Neben dem Bundestag werden diesen Monat auch an der Hochschule Darmstadt der Senat, Fachbereichsräte, das Studierendenparlament und die Fachschaftsräte gewählt. Letzteres hätten wir allerdings nicht mitbekommen, würde uns nicht Sascha Wellmann von der Linken Liste F.I.S.H. unermüdlich mit Pressemitteilungen über (seine Sicht auf) die demokratischen Vorgänge in der Studierendenschaft informieren. Grund genug, ihn mal anzurufen.
Erst stören Sie sich daran, dass der Allgemeine Studierenden-Ausschuss (AStA) ein AfD-Mitglied im Studierendenparlament duldet, dann dass das Studierendenparlament Ihren Antrag zu Antisemitismus nicht mitträgt. Was hat das alles mit Hochschulpolitik zu tun?
Sascha Wellmann: Hochschulen sind nicht nur Orte der Wissensvermittlung, sondern auch politische Räume, in denen gesellschaftliche Konflikte verhandelt werden. Gerade in einem Studierendenparlament, das die Interessen aller Studierenden vertreten soll, ist es entscheidend, klare Positionen gegen menschenverachtende Ideologien wie die der AfD zu beziehen. Die Duldung eines AfD-Mitglieds signalisiert eine Akzeptanz von rassistischen, frauenfeindlichen und antisemitischen Positionen, was in einem pluralistischen und solidarischen Hochschulumfeld nicht toleriert werden kann. Genauso verhält es sich mit Anträgen zum Thema Antisemitismus. Es geht hier nicht darum, außenpolitische Diskussionen – sprich: den sogenannten Nahost Konflikt – in die Hochschulpolitik zu ziehen, sondern darum, dass die Auseinandersetzung mit Israel/Palästina eng mit Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus verknüpft ist – Themen, die auch an Hochschulen präsent sind und behandelt werden müssen. Die Vorstellung, dass solche Themen „nichts mit der Hochschule zu tun haben“, ist eine bewusste Entpolitisierung, die dazu führt, dass rechte oder diskriminierende Positionen normalisiert werden.
Gegen menschenfeindliche Ideologien
Das Studierendenparlament wurde doch aber von den Studierenden gewählt. Wo also liegt das Problem?
Das Problem liegt nicht nur bei der Wahlentscheidung der Studierenden, sondern zeigt ein besorgniserregendes Umdenken innerhalb der Gesellschaft, das sich auch an Hochschulen widerspiegelt. Hochschulpolitik darf sich jedoch nicht darauf zurückziehen, „demokratisch gewählte“ Akteure einfach hinzunehmen, sondern muss klare Grenzen ziehen und sich aktiv und deutlich gegen menschenfeindliche Ideologien positionieren. Auf Bundesebene gibt es bereits Diskussionen über ein mögliches Verbot der AfD – und Hochschulpolitik sollte hier eine Vorreiterrolle einnehmen, indem sie solche Forderungen aufgreift. Die Geschichte zeigt deutlich, dass Demokratie sich nicht von allein vor Faschismus schützt. Im Gegenteil: Antidemokratische Kräfte gelangen oft durch demokratische Prozesse an die Macht. Die AfD hat bekannte Neonazis in ihren Reihen, scheut sich nicht vor völkischer Sprache und stellt eine klare Bedrohung für die Demokratie dar. Hochschulpolitik sollte diese Gefahr anerkennen und entsprechend handeln, statt sich hinter der Wahlentscheidung der Studierenden zu verstecken. Das bedeutet für die Hochschule und insbesondere ihre Studierendenschaft eben auch eine inhaltliche Auseinandersetzung.
Sie kritisieren auch „illiberale und konservative Tendenzen“ im Studierendenparlament. Woran machen Sie das fest?
In den letzten Jahren erlebe ich im Studierendenparlament zunehmend, dass sich Kommiliton:innen in dieses hohe Gremium wählen lassen, die teilweise kein Interesse haben, sich mit den wichtigen und notwendigen Inhalten auseinanderzusetzen. Die Qualität der Parlamentsarbeit lässt besonders seit den letzten zwei Jahren massiv nach: Beschlüsse werden immer wieder missachtet, das eigene Regelwerk nicht eingehalten und kaum Informationen an die Hochschulmitglieder kommuniziert. In der vergangenen Legislatur setzte sich das Präsidium des Studierendenparlaments über einen Antrag zur Abwahl eines AStA-Referenten hinweg und jetzt gerade wird seit mehreren Monaten ein Antrag zur Abwahl des Präsidiums aufgrund ihrer schlechten Arbeit verhindert. Die Dokumentation in den Sitzungsprotokollen, sofern sie überhaupt angefertigt werden, lassen entsprechende Unstimmigkeiten aus – so wird bewusst eine Transparenz gegenüber den Studierenden verhindert. Dabei ist die Studierendenschaft an gesetzliche Bestimmungen gebunden, hat klare Regelungen und einen bestimmten Auftrag.
Viele strukturelle Probleme
Was, glauben Sie, ist die Ursache für diese Entwicklung?
Ein großes strukturelles Problem für mangelnde Kapazitäten der Studierenden liegt auch am Leistungsdruck und Vorgaben von Regelstudienzeiten. Durch die Aufteilung in Bachelor- und Masterstudiengänge wurde das Studium für die meisten viel verschulter. Regelmäßige Prüfungen und Fristen lassen kaum Zeit für ein umfangreiches Ehrenamt. Dazu kommt auch noch, dass Studierende häufig zusätzlich neben ihrer eigentlichen Vollzeitbeschäftigung, dem Studium, jobben müssen, um sich finanziell irgendwie über Wasser zu halten. Zudem wird die Hochschule im Zuge neoliberaler Umgestaltung immer weniger als politischer Raum und Ort der Entwicklung eigener Mündigkeit wahrgenommen.
Nicht aus der Zeit gefallen
Wir leben eben nicht mehr im Jahr 1968. Studierende sehen sich heute oft als Kunden, die Bildung als Produkt konsumieren. Wofür braucht es da überhaupt noch ein Studierendenparlament?
Genau das sehe ich als zentrales Problem einer zunehmenden Ökonomisierung von Bildung: Hochschulen, die nur noch als Zertifizierungseinrichtungen wahrgenommen werden. Und wegen diesen Veränderungen im Studium ist eine aktive Mitbestimmung der Studierendenschaft notwendig. Hochschulen sind per Gesetz selbstverwaltete Institutionen und die Studierendenschaft ist darin eine eigene Körperschaft mit hoher Autonomie und eigenem Haushalt, um Projekte umzusetzen oder auch Leute einzustellen. Das ist ein wichtige Errungenschaft und überhaupt nicht aus der Zeit gefallen. Für diese demokratische Selbstverwaltung braucht es Strukturen wie das Parlament als höchstes Organ der Studierendenschaft – vorausgesetzt, es arbeitet richtig.
Und wo kann das Parlament an der Hochschule mitbestimmen?
Das Parlament entscheidet über den studentischen Haushalt und grundsätzlich über alle hochschulweiten Angelegenheiten, die die Studierenden betreffen. Es wählt und kontrolliert den AStA, der gewissermaßen als Exekutivorgan vergleichbar mit der Bundesregierung ist, die vom Bundestag gewählt wird – und bei schlechter Arbeit auch wieder abgewählt wird. So können auch Fehlbesetzungen im AStA korrigiert werden.
Der AStA als zentrale Anlaufstelle
Der AStA dürfte den meisten Studierenden ja schon ein Begriff sein. Er gibt die internationalen Studierendenausweise aus, bietet Rechts- und Sozialberatung, verhandelt das Semesterticket und an der TUD trägt er den Schlosskeller, das 806qm und die Selbshilfefahrradwerkstatt „zwanzig°“. Was halten Sie für die wichtigste Aufgabe des AStA?
Er sollte die Studierendenschaft im übertragenen Sinne organisieren. Er sollte darüber informieren, was gerade die wichtigen Themen sind – und zwar in beide Richtungen, also auch den Studierenden zuhören, wo gerade der Schuh drückt. Für die Studierenden sollte der AStA die wichtigste Anlaufstelle sein und neben der Sozial- und Rechtsberatung auch ein soziokulturelles Angebot bieten. An der Hochschule sind das übrigens das Café Glaskasten in Darmstadt und das Café Zeitraum in Dieburg.
Wenn ich mich einbringen und mitgestalten möchte, wo muss ich mich melden?
Studierende können sich jederzeit an den AStA, an Fachschaftsräte, Hochschulgruppen und Aktive wenden, wenn sie mitmachen wollen. Je mehr wir gemeinsam sind, umso besser. Für gewählte Positionen ist meistens der Zeitraum der Hochschulwahl entscheidend, aber auch abseits gewählter Zugehörigkeiten, gibt es jederzeit die Möglichkeit sich einzubringen – gerne auch, wenn es schon Ideen für eigene Projekte oder Themen gibt!
Vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person
Sascha Wellmann (34) studiert nach Ausbildung und Arbeit als Fachinformatiker seit 2016 auf dem zweiten Bildungsweg Soziale Arbeit plus Migration und Globalisierung an der Hochschule Darmstadt (h_da). Neben seiner Tätigkeit in der Linken Liste „F.I.S.H.“ [die Abkürzung steht für: feministische, intersektionale und solidarische Hochschulpolitik] im Studierendenparlament der h_da war er bis vor Kurzem Vorstand im „freien Zusammenschluss von studenten*innenschaften“ (fzs) und für diesen als Interessenvertreter im Bundestag unterwegs. Als Leiter des Referats Hochschule und Forschung ist er außerdem in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen aktiv.
Zu den Wahlen
Vom 27. Januar bis 10. Februar werden an der Hochschule Darmstadt (h_da) der Senat, Fachbereichsräte, das Studierendenparlament und die Fachschaftsräte gewählt. Wahlberechtigt sind alle Studierenden, alle Professor:innen und alle Mitarbeitenden der h_da. Die Hochschulwahlen werden als Online-Wahl durchgeführt.