Seit 2003 erobert ein neues Mitmachfestival bundesweit die Partyszene: das Ladyfest. Im Sinne der Riot Grrrl-Bewegung wird Sichtbarkeit und Respekt für Musikerinnen und Künstlerinnen eingefordert. Ein Interview mit Morelle und Giuli, die das Ladyfest in Darmstadt bereits zum zweiten Mal mitorganisieren.
Was waren die Beweggründe, ein Ladyfest in Darmstadt zu veranstalten?
Morelle: Die Idee entstand zum einen, weil wir schon länger mal eine Party veranstalten wollten, die alle Sinne anspricht und dabei ganz nach unserem Geschmack ist. Die Partys in Darmstadt ähneln sich inhaltlich und von der Stimmung sehr stark, auch, weil es oft die gleichen Typen sind, die da federführend agieren. Zum anderen wurden wir im Herbst 2009 als DJ-Duo zum Ladyfest Frankfurt ins „Institut für vergleichende Irrelevanz“ (IvI) eingeladen. Das war eine ganz neue Erfahrung und hat viel Spaß gemacht. Die entspannte Atmosphäre ohne potentiellen Stress mit doofer Anmache und die unbändige Tanzlust unter den Frauen haben uns beeindruckt. Das wollten wir auch in unserer Heimatstadt haben.
Wie waren die Reaktionen nach dem ersten Ladyfest?
Giuli: Aus meinem Bekanntenkreis habe ich nur positive Rückmeldungen bekommen. Die meisten waren begeistert von Musik, Stimmung und Atmosphäre und warten schon auf das nächste Fest.
M: Besonders schön fand ich, dass auch viele Männer sich sehr über die gelassene, unprollige Grundstimmung der Party gefreut haben. Einer sagte mir: „Wenn das immer so wäre, würde ich viel öfter ausgehen.“
Nimmt die breite Masse überhaupt wahr, dass Frauen und Mädchen innerhalb der Musik- und Kunstszene weniger präsent sind als Männer?
G: Wenn man die Leute mit einem Ladyfest darauf aufmerksam macht, dann fällt es vielen schon auf. Einige freuen sich auch genau deshalb auf das Ladyfest und kommen mit der Erwartung, dass hier „alles besser sein wird“.
Habt Ihr auch Anfeindungen zu spüren bekommen?
M: Anfeindungen erlebe ich hin und wieder als DJ, wenn ich mir nicht Geschichten von Typen à la „Ich mach ja auch manchmal DJ“ anhören mag oder irgendwelche doofen Musikwünsche nicht erfülle. Da wird dann alles gern auf mein Frau-sein zurückgeführt und die Typen versuchen, die Abfuhr mit sexistischen Kommentaren zu kompensieren. Mit dem Ladyfest treffe ich nur häufiger auf Vorurteile und Missverständnisse – dies allerdings teils in einer Stärke, dass es mich immer wieder, vor allem bei Frauen meiner Generation, überrascht.
G: Als Referentin für Feminismus des AStA der TU Darmstadt muss ich schon mit Augenrollen bis Buh-Rufen rechnen, wenn ich unter den TU-Studenten und auch Studentinnen von Feminismus rede oder Veranstaltungen bewerbe. Auch die Ausgrenzung von Männern wird uns vorgeworfen. Dabei ist es wichtig für alle Menschen, Raum zu fordern und zu nehmen, um sich eigene Gedanken machen zu können, gemeinsam Kraft zu sammeln, um letztlich Probleme zu analysieren und zu artikulieren. Sich ständig dafür rechtfertigen zu müssen, zeigt, wie wichtig der feministische Kampf auch heute ist – nach über 100 Jahren seit der ersten deutschen Frauenbewegung.
Versteht Ihr Euch alle als Feministinnen?
M: Ja, klar. Jede auf ihre Art. Für mich persönlich ist es anders nicht vorstellbar. Jedenfalls gehören wir alle nicht zu denen, die einen guten Punkt anbringen und sich gleichzeitig selbst schwächen, indem sie sagen: „Ich bin ja keine Feministin, aber…“. Doch, wir sind Feministinnen. Und finden es cool. Weil wir wissen, dass die Vorurteile über frustrierte, aggressive, sexfeindliche, männerverachtende Monster, auch Emanzen genannt, nur die Phantasien irgendwelcher armen Würste sind.
G: Ich verstehe mich als Feministin, und wenn ich mir die gesellschaftlichen Verhältnisse anschaue, ist es nur allzu verständlich, wenn Mann und Frau sich als feministisch verstehen und verhalten mag.
Habt Ihr schon erlebt, dass sich Männer „ausgeschlossen“ fühlen?
M: Das gehört zu den gerade erwähnten Missverständnissen: Erstens ist unser Ladyfest für alle offen – auch weil wir glauben, dass es eine gute Idee ist, Männer in feministische Arbeit einzubinden und mit ihnen gemeinsam zum Beispiel ein respektvolleres Ausgehverhalten „einzuüben“. Respekt und Höflichkeit werden übrigens von allen eingefordert – nicht nur von Männern gegenüber Frauen. Und zweitens finde ich in einer Gesellschaft, die strukturell Frauen in so vielen Bereichen ausschließt, ihnen gegenüber Gewalt ausübt, sie marginalisiert oder diskriminiert, den Gedanken, dass Männer mal an einem Workshop X nicht teilnehmen dürfen oder mal auf eine Party Y nicht eingeladen sind, nicht wirklich problematisch. Mal Raum für sich haben zu wollen, um sich als „FrauLesbeTransperson“ ungezwungen bewegen zu können, heißt doch nicht, alles Gemeinsame abzulehnen.
G: Es fällt manchen schon schwer zu akzeptieren, dass Frauen Freiraum brauchen. Die Angst, dass Frauen sich „hinterhältig Vorteile verschaffen“ und man(n) selbst benachteiligt wird, ist überall anzutreffen. Auf Privilegien zu verzichten, fällt schwer – und da müssen wir uns auch selbst immer wieder an die eigene Nase fassen, als Europäerinnen, als Studierende.
Wie viel Politik steckt wirklich hinter einem Ladyfest?
G: Leider gibt es im Großen und Ganzen so eine Tendenz, Kultur und Politik zu trennen. Das Politische lässt Mann und Frau lieber weg, wenn’s Spaß machen soll und Kultur soll immer Spaß machen, Spaß-Kultur. Dabei gibt es wunderbare politische Kultur und auch eine Kultur-Politik. Das macht nicht immer so viel „Spaß“, weil zu diskutieren, sich zu reiben, zwischen Offensive und Defensive zu schwimmen und Kultur zu organisieren auch echt anstrengend sein kann. Und natürlich überlegen wir immer wieder, wie viel kritischen Input wir geben können und müssen, um eben Spaß, Kultur und Politik zu vereinen oder zumindest nebeneinander stehen zu lassen.
M: Das Private ist nach wie vor politisch. Und: Spaß kann auch Widerstand machen.