden, das Nordbad Anfang 2020.

Auch die Risiken der bis Anfang 2019 laufende Sanierung des Ausstellungsgebäudes Mathildenhöhe scheinen überschaubar. Immerhin haben sich die Kosten von 17,1 Millionen Euro bereits verdreifacht. Allerdings steht dort mit der UNESCO-Welterbe-Bewerbung ein Prestige-Projekt im Hintergrund, das zwar schon einige Jahre Querelen hinter sich, aber wohl ebenfalls noch einige vor sich hat.

Harte Nuss Berufsschulzentrum

Wirklich schwierig dürfte sich die Sanierung des Berufsschulzentrums Nord gestalten. Das seit Jahren überfällige Projekt gehört aktuell nicht nur zu den größten, sondern auch härtesten Nüssen der Darmstädter Regierungsarbeit. Schon heute, mindestens zwei Jahre vor dem Baubeginn, haben sich die Kosten von 70 auf knapp 100 Millionen Euro erhöht. Zugleich läuft die Lehrerschaft Sturm gegen Reißers Sanierungs-Pläne, sie möchte lieber einen Neubau. Skeptisch sind einige zudem mit dem Konzept, die Räume der drei Schulen zusammenzulegen. Auch wenn sich die Baustelle am Bürgerpark nicht zum Darmstädter BER ausweiten sollte, wird sie mit Sicherheit nochmal ausführliches Thema dieser Kolumne sein (Leserimpulse sind übrigens sehr erwünscht, per Mail an redaktion@p-verlag.de).

Herzensangelegenheit tausender Fußballfans in der Region und damit auch potentiell zum Rosenkrieg geeignet ist der anstehende Stadionumbau am Böllenfalltor. Dass hier nach langjährigem Hin und Her mit dem gesetzten Spatenstich im April 2018 (Annex-Gebäude, anschließend: Gegengerade) und der von beiden Stadt und Verein gefeierten engen, vertrauensvollen Kooperation das letzte Wort bereits gesprochen wäre, dürfte wohl als äußerst kühne Behauptung zu bewerten sein.

Direkt neben dem Böllenfalltor grüßt 2018 ein alter Bekannter: die im vergangenen Jahr aufgeschobene Lichtwiesenbahn (siehe „Vierte Säule“, Folge 4 vom Mai 2017). Ihr Bau ist offensichtlich unvermeidlich. Denn die TU Darmstadt braucht und will sie unbedingt für ihren Boom-Campus. Eine wehrhafte Bürgerschaft aus den gehobenen Wohnlagen des Paulus- und Edelsteinsteinviertels sowie dem Bezirk an den Lichtwiesen hat ihr jedoch den Kampf angesagt.

Hinzu kommen abstraktere Unterfangen wie die Digitalstadt, deren Gremien sich gerade konstituieren. Doch wohin und wie lange die Reise mit unzähligen Beteiligten der Stadtwirtschaft – um nicht zu sagen vielen Köchen – überhaupt gehen soll, ist bislang nur schwer fassbar (siehe „Vierte Säule“, Folge 7 vom September 2017).

Wie steht es um die Sicherheit der Radfahrer?

Das vielleicht brennendste Thema ist zugleich jedoch auch das, was am leichtesten droht, im Tagesgeschäft der großen Baustellen hinten runter zufallen: die Sicherheit der Fahrradfahrer. Erst im Dezember haben zwei tödliche Unfälle daran erinnert, dass Darmstadt für Radler die gefährlichste Stadt Hessens ist. Erst wurde der bekannte Darmstädter Theatermacher Hanno Hener in der Bismarckstraße totgefahren. Wenige Tage später starb auf der gegenüberliegenden Seite eine junge Frau bei einer ähnlichen Situation. Dabei hatte sich Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne), der ja selbst fast schon das Stadtbild prägend alle lokalen Wege mit dem Fahrrad zurücklegt, die Fahrradstadt ganz oben auf die Agenda geschrieben.

Dass sich trotz zahlreicher im Wortsinne symbolischer Änderungen im Straßennetz – wie Piktogramme auf der Fahrbahn und Fahrradstraßen – zumindest gefühlt wenig in der Alltagsrealität geändert hat, mag ein Grund sein für sein knappes Ergebnis bei der Wiederwahl. Doch muss man den Vorwurf, den ihm tatsächlich viele seiner Stammwähler machen, zumindest dahingehend relativieren, dass sich für die Akzeptanz von Fahrradfahrern auch etwas im Kopf der Autofahrer ändern muss. Da helfen auch die größten Fahrradstreifen auf der Heidelberger Straße, die zu begrüßen sind und dringend nötig waren, nicht viel – wenn sie vom motorisierten Verkehr zugeparkt und überfahren werden. Die Mentalität, Radler als gleichberechtigt und besonders schutzbedürftig anzuerkennen, kann sich eben nur langsam durchsetzen. Ein Grund mehr, dass Partschs Stadtregierung bei diesem Thema keine Anstrengungen vermissen lassen darf.

 

Lokalpolitik-Kolumne im P

Sebastian Weissgerber hat bis 2009 für die Frankfurter Rundschau aus dem Darmstädter Stadtparlament berichtet. Im P schreibt er seit Februar 2017 als „Vierte Säule“ über die hiesige Politik.